Während die erste Bundesliga bisher nur zum dritten Spieltag fortgeschritten ist, spielte die Truppe von Andreas „Zecke“ Neuendorf in der Regionalliga bereits gegen neun verschiedene Gegner aus dem Nordosten Deutschlands. Zeit für einen Blick auf den Saisonstart, den Kader und einige Einzelspieler der U23.
Noch läuft nicht alles
Bei der zweiten Mannschaft von Hertha BSC hat sicherlich die Weiterentwicklung der Jugendspieler Vorrang gegenüber dem sportlichen Erfolg. Dennoch wollen wir hier einen kurzen Blick auf die gesamtmannschaftliche Lage in der Anfangsphase der Regionalligasaison werfen. Schaut man auf die Ergebnisse der ersten neun Spiele bis zur Länderspielpause, deutet sich ein recht durchwachsener Saisonbeginn an. Drei Siege, drei Niederlagen und drei Remis bei einem Torverhältnis von elf geschossenen zu viertzehn kassierten Toren konnte die U23 verbuchen. Anders als in der vergangenen Saison, in die man mit sechs Siegen aus den ersten sieben Spielen sehr erfolgreich gestartet war, glich die Anfangsphase dieser Saison eher einem Auf und Ab. Denn den zwei siegreichen ersten Spielen folgte eine Phase aus sechs Spielen in denen man sieglos blieb, darunter auch eine 2:5-Niederlage gegen den Berliner AK. Zuletzt konnte man sich wieder etwas fangen und die Spiele vor der Unterbrechung etwas erfolgreicher gestalten. Dennoch läuft in einigen Bereichen noch nicht alles wie gewünscht.
Ein paar mögliche Ursachen und Umstände dafür, dass bei der Mannschaft von Andreas „Zecke“ Neuendorf noch nicht alles optimal läuft, lassen sich aber herausarbeiten. Ein Grund dafür mag sicherlich der Umbruch im Kader sein, der in diesem Jahr besonders groß war. Insgesamt sieben Spieler aus der U19 sind nun fester Bestandteil der zweiten Mannschaft und müssen sich teilweise erst an den Männerfußball in der Regionalliga gewöhnen. In der verkürzten Vorbereitung fehlte außerdem Zeit, um sich als Team besser zusammenzufügen und das Zusammenspiel zu verbessern. Das Resultat: in der Mannschaft fehlt es an Abstimmung und man ist auf dem Platz noch nicht so gut aufeinander eingespielt. Ganz ähnliche Probleme also wie in der Profimannschaft von Bruno Labbadia.
Dass viele junge Spieler die Vorbereitung nicht in der zweiten Mannschaft mitmachten, sondern zunächst bei den Profis trainierten und teilweise eher spontan zum Team stoßen, mag ein weitere Ursache für dieses Problem sein. Darunter litt auch das Offensivspiel der Mannschaft, bei dem viel Wert auf gut abgestimmte und schnelle Kombinationen gesetzt wird. Man zeigte zwar fast nie eine schlechte Leistung, doch die aus den vergangenen Jahren bekannte offensive Wucht und Dominanz konnte man bis jetzt kaum zeigen. Trotz mehr Ballbesitz blieb man oft zu ungefährlich und zeigte sich defensiv wiederum anfällig. Die Länderspielunterbrechung könnte der zweiten Mannschaft hier jetzt entgegenkommen. Zwar muss man auch einige Spieler für die Jugendnationalmannschaften abstellen, jedoch ist die Zahl der Spieler hier deutlich geringer als beim Team von Bruno Labbadia. So kann man die Trainingszeit gut nutzen, um besser als Team zusammenzuwachsen und die Abstimmung zu verbessern, sodass man in der Tabelle wieder etwas nach oben klettert.
Erwartbare Inkonstanz
Der kleinere Leistungseinbruch soll hier aber auch gar nicht größer gemacht werden, als er war. In einer Krise befindet sich die Mannschaft keineswegs und eine gewisse Inkonstanz war sogar zu erwarten. Denn die Mannschaft ist das jüngste Team der Liga und gleicht in vielen Teilen eher einer U21 als einer U23. So ist nach dieser ersten Saisonphase unter den zehn Spielern mit den meisten Einsatzminuten nur ein Spieler gewesen, der älter als 21 ist. Und das ist der 30-jährige Kapitän Tony Fuchs. 16 Spieler aus dem Kader sind 19 Jahre alt oder jünger. Ein so junges Team darf Fehler machen.
