Hertha BSC – SV Werder Bremen: Nur Zuhause holen wir nichts

Hertha BSC – SV Werder Bremen: Nur Zuhause holen wir nichts

Am Samstagnachmittag steht das nächste Heimspiel für Hertha BSC an. Dass das kein Grund zur Freude für die Anhänger der „alten Dame“ ist, ist offensichtlich. Im Jahr 2020 gab es Zuhause nur einen Punktgewinn (0:0 gegen Schalke 04). Ansonsten gab es drei hohe Niederlagen, die letzte gegen Köln schmerzte dabei besonders, weil die Mannschaft mit 0:5 komplett unterging. Jetzt kommt mit dem SV Werder Bremen ausgerechnet ein Angstgegner ins Olympiastadion.

Seit 2013 konnte man nicht mehr gegen die Bremer drei Punkte holen. Dazu kommt, dass Hertha diese Saison öfter als Aufbaugegner für verunsicherte Mannschaften glänzen konnte. Um jedoch in dieser turbulenten Zeit nicht in Panik zu verfallen, wollen wir die nächste Partie objektiv betrachten. Dazu haben wir uns einen kompetenten Interviewpartner geholt, in Person von Kim (auf Twitter @kimosch46) der unter anderem beim Weserfunk regelmäßig zu hören ist. Mit ihm blicken wir auf die so wichtige Partie am Samstag.

Gespaltene Medienlandschaft bei Werder Bremen

Hertha BASE: Die klassische Frage zu Beginn: wie ist so die Stimmungslage in Bremen?

Kim: Liebes Tagebuch, im Moment ist es bei Werder sehr unruhig. Es scheint, als spalte sich die Fanszene sowie die Medienlandschaft in zwei Lager. In dem einen Lager sagen sie, Florian Kohfeldt habe keinen Mehrwert mehr für Mehrder… äh, Werder. In dem anderen Lager, zu dem ich mich selbst auch zähle, sagen sie, dass Florian Kohfeldt nach wie vor der richtige Trainer für Werder ist. Aber dazu später mehr. Ansonsten kann man sagen, dass es lange nicht solch eine Unruhe im und um den Verein gab. Dazu kommt eine immer stärker boulevardeske Berichterstattung über Werder. Es wird alles skandalisiert und dramatisiert und das in einer Situation, die sportlich schon dramatisch genug ist. Ach, liebes Tagebuch, es ist wirklich anstrengend zur Zeit.

Trainer Florian Kohfeldt (Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images)

Anstrengend war auch das Pokalaus gegen Frankfurt (2:0). Was nimmt die Mannschaft aus dieser Partie mit?

Kim: So, genug Bezug zu Tagebüchern jeglicher Art. Das Pokalspiel steht für die sportliche Misere: Zunächst steht Werder defensiv solide und versucht situativ den Gegner unter Druck und offensive Nadelstiche zu setzen. Dann kommt ein Rückschlag, meist durch einen Standard, und es gibt Unruhe. Im Pokalspiel war es noch okay nach dem Gegentor, offensiv fand Werder jedoch kaum statt. Die beiden einzigen Tore für Werder in der Liga im Jahr 2020 waren Eigentore. Einzig das Pokalspiel gegen den BVB ließ die Stürmer jubeln, ansonsten herrscht Ebbe in der Offensive. Was man jedoch mitnehmen kann: Defensiv war es weitestgehend in Ordnung und in den meisten Statistiken lag Werder vorne. Punkte in der Liga gibt es dafür jedoch keine.

Und trotzdem scheint Florian Kohfeldt das Vertrauen der Vereinsführung zu behalten. Was denkst du über die Trainersituation?

Kim: Ich halte Kohfeldt nach wie vor für einen talentierten Trainer, der für Werder der richtige Coach ist. Die Situation ist auch gänzlich anders als bei Skripnik und Nouri zu bewerten. Kohfeldt ist großartig in der Kommunikation, die Mannschaft steht hinter ihm und spricht sich auch für ihn aus. Ein Bruch zwischen Team und Trainer ist nicht auszumachen. Darüber hinaus stellt sich ja auch immer die Frage nach einer Alternative: Wer wäre denn für Werder überhaupt verfügbar und auch ein klares Upgrade zu Kohfeldt? Der Kader ist so wie er halt ist, im defensiven Mittelfeld klafft eine eklatante Lücke, was aber in erster Linie Baumann anzukreiden ist und nicht Kohfeldt. Ich bin nach wie vor voller Hoffnung, dass Bremen mit Kohfeldt den Turnaround schafft!