Umso erstaunlicher ist es, dass man weiterhin nahezu jeden Gegner, was die Ballbesitz und Passzahlen angeht, dominiert. Und das gegen Spieler, die zum Teil zehn Jahre älter und körperlich deutlich weiter und robuster sind. Nur an offensiver Durchschlagskraft und Effizienz vor dem Tor mangelt es dem Team aktuell ein wenig. Aber auch das ist wenig überraschend, da der Toptorschütze der letzten Saison, Muhammed Kiprit, zum Drittligisten Uerdingen wechselte und Jessic Ngankam, Spieler mit den meisten Scorerpunkten in der letzten Saison, zuletzt vor allem bei den Profis zu finden war. Nachrückende Spieler benötigen meist etwas Zeit, um sich an das gesteigerte Niveau zu gewöhnen. Geduld ist gefragt und die bringt Trainer „Zecke“ Neuendorf mit.
Auffällige Einzelspieler
Abgänge und Umbruch bedeuten auch es gibt einige neue Gesichter, die sich nun in der Mannschaft von Zecke Neuendorf zeigen können. Wir wollen nun einen kurzen Blick auf einige Einzelspieler werfen, die über die letzten Wochen aufgefallen sind oder neu im Team sind.
Jonas Michelbrink
Michelbrink ist einer von nur drei Spielern, die bisher in jedem Spiel der Saison auf dem Platz standen. Diese Zeit nutzte er gut und machte mächtig auf sich aufmerksam. Michelbrink spielt in der U23 auf der Zehn und war in der letzten Saison Stammspieler in der U19. Dort stand er aber immer ein wenig im Schatten von Lazar Samardzic. Nun nutzte der 19-Jährige seine Chance und konnte besonders zu Saisonbeginn seine Stärken fantastisch auf den Platz bringen. Der gebürtige Hannoveraner bringt eine tolle Technik sowie eine gute und vor allem enge Ballführung mit. Das macht ihn für seine Gegenspieler schwer zu greifen und er kann sich auch im dicht besetzten Zentrum mit Ball am Fuß behaupten.
Außerdem verfügt er über eine gute Übersicht. Immer wieder gelingt es ihm mit seinem starken rechten Fuß seine Mitspieler gut einzusetzen und Gefahrensituationen zu kreieren. Wenn sich die Gelegenheit bietet, setzt Michelbrink auch gerne mal zu einem Dribbling an. Wie zum Beispiel am dritten Spieltag beim Auswärtsspiel gegen Chemie Leipzig als er mit einem tollen Dribbling an seinem Gegenspieler vorbeiging und so von links in den Strafraum eindringen konnte. Kurz vor dem Tor legte er dann überlegt zu Muhammed Kiprit rüber, der dann zum 1:0 verwandeln konnte.
In den letzten Spielen zeigte Jonas Michelbrink sich nicht mehr ganz so auffällig, gehörte aber definitiv zu den besseren Spielern im Team. Insgesamt ist Michelbrink aber ein Spieler, der das Offensivspiel der U23 mit seiner Kreativität beleben kann und dem zurzeit recht dezimierten Regionalligapublikum mit seinen Aktionen immer wieder ein Raunen entlockt. Schafft er es, sich auch in schwierigen Spielen noch mehr zu zeigen, kann man mit einer tollen Saison bei der U23 von ihm rechnen. Seine gute Leistung wurde nun auch von Cheftrainer Bruno Labbadia honoriert indem er Michelbrink während der Länderspielpause erste Trainingseinheiten bei den Profis mitmachen ließ.
Luca Netz
Netz gilt als eines der größten Talente bei Hertha und sogar in Deutschland. Hinter ihm liegt ein turbulenter Sommer mit einer Verletzung, einer Auszeichnung mit der Fritz-Walter-Medaille und seiner ersten Saisonvorbereitung bei den Profis. Als die Saison bei den dann Profis begann, sammelte Luca Netz seine ersten Einsätze bei der zweiten Mannschaft, um Spielpraxis zu bekommen. Netz ist der einzige Spieler aus dem 2003er-Jahrgang im Team von „Zecke“ Neuendorf und er könnte mit seinen 17 Jahren eigentlich noch bei der U17 spielen.