Ohne Selke, Toprak und Pavlenka nach Berlin

Wie gut kann Bremen die Müdigkeit bis Samstag wegstecken?

Kim: Von Mittwoch bis Samstag sollte genug Regeneration möglich sein, zumal die Mannschaft auch von Frankfurt direkt nach Berlin reist. Das darf keine Ausrede sein!

Wie schätzt du die Stärken eures Teams ein? Was kann euch denn da unten raus holen?

Kim: Rashica, Selke (der gegen Hertha fehlt) und Bittencourt werden (hoffentlich bereits am Samstag) den Schalter umlegen und die Liga kurz und klein schießen. Nur durch Eigentore des Gegners wird man die Klasse nicht halten können.

Dafür habt ihr ja Hertha-Schreck Claudio Pizarro auf der Bank. Allerdings fallen jetzt Ömer Toprak und Torhüter Jiri Pavlenka (Muskelfaserriss) aus. Was wird sich im Team durch die Ausfälle am Samstag verändern?

Kim: Toprak ist glücklicherweise nicht so schwer verletzt wie befürchtet, wird gegen die alte Dame jedoch fehlen. Vogt wird deshalb vermutlich in die Innenverteidigung rücken und wohl Sahin in die Mannschaft spülen. Selke darf ja nicht spielen – was für eine Klausel, ach du meine Güte, Baumann! – was vielleicht zum Startelfdebüt von Nick Woltemade führen wird. Vielleicht wird aber auch Josh Sargent starten.

Davie Selke darf aufgrund einer Klausel nicht gegen Hertha spielen. (Gif: https://giphy.com/bundesliga )

À propos Selke: wie macht er sich bisher bei euch? Was hälst du von ihm?

Kim: Der Transfer ließ mich zwiegespalten zurück: Finanziell für Werder ein ordentliches Wagnis, dazu ist Davie auch nicht der Spieler, der die 10+x Tore garantiert. Aber er ist jemand, der voran geht und sich nicht versteckt, dazu für Kohfeldt Art des Fußballs auch der richtige Zielspieler. Ich hätte mir im Winter gewünscht, dass das Geld in einen zentralen Mittelfeldspieler gesteckt wird, aber das ist ja nicht Selke anzulasten. Im Pokal gegen den BVB hat man gesehen, welche Qualitäten er hat und ich hoffe, dass er diese nun konstant und über den Sommer hinaus für Werder zeigen wird.

Und zum Schluss noch die obligatorische Frage nach deinem Tipp für die Partie:

Kim: Die ersten Frames wird Hertha sich holen, dann wird Werder jedoch mit einem Maximum Break das Ruder herumreißen und großartiges Snooker spielen. 9:5 für Werder!

Erwachen der Macht im Hertha-Kader?

Wie wir bereits in unserer Rubrik „Herthaner im Fokus“ feststellten, war das Spiel in Düsseldorf vor allem durch die Spieler geprägt. Nouris taktische Umstellungen trugen keine Früchte, wieder einmal mussten die Berliner zur Halbzeit zwei mal wechseln. Nur durch eine Reaktion innerhalb der Mannschaft, insbesondere gepusht durch die erfahrenen Spieler im Team, konnte die Aufholjagd realisiert werden. Jetzt heißt es aber im Hinblick auf das Spiel am Samstag: war es nur eine einmalige Situation? Oder gab es im Hertha-Kader eine Art „Erwachen der Macht“?

Viel wurde spekuliert, dass sich die Mannschaft quasi „selbst“ leitet. Hertha scheint auch auf diese Reaktion aufbauen zu wollen: Thomas Kraft wurde in der Pressekonferenz als aktuelle Nummer Eins im Tor bekräftigt. Vor allem seine Rolle fürs Teamgefüge sei wichtig für die nächsten Partien. Auch Vladimir Darida, der eine der wenigen Säulen im Team zuletzt darstellt, wird wohl wieder in der Startelf stehen. Eine wichtige Säule fällt hingegen mit Dedryck Boyata weg. Der belgische Abwehrchef leidet noch unter Muskelproblemen. Er wird in der Innenverteidigung wohl durch Niklas Stark ersetzt, der nach Gelbsperre zurückkehrt. Zudem fällt weiterhin auch Peter Pekarik aus, Per Skjelbred hingegen könnte noch rechtzeitig fit werden. Auch Santiago Ascacibar steht wieder zur Verfügung.

Dedryck Boyata fällt am Samstag verletzt aus. (Foto: Stuart Franklin/Bongarts/Getty Images)

Kein Spiel für schwache Nerven

Die taktische Ausrichtung bleibt eine große Frage. Die ständigen Wechsel der letzten Wochen führen auch dazu, dass die Startelf kaum vorherzusagen ist. Sollte Hertha den Schwung der zweiten Halbzeit in Düsseldorf mitnehmen wollen, wird die Aufstellung am Samstag um 15:30 Uhr wohl ähnlich aussehen, wie in dieser zweiten Hälfte.

Die Antworten unseres Werder-Experten deuten schon an, dass Hertha auf eine Mannschaft am Samstag treffen wird, die ums Überleben kämpft. Bremen ist angeschlagen, unter Druck und dazu noch personell geschwächt. Hertha könnte durch einen Sieg einen Riesen-Schritt in Richtung Klassenerhalt machen. Bei dieser Ausgangslage klingeln bei allen Hertha-Fans schon die Alarmglocken.

Doch dieses Gerede von Aufbaugegner, Heimschwäche und positiven Druck muss endlich ein Ende finden. Die Mannschaft muss den Charakter-Test bestehen und endlich wieder gegen die Konkurrenz im Abstiegskampf ein Zeichen setzen. Die Trainerdiskussion gibt der Mannschaft keine Ausreden mehr. Die zweite Halbzeit in Düsseldorf und der anschließende Austausch der Spieler mit den Fans und später mit dem Trainer müssen eine positive Energie erzeugen. Diese Kraft wird notwendig sein: das Spiel am Samstag wird wieder kein Spiel für schwache Nerven.

Herthaner im Fokus: Fortuna Düsseldorf – Hertha BSC

Herthaner im Fokus: Fortuna Düsseldorf – Hertha BSC

Als Hertha-Fan hat man das Gefühl, so langsam alles (negative) im Fußball erlebt zu haben. Viel kann es da eigentlich nicht mehr geben, dass einen fassungslos macht. Wie Hertha am Freitagabend jedoch eine katastrophale erste Halbzeit spielte und mit 0:3 zurücklag, um dann im zweiten Durchgang noch per furioser Aufholjagd noch ein 3:3 zu erkämpfen, war wohl auch für jede*r blau-weißen Anhänger*in etwas neues. Zwei so unterschiedliche Halbzeiten für sich einzuordnen und daraus konkrete Bewertungen für die einzelnen Spieler herauszufiltern, scheint nahezu unmöglich, aber wir versuchen uns mal daran.

Jordan Torunarigha – verkappter Linksaußen?

Dass Jordan Torunarigha trotz seiner angestammten defensiven Position stets “geil” auf Offensivausflüge hatte, ist schon lange bekannt. Mindestens einmal pro Spiel probiert sich der Innenverteidiger an Läufen in die gegnerische Spielhälfte. Gegen Fortuna Düsseldorf führte Torunarigha seinen Offensivdrang jedoch auf die Spitze, als er im zweiten Durchgang quasi als Linksaußen auftrat.

Foto: INA FASSBENDER/AFP via Getty Images

Überraschend stand Torunarigha am Freitagabend in der Berliner Startelf, nachdem er zuletzt zwei Partien auf der Bank Platz nehmen musste. Ebenfalls überraschend: das Herthaner Eigengewächs lief nicht als Innen- sondern als Linksverteidiger auf, mit Maxi Mittelstädt und Marvin Plattenhardt saßen die zwei angestammten Spieler für diese Position auf der Bank. Trainer Alexander Nouri wird sich davon größere Stabilität in der Abwehr versprochen haben, aber wie die erste Halbzeit mit drei Gegentoren bewies, ging dieser Plan nicht auf. Auch Torunarigha war an einem Gegentreffer direkt beteiligt, als er beim 0:3 Vorlagengeber Zimmermann völlig aus den Augen verlor und so den Weg ebnete. So wie seine Mannschaftskollegen hatte der 22-Jährige große Probleme damit, seine Seite zu schließen – hier scheiterte es immer wieder in der Abstimmung mit Flügelpartner Dilrosun. Zudem verlor der Linksverteidiger immer wieder Bälle im Vorwärtsgang, was Düsseldorf zu Umschaltaktionen einlud. Im ersten Durchgang ging Torunarigha mit seiner Mannschaft unter, einzig seine zwei Torschussvorlagen (9. und 12. Minute) waren positiv hervorzuheben.