Drei Spiele machte der Linksverteidiger bisher in der Regionalliga und konnte seine Qualitäten bereits recht gut einbringen. Er ist ein Linksverteidiger, der sich sehr gerne am Offensivspiel beteiligt und immer wieder tief in der gegnerischen Hälfte zu finden ist. Mit Ball sucht er gerne den direkten Weg in den Sechzehner, auch mal mit einem cleveren Dribbling, oder zur Grundlinie. So kommt er gut in Positionen aus denen er gefährliche Hereingaben ins Zentrum spielen kann. Besonders im Spiel gegen den Chemnitzer FC am 8. Spieltag konnte mehrfach solche Hereingaben von ihm beobachten. Halbherzige Halbraumflanken sieht man also von ihm eher weniger.
Um rechtzeitig wieder auf seine Position im Spiel gegen den Ball zu kommen, verfügt er über das nötige Tempo und ist außerdem recht laufstark. Er muss bei seiner Defensivarbeit aber noch etwas konsequenter werden. Die Regionalliga ist da sicher ein guter Zwischenschritt für ihn, um auch sein Zweikampfverhalten noch zu verbessern.
Ruwen Werthmüller
Werthmüller kam genau wie Michelbrink dieses Jahr von der U19 zur zweiten Mannschaft von Hertha BSC und stand ebenfalls bisher in jedem Spiel auf dem Platz. Er spielt bevorzugt im Sturmzentrum oder auf der linken Außenbahn. Seine größte Stärke ist sicherlich seine hohe Endgeschwindigkeit gepaart mit einem guten Antritt. So kann er immer wieder zu gefährlichen Tiefenläufen ansetzten und sorgt besonders dann für Gefahr, wenn er mit hoher Geschwindigkeit auf das gegnerische Tor oder die Abwehr zu laufen kann. Wie zum Beispiel am ersten Spieltag, als Lok Leipzig in der Schlussphase noch einmal Druck machte, aber der eingewechselte Werthmüller bei einem Konter denn Ball entscheidend in Richtung des Strafraums trieb und so das entschiedene 3:1 vorbereitete.
Da Hertha jedoch sehr häufig gegen tiefstehende Gegner spielt, kommt es nicht allzu oft zu solchen Situationen. Das Kombinationsspiel und die Technik gehören nicht zu Werthmüllers größten Stärken. So gab es Spiele, in denen er kaum auffiel und wenig Gefahr ausstrahlte. Und auch vor dem Tor muss der Schweizer noch effizienter werden. Unter Trainer Neuendorf erhält die nötige Spielpraxis, um sich in diesen Bereichen noch zu verbessern und weiterzuentwickeln.
Pal Dardai, Ante Covic, Michael Hartmann – in den vergangenen Jahren haben immer wieder ehemalige Hertha-Spieler ihr Handwerk als Trainer bei Hertha BSC gelernt. So auch seit ein paar Jahren Andreas „Zecke“ Neuendorf. Wir werfen einen Blick auf seine Arbeit bei der U23 und seine Perspektive.
Als Ante Covic am 1. Juli 2019 als neuer Cheftrainer von Hertha BSC vorgestellt wurde, war das nicht nur für die Profimannschaft ein einschneidender Wechsel. Auch in der zweiten Mannschaft sollte nun nach sechs Spielzeiten unter Covic erstmals ein neuer Trainer an der Seitenlinie stehen. So übernahm Andreas Neuendorf, der zuvor die U17 trainiert hatte, das Amt des Cheftrainers der U23.
Erste Schritte als Trainer
Als Spieler absolvierte Neuendorf insgesamt rund 200 Bundesligapartien für Leverkusen und Hertha. Brilliert hat der Mittelfeldspieler jedoch nur selten. Über seine Zeit als Fußballprofi sagt er selbst: „Ich war nie der grandiose Spieler. Ich war ein ordentlicher Mitspieler“. Und tatsächlich bleiben bei einem Blick auf „Zecke“ Neuendorfs Spielerkarriere neben den sportlichen Erfolgen vor allem die Ereignisse und Geschichten abseits des Platzes im Kopf, die den Mann mit verschmitztem Grinsen und Berliner Schnauze zum Publikumsliebling machen.