Doch wie so viele bei Hertha erlebte Torunarigha in den zweiten 45 Minuten eine unvorhergesehene Leistungssteigerung. Hierfür war auch die Hereinnahme von Maxi Mittelstädt verantwortlich – das Zusammenspiel der beiden Berliner Eigengewächse, die sich seit so vielen Jahren kennen, funktionierte sehr geschmeidig und verpasste Herthas linker Seite nicht nur neue Stabilität, sondern auch mehr Offensivdrang. Hierbei war auffällig, dass Torunarigha mit jeder Minute offensiver wurde und rund um die 60 Minute herum die Rollen mit Mittelstädt tauschte, welcher nun den Linksverteidiger gab. So ergab sich auch, dass die durchschnittliche Positionierung Torunarighas während des Spiels höher verortet war als die Mittelstädts. Dass Torunarigha nun so offensiv agierte, hatte den Vorteil, dass er sich mit seinem wuchtigen Körper sehr gut behaupten und Bälle festmachen konnte. Dadurch schenkte er seinen Kollegen Zeit, die linke Außenbahn zu überladen und somit durchbrechen zu können. So kreierte Hertha im Dreieck mit Mittelstädt, Torunarigha, Cunha oder wahlweise Darida sehenswerte Dreiecks-Situationen, was für Gefahr sorgte. Auch das hohe Pressing Torunarighas im Verbund mit Mittelstädt sorgte für viel Druck, sodass sich Düsseldorf oftmals gar nicht befreien konnte.

Sicherlich gab ein paar Situationen, in denen man sah, dass Torunarigha eben kein kleiner, wieseliger Dribbelkönig wie ein Dilrosun ist – hier und da versprangen Bälle oder kamen Flanken nicht an – aber das war in dieser Partie auch gar nicht von Nöten. Torunarigha ist ein technisch überdurchschnittlich begabter Innenverteidiger, der ein Gespür für Offensivaktionen hat (war in der Jugend lange Mittelstürmer) und mit seinem robusten Körper für Ballsicherheit und Raumgewinn sorgen kann. Ob du die Umstellung von Torunarigha auf die linke Außenbahn tatsächlich Nouris Idee war, werden wir wohl nie erfahren und es ist auch nicht wirklich wahrscheinlich, aber umso imponierender wäre es, wenn der Youngster das Schicksal seiner Mannschaft selbst in die Hand genommen hätte. So oder so war es eine beeindruckende Vorstellung Torunarighas im zweiten Durchgang, nachdem er im ersten genauso wie alle anderen auch untergegangen war.

Vladimir Darida – ein Motor auf Hochtouren

Zuletzt verkündete Vladimir Darida, dass er sich sehr wohl in Berlin fühle und seinen Berater gebeten habe, Gespräche mit Manager Michael Preetz bezüglich einer Vertragsverlängerung aufzunehmen. Blickt man auf seine Leistung vom Freitagabend, kann man sich dieser Bitte nur anschließen. Man muss festhalten: ohne einen Darida in dessen aktueller Form geht wenig bis gar nichts im Spiel der “alten Dame”.

Foto: Cathrin Mueller/Bongarts/Getty Images

Es war dieser Sprint in der 64. Minute, der Herthas Aufholjagd einläuten sollte. Geschickt von Torunarigha sprintete Darida dem eigentlich zu steilem Zuspiel hinterher und schaffte es mit einer großen Willensleistung, den Ball – noch gestört von einem Düsseldorfer Gegenspieler – von links in den Strafraum zu schlagen, wo ihn Erik Thommy höchst unglücklich ins eigene Tor bugsierte. Kein schönes Tor, aber eins des Willens. Niemand hätte Darida einen Vorwurf gemacht, wenn er den Ball nicht mehr erreicht hätte, aber der Tscheche zog durch und nahm in Kauf, durch den Check des Düsseldorfers in die Bande gestoßen zu werden. Es war das 1:3-Anschlusstor – was anschließend passierte, weiß der Leser dieses Artikels.

Und auch daran war Darida maßgeblich beteiligt. Durch sein immenses Laufpensum (mit 13,26 Kilometern mit Abstand am meisten gelaufen) und seine klugen Bewegungen im Raum war der 29-Jährige einer der wichtigsten Bestandsteile der Berliner Offensive. Nach den beiden Berliner Innenverteidigern sammelte Herthas Nummer sechs die drittmeisten Ballkontakte und Pässe. Des Weiteren verbuchte er mit drei Torschussvorlagen zusammen mit Torunarigha die meisten bei den Blau-Weißen. Es war überragend, wie Darida das Spiel seiner Mannschaft unermüdlich ankurbelte, als ständige Anspielstation fungierte und den Ball in der gegnerischen Hälfte hielt. Hinzu kommt sein starkes Pressingverhalten, durch das er konstanten Druck auf die Fortuna ausübte. Darida war oftmals erster Abnehmer im Aufbauspiel und gleichzeitig an fast jedem Angriff beteiligt – quasi nichts in Herthas Spiel ging ohne den Nationalspieler, der darüber hinaus äußerst ballsicher agierte (acht Ballsicherungen).

Sicherlich war auch Daridas Performance im ersten Durchgang ausbaufähig, aber bei diesen Aussetzern im Berliner Abwehrverhalten ist es auch schwer, seine Rolle in den ersten 45 Minuten zu bewerten. Fakt ist, dass Darida seinem Ruf als Motor nach der Halbzeitpause mehr als gerecht wurde. Agil, unermüdlich und handlungsschnell gehörte er zu den Hauptfaktoren der Berliner Aufholjagd. In dieser Form führt gar kein Weg an dem Tschechen vorbei: Marko Grujic und Arne Maier müssen eine bis 17 Schippen drauflegen, um Darida Konkurrenz machen zu können.

Matheus Cunha – Herthas Adrenalinspritze

Na gut, na gut – kommen wir zu dem Mann des Spiels. Die Fragerunde auf Twitter, welche Spieler in diesem Artikel behandelt werden sollen, ergab das erwartbare Bild: an Matheus Cunha kommt man nicht vorbei. Wie auch? Der Brasilianer erweist sich aktuell als größtes Faustpfand Herthas im Abstiegskampf.

Wie schon bei Darida hatte eine Szene Cunhas Signalwirkung: nachdem er der Offensivspieler in der 67. Minute, als nur drei Minuten nach dem ersten Berliner Tor, zum 2:3 traf, setzte er zum Jubel an. Dabei präsentierte er kein lässiges, eingeübtes Bewegungsmuster – wie man es im modernen Fußball gewöhnt ist – nein, er fasste sich zunächst an die Hertha-Fahne seines Trikots, um anschließend die klare Geste frei nach Oliver Kahn zu machen: “Eier, wir brauchen Eier!” Der Jubel stand stellvertretend für den gesamten Auftritt Cunhas, der Hertha fast im Alleingang wiederbelebte und dem Spiel seinen Stempel aufdrückte.

Foto: Lukas Schulze/Bongarts/Getty Images

Wirklich Fahrt nahm die Vorstellung Cunhas ab der 60. Minute an. Zu diesem Zeitpunkt holte sich der 20-Jährige seine gelbe Karte ab, nachdem er im Dribbling gefoult wurde und zu stark mit dem Schiedsrichter gemeckert hatte. Es war Ausdruck der Unzufriedenheit des Angreifers, der sich mit aller Macht gegen den Spielverlauf stemmte. Er zog mit Abstand die meisten Sprints an, verzeichnete die drittmeisten intensiven Läufe, gab die zweitmeisten Torschüsse ab, führte die meisten Zweikämpfe und dribbelte sieben (!) Mal erfolgreich am Gegner vorbei – zusammengefasst: Cunha machte es im zweiten Durchgang zu seinem Spiel, es war sein Feld! Der Brasilianer war einmal mehr überall zu finden, forderte Ball um Ball und nahm es mit der ganzen Düsseldorfer Mannschaft auf. Sicherlich gab er sich in manchen Momenten zu ballverliebt, aber schließlich hatten ihm seine Mannschaftskameraden bislang nicht das Gefühl gegeben, man könne sich auf sie verlassen.