Im Sommer 2014 startete Neuendorf dann seine Trainerkarriere und führte den damaligen Landesligisten BFC Preussen direkt im ersten Jahr überraschend zum Aufstieg. Ein Jahr später übernahm der Ex-Herthaspieler einen Trainerposten in der U15 der „Alten Dame“. Nach zwei Spielzeiten wechselte er zur U17 des Vereins und trainierte dort unter anderem die vielversprechenden Talente Marton Dardai, Omar Rekik und Lazar Samardzic. Zweimal in Folge landete er mit der U17 auf dem zweiten Tabellenplatz der B-Junioren Bundesliga. Im Sommer 2019 folgte der nächste Schritt in seiner Trainerkarriere. Er übernahm den Trainerposten bei der 2. Mannschaft von Hertha BSC und beerbte so Ante Covic. Seine erste Saison bei der U23 lief dabei auch recht erfolgreich. Insgesamt neun Spieltage stand man auf dem ersten Tabellenplatz der Regionalliga Nordost, spielte um den Aufstieg mit und schoss in 24 Spielen 59 Tore (Spitzenwert). Für den Aufstieg reichte es am Ende dennoch nicht und man landete auf einem soliden 5. Platz.
Neuendorf ist gleichzeitig auch als Karrierecoach tätig. Er soll die besten Jugendspieler auf dem Weg in die Profimannschaft fördern. Dabei kann „Zecke“ wohl auch von seinen Erfahrungen als Spieler zehren und aufzeigen, wie man es vielleicht auch nicht macht. Angesprochen auf die vier besten Spieler, mit denen Kevin-Prince Boateng jemals zusammengespielt hat, nannte der Berliner Junge überraschend auch Neuendorf. „Ohne Spaß. Er war unglaublich”, schwärmte der ehemalige Herthaner: “Es kann sich keiner vorstellen, was er im Training gezeigt hat. Er war vielleicht bei 20 Prozent. ‘Zecke’ hätte locker einer der besten deutschen Fußballer jemals werden können.” Solch Potenzial auszuschöpfen ist nun die Aufgabe des gereiften Neuendorfs, der sein Wissen an die Jugend weitergeben kann. Bereits Ante Covic sagte, dass er sich seine zu lockere Art als Spieler in der Entwicklung als Trainer ausgetrieben hatte und nun umso motivierter wäre, 100 Prozent aus sich und den Spielern herauszuholen.
U23: Zwischen Spielerentwicklung und jährlichem Umbruch
Die U23 fungiert bei Hertha BSC als eine Schnittstelle zwischen der Nachwuchsabteilung des Vereins und der Profimannschaft. Talente sollen sich hier auf höherem Niveau entwickeln können, sodass sie sich dem professionellem Männerfußball annähern. Häufig haben Jugendspieler nach ihrer Zeit bei der U19 noch Vertragszeit beim Verein und es steht noch nicht fest, ob es für den Profifußball reichen wird. Das entscheidet sich dann in häufig in der zweiten Mannschaft. Ein sehr aktuelles Beispiel hierfür ist Jessic Ngankam. Dieser überzeugte bereits während seiner Zeit in der U19, für den Sprung in die Profimannschaft war er aber noch nicht weit genug. Also sammelte er in der U23 Spielzeit und konnte sich dort weiter verbessern. Labbadia holte ihn daraufhin zur Profimannschaft, in der er nun vorerst fest eingeplant zu sein scheint.
Die Aufgabe des Trainers der zweiten Mannschaft ist es also Talenten Spielzeit in einer stärkeren und körperlich robusteren Liga zu geben und sie weiterzuentwickeln. Es ist Unterschied, ob ich gegen 17- bis 19-Jährige spiele, oder aber gegen die erfahrene 30-jährige Regionalliga-Kante. Dazu müssen sie ihren Stärken entsprechend bestmöglich in die Mannschaft und das System eingebunden werden. Gleichzeitig soll der sportliche Erfolg nicht ausbleiben. Unterstützt wird Neuendorf bei seiner Arbeit von den Assistenztrainern Malik Fathi, der ebenfalls als Spieler bei Hertha aktiv war, und Levent Selim.
Eine zusätzliche Herausforderung stellt dabei die hohe jährliche Fluktuation im Kader dar. In den letzten vier Jahren verließen immer mindestens zehn Spieler die Mannschaft. Die meisten davon, weil sie keine sportliche Perspektive im Verein hatten. Die entstandenen Lücken im Kader werden dann zum größten Teil mit Spielern aus der eigenen Jugend gefüllt. In diesem Sommer kamen zum Beispiel Jonas Michelbrink und Jonas Dirkner zur Mannschaft und sind direkt gesetzt. Besteht dann für bestimmte Positionen immer noch Bedarf, schaut man sich nach externen Neuzugängen um. So kam für die Saison 2020/2021 zum Beispiel Cihan Kahraman vom Berliner AK als Verstärkung für das zentrale Mittelfeld. Drei erfahrene Spieler komplettieren aktuell den Kader der zweiten Mannschaft. Tony Fuchs (Kapitän), Bilal Cubuckcu und Rico Morack sollen die jungen Spieler an die Hand nehmen und der Mannschaft mit ihrer Erfahrung weiterhelfen.