In der 64. Minute schlenzte Cunha den Ball, der noch leicht abgefälscht war, ins rechte Toreck und erzielte damit das 2:3. Infolge der Jubel und infolge darauf die endgültige Spielübernahme Herthas. Und immer wieder war Cunha mittendrin. Seine Zweikampfbilanz war für einen Offensivspieler absolut herausragend, hinzu kommen sechs Ballsicherungen und eine wirklich gute Passquote in der gegnerischen Hälfte von 83 Prozent. Auffällig war, wie tief sich Cunha immer wieder fallen ließ und vom Achterraum heraus das Spiel mitaufbaute (gab einige sehr gute Spielverlagerungen von ihm) oder selbst ins letzte Angriffsdrittel stürmte. Cunha zeigte eine gute Mischung aus brasilianischer Eleganz und einer gehörigen Portion Kampf. Er war giftig, konnte dem Gegner aber auch mit Ball am Fuß weh tun. Beinahe hätte er der Fortuna noch den Todesstoß gegeben, doch sein Schuss in der 90. Minute traf nur den linken Pfosten. Nichtsdestotrotz war es eine herausragende Vorstellung Cunhas, der einmal mehr seinen unschätzbaren Wert für das Team unterstrichen hat. Auch wenn seine Zahlen aus dem Spiel schon bemerkenswert sind, ist es nicht in Ziffern auszudrücken, welch großen Einfluss er auf das Spiel und die Mentalität seiner Mannschaft hat. “Er ist vorangegangen, hat alle mitgerissen. Das war stark”, lobte Trainer Nouri seinen Stürmer nach dem Spiel.

Dilrosun und Lukebakio in dieser Form nicht zu gebrauchen

Man hatte sich vor dem Spiel wohl noch gefreut, als man sah, dass Javairo Dilrosun und Dodi Lukebakio endlich wieder in der Startelf standen. “Endlich schöpft Nouri die Möglichkeiten des Kaders aus! Ohne die beiden geht es nicht”, werden sich viele gedacht haben. Die Entrüstung nach den ersten 45 Minuten in Düsseldorf dürften dementsprechend groß gewesen sein, nachdem die beiden Flügelspieler jeweils eine grausige Leistung gezeigt hatten. Zur Halbzeit wurden mit Maxi Mittelstädt und Marius Wolf zwei zuletzt in Kritik geratene Spieler für die beiden Flügelkünstler eingewechselt, was eine deutliche Wirkung auf das Spiel haben sollte.

Foto: Lukas Schulze/Bongarts/Getty Images

Doch der Reihe nach: Alexander Nouri entschied sich dazu, gegen Düsseldorf eine pendelnde Fünferkette zu spielen, um deren Flügelfokus Einhalt zu gebieten. Je nachdem, auf welcher Seite die Fortuna durchbrechen wollte, sollte ein offensiver Flügelspieler Herthas mit nach hinten rücken und zusammen mit Torunarigha oder Klünter die Flanke schließen. Das funktionierte im ersten Durchgang überhaupt nicht. Beim 0:1 agierte die gesamte Kette viel zu schläfrig, aber besonders bei den beiden darauffolgenden Gegentoren wurde Herthas unterirdisches Abwehrverhalten ersichtlich. Das 0:2 fällt, nachdem Lukebakio Gegenspieler Thommy erst zu viel Platz lässt, um näher von links außen an den Strafraum zu laufen, um anschließend amateurhaft von ihm ausgedribbelt zu werden – eine handelsübliche Finte ließ den Belgier aus dem Zweikampf aussteigen und Thommy freistehend das 0:2 erzielen. Ein weiteres Problem bei dem Gegentreffer war das völlig falsche Stellungsspiel Klünters, der sich nicht direkt hinter Lukebakio positionierte und damit nochmal hätte eingreifen können, sondern viel zu nahm am eigenen Tor stand und einen toten Raum deckte. Die Szene war exemplarisch für die fehlende Abstimmung zwischen Lukebakio und Klünter, der ebenfalls einen rabenschwarzen Tag erwischte. Aber auch Torunarigha und Dilrosun fanden keine gemeinsame Basis. Beim 0:3 standen beide viel zu weit weg von ihren Gegenspielern und ließen den Angriff einfach so passieren. Die Taktik Nouris ging zunächst also überhaupt nicht auf, da Dilrosun und Lukebakio es offensichtlich abgeht, taktisch diszipliniert mit nach hinten zu verteidigen. Offensiv brachten die beiden Individualisten auch nichts auf die Strecke, ein Torschuss und zwei Torschussvorlagen sind zu dünn. Sie nahmen quasi nicht am Spiel Teil, Lukebakio war 18 Mal am Ball und Dilrosun neun Mal.