Im Kader der 2. Mannschaft gibt es also nahezu jedes Jahr einen größeren Umbruch und viele Personalwechsel. Dennoch schaffte man es in den letzten Jahren konstant in die obere Tabellenhälfte der Regionalliga Nordost. Aber auch innerhalb der Saison gibt es immer wieder Veränderungen im Kader. Häufig bekommen Spieler aus der Profimannschaft spontan Einsatzzeiten bei der U23, um im Spielrhythmus zu bleiben oder um nach einer Verletzung Spielpraxis zu sammeln. So machten Jordan Torunarigha und Alexander Esswein in der letzten Saison jeweils zwei Spiele für die Regionalligamannschaft. Genauso werden immer wieder Spieler aus der U19 für einige Spiele hochgezogen, um sich auf höherem Niveau ausprobieren zu können. Lazar Samardzic und Marton Dardai sind hier Beispiele aus der vergangenen Saison. So kommt es nur selten vor, dass in zwei aufeinanderfolgenden Spielen die gleiche Startelf auf dem Platz steht.
Variabel, mutig, offensiv
Diese Gegebenheit wirkt sich auch auf das Spielerische aus und erfordert eine hohe Flexibilität im System. Diese bringt Neuendorf mit und ließ seine Mannschaft in der Saison 2019/2020 in verschiedensten taktischen Formationen auflaufen. Man agierte zu Beginn der Saison häufig in einem System mit Dreierkette, zum Beispiel dem 3-5-2. Am häufigsten ordneten sich die Spieler über die Saison aber in einem sehr offensiven 4-4-2 an. Aber auch ein 4-2-3-1 oder ein 3-4-3 ließ der Ex-Herthaspieler spielen. Den Spielstil seiner Mannschaft bezeichnet Neuendorf als passend zu Berlin und als „frech und mutig“. Das trifft durchaus zu, denn gegen die zahlreichen etablierten Traditionsvereine in der Liga spielt man einen mutigen Offensivfußball. Man zeigt mit unter das beste Positions- und Ballbesitzspiel der Liga und ist den meisten Teams auch technisch weit überlegen. Gegen tiefstehende Gegner versucht man mit vielen Positionswechseln und Rochaden zu arbeiten. Gleichzeitig probiert man den Gegner zu locken und Lücken zu finden.
Unter Druck legt man viel Wert auf einen flachen und geordneten Spielaufbau. Selbst wenn man stark gepresst wird, versucht man sich noch spielerisch zu befreien und zeigt sich dabei recht kombinationssicher. Im späteren Spielverlauf fehlt der Mannschaft manchmal die Konzentration und Ausdauer, sodass sich hin und wieder Fehler einschleichen. Überspielt man die erste Linie geht es zumeist darum die schnellen Offensivspieler, die man mit Ngankam, Palko Dardai, Maurice Covic und Ruwen Werthmüller zur Verfügung hat/hatte, einzusetzen. Dabei sollen die Spieler immer wieder in Eins-gegen-eins-Situationen kommen, um die individuelle Überlegenheit des Kaders auszunutzen. Diese Stärken kann man auch im Umschaltspiel nach Ballgewinn immer wieder gut auf den Platz bringen.
Schafft man es seinen Spielstil gut auf den Platz zu bringen, zeigt die Mannschaft einen sehr attraktiven und temporeichen Offensivfußball. Neuendorf scheut sich dabei auch nicht davor viel Offensivpersonal auf den Platz zu schicken. Das birgt jedoch immer ein gewisses Risiko und so konnte man in der letzten Saison zahlreiche Torspektakel beobachten. Man schoss in der letzten Saison zum Beispiel in vier Spielen fünf oder mehr Tore. Besonders zum Ende der Saison fehlte es der Mannschaft aber an Konstanz und Balance zwischen Offensive und Defensive. Immer wieder kassierte man Tore, nachdem man sehr weit aufgerückt war. Entweder nach einem Ballverlust, bei dem das Gegenpressing nicht erfolgreich war. Oder nachdem das eigene hohe Pressing überspielt wurde.