Nach diesem Spiel ist wohl klar: die beiden Flügelspieler wird man wohl für eine längere Zeit nicht mehr in der Startelf sehen. In diesem krisengebeuteltem Gebilde können Lukebakio und Dilrosun ihre Stärken nicht gewinnbringend einsetzen und ihre Schwächen sind umso ersichtlicher. Als Joker könnten sie weiterhin funktionieren, aber Startelfansprüche können nicht gestellt werden.

Mittelstädt und Wolf überzeugen nach Einwechslung

Nachdem das Trainerteam gesehen hatte, dass die Idee mit Dilrosun und Lukebakio nicht aufgegangen war, entschied es sich dazu, zur zweiten Halbzeit die weniger spektakulären aber defensiv stabileren Maxi Mittelstädt und Marius Wolf einzuwechseln. Es stellte sich heraus, dass es genau das war, was Herthas Spiel gebracht hatte.

Foto: Lukas Schulze/Bongarts/Getty Images

Mit den beiden Einwechslung erhielt deutlich mehr Ernsthaftigkeit und positive Körpersprache Einzug in das Spiel des Hauptstadtklubs. Sicherlich sind Mittelstädt und Wolf in Sachen Technik und Spielwitz weniger begabt als ihre Flügelkonkurrenten, aber dadurch, dass sie deutlich akribischer gegen den Ball und mit nach hinten arbeiten, wirkte Hertha im zweiten Durchgang deutlich stabiler. Wolf und Mittelstädt beteiligten sich tatkräftig am nun deutlich aggressiveren Pressing und übten so ständigen Druck auf das Düsseldorfer Aufbauspiel aus. Es war auffällig, dass Hertha mit den beiden Jokern auf den Außenbahnen deutlich weniger zuließ und besser gegen Umschaltaktionen gewappnet war. Sicherlich rutschte auch in den zweiten 45 Minuten immer wieder ein Angriff durch, aber das ist auf diesem Niveau und durch das starke Flügelspiel der Fortuna auch nicht zu verhindern. Mittelstädt trat gegen den Ball noch etwas besser als Wolf auf und fing insgesamt starke drei Bälle ab. Sein Zusammenspiel mit Torunarigha funktionierte (siehe oben) hervorragend und so war es wenig verwunderlich, dass Düsseldorf wenn überhaupt über seinen linken Flügel gefährlich wurde (erst durch Thommy, später durch Ampomah) – dies lag sicherlich auch daran, dass Rechtsverteidiger Klünter eine gruselige Vorstellung ablieferte und riesige Lücken zuließ, die auch ein Wolf nicht schließen konnte.

Auch im Spiel mit dem Ball wussten die beiden besser zu gefallen. Wolf legte das 2:3 durch einen starken, weil so kraftvoll und präzise gespielten Pass auf, des Weiteren viel er durch ein hohes Laufpensum (sechs Kilometer in einer Halbzeit) auf, durch das er das gesamte Feld beackerte und teilweise auch auf dem linken Flügel auftauchte, um die Seite zu überladen. Auch Mittelstädt hatte offensiv ein paar gute Szenen, auch wenn seine Flankenqualität nach wie vorne ausbaufähig ist. Mit der Zeit avancierte das Berliner Eigengewächs immer mehr zur Absicherung Torunarighas, der nun den offensiven Part übernahm. Diese Arbeitsaufteilung funktionierte wunderbar. Eine Zahl, die belegt, dass Wolf und Mittelstädt deutlich besser in der Partie waren als Dilrosun und Lukebakio: Wolf war 27 Mal am Ball, Mittelstädt sogar ganze 40 Mal.

Sowohl mit als auch besonders gegen den Ball traten Wolf und Mittelstädt eindeutig besser als Dilrosun und Lukebakio auf. Sie fügten sich weitaus präsenter in das Offensivspiel ihrer Mannschaft ein und agierten taktisch deutlich disziplinierter gegen den Ball, sodass Düsseldorf im zweiten Durchgang viel weniger Raum zum bespielen gelassen wurde. Sie waren somit wichtige Faktoren für die Aufholjagd der zweiten Halbzeit.