Gegen den Ball zeigen sich die Blau-Weißen nämlich ebenfalls sehr aktiv. Neuendorf möchte mit seinem Team frühe Ballgewinne erzielen und das Gegnerteam aus der eigenen Hälfte fernhalten. Spätestens ab der Mittellinie wird der Gegner unter Druck gesetzt und situativ wird hoch gepresst. Das auch meist sehr erfolgreich. Hin und wieder ist man jedoch gezwungen etwas tiefer zu stehen. Dort gelingt es der Mannschaft nicht immer Zugriff auf die Gegenspieler zu erhalten und ist etwas anfälliger.
Wie genau sich die Mannschaft taktisch ausrichtet, hängt stark von dem Personal ab, das auf dem Platz steht und natürlich auch vom Gegner. Zumeist wird aber ein sehr aktiver Ansatz gewählt. Neuendorf schafft es sehr gut seine Spieler sowohl zu fordern, als auch in Situationen zu bringen, die ihnen besonders gut liegen. So kann man seine Arbeit bisher positiv bewerten. Sportlich zeigt er sich mit seinen Teams stets erfolgreich und schaffte es auch Spieler weiterzuentwickeln und an den Profibereich heranzuführen. Dafür sprechen auch die zahlreichen Spieler, die zwar nicht bei der Hertha den Weg in Profibereich gefunden haben, sondern an anderer Stelle. Die aktuellsten Beispiele hierfür sind Dennis Smarsch (Wechsel zu St. Pauli), Luis Klatte (Wechsel zu Hansa Rostock) und Niko Bretschneider (Wechsel zum MSV Duisburg), die allesamt in der letzten Saison Spiele für die zweite Mannschaft gemacht haben.
Zu Beginn der neuen Saison gelang es nur teilweise seine Offensivstärke auf den Platz zu bringen. Dennoch zeigt man sich erneut recht erfolgreich und geht mit zwei Siegen und einem Unentschieden aus den ersten drei Spielen. Und das obwohl man sich laut Neuendorf eigentlich noch in der Vorbereitung befindet.
Pal Dardai, Ante Covic und bald „Zecke“ Neuendorf?
Der Karriereweg eines Trainers lässt sich in der Regel kaum voraussagen. Aktuell arbeitet Neuendorf an seinem Schein zum Fußballlehrer und hospitierte dafür unter anderem bei Bruno Labbadia in der ersten Mannschaft. Mit dieser Lizenz dürfte der ehemalige Herthaspieler dann auch eine Profimannschaften trainieren. Die Saison 2020/2021 wird Neuendorf definitiv auf der Trainerbank der zweiten Mannschaft verbringen. Aktuell ist davon auszugehen, dass er diese Position auch noch eine Weile bekleiden wird. Wo es Neuendorf langfristig hinführt, lässt sich schwer sagen. „Ich kann mir vorstellen, dass ich irgendwann bei einem Bundesligisten im Trainerteam bin“, sagte er vor zwei Jahren der „11 Freunde“. Ob das als Chef- oder Co-Trainer sein wird und bei Hertha oder bei einem anderen Verein, wird sich zeigen.
Neuendorf scheint jedoch fest in Berlin und bei Hertha BSC verankert zu sein. So unterstützte er zuletzt die Fan-Initiative „Aktion Herthakneipe“ und bezeichnet sich selbst als Herthafan. Gleichzeitig ist er bei den Fans des Hauptstadtklubs sehr beliebt und wird häufig als „echtes Original“ oder „richtiger Berliner“ gefeiert. Umso schöner wäre es, wenn er dem Verein möglichst lange erhalten bleibt.
Der direkte Sprung zum Cheftrainer von Hertha BSC wird Neuendorf, anders als einem Dardai oder Covic, in den nächsten Jahren wohl verwehrt bleiben. Nachdem sich Covic zuletzt als Fehlgriff herausstellte und die Ansprüche in Berlin seit dem Windhorst-Engagement stark gestiegen sind, wirkt eine interne Lösung für den Cheftrainerposten in Zukunft eher unrealistisch. Zudem hat Bruno Labbadia noch mindestens zwei Jahre Vertrag bei der Hertha. Neuendorfs nächste Station wird also vermutlich entweder bei einem anderen Verein liegen oder er wird eine Alternativposition zum Cheftraineramt bei Hertha übernehmen.
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