Das Problem mit Profiverträgen für Jugendspieler
In der vergangenen Woche unterzeichnete Youngster Linus Gechter seinen ersten Profivertrag bei Hertha BSC. Der 18-jährige Innenverteidiger ist wahrscheinlich DIE Entdeckung bei der „Alten Dame“ in diesem Jahr. Nachdem mit Lazar Samardzic (2020 zu RaBa Leipzig) und Luca Netz (2021 zu Mönchengladbach) die letzten beiden Eigengewächse sehr früh wechselten, war die Befürchtung groß, dass auch der nächste Nachwuchsstar den Verein für eine vergleichsweise kleine Ablöse verlässt. Doch warum musste Hertha Spieler wie Samardzic und Netz eigentlich trotz bestehendem Vertrag so einfach ziehen lassen, obwohl man sie gerne behalten hätte?
Disclaimer: Wir haben keinen Einblick in die Interna oder Verträge der Spieler. Es kann natürlich sein, dass die genaue Rechts- und Vertragslage anders aussah, als wir sie hier beschreiben. Dieser Artikel stützt sich auf die allgemeinen (verbands-)gesetzlichen Regelungen zum Thema von Verträgen bei Jugendspielern.
Toptalente bei Hertha – der Sprung zu den Profis klappt oftmals nicht
Hertha BSC bildet schon seit Jahren regelmäßig gute und sehr gute Jugendspieler aus. Vor allem die „Goldene Generation“ des Jahrgangs 1999, die im Jahr 2018 den ersten deutschen Meistertitel der A-Junioren für Hertha gewonnen hat, sorgte für viel Aufsehen. In der Bundesliga oder einer anderen Top-Liga konnte sich von ihnen jedoch keiner von ihnen nachhaltig durchsetzen. Der bis heute prominenteste Spieler ist wahrscheinlich Arne Maier, der in diesem Jahr nach Augsburg verliehen ist und noch immer auf den wirklich großen Durchbruch wartet. Auch Jessic Ngankam (momentan an Fürth verliehen) und Dennis Schmarsch (spielt beim FC St. Pauli) konnten bisher nur bedingt Spuren hinterlassen. Andere gepriesene Talente wie Muhammed Kiprit und Palko Dardai spielen im Ausland oder unterklassigen Ligen.
Groß war daher die Freude bei den Fans, als man mit Lazar Samardzic (Fritz-Walter-Medaille in Bronze 2019) und Luca Netz (Fritz-Walter-Medaille in Bronze 2020) in den Folgejahren erneut einige der Toptalente Deutschlands im eigenen Verein hatte. Vielleicht würde es ja diesmal anders laufen als mit der „Goldenen Generation“ und der Sprung der Youngster zu den Profis endlich mal klappen. Doch die Chance dazu sollte sich nicht einmal ergeben: Beide wechselten in zwei aufeinanderfolgenden Sommern zu größeren Vereinen, bevor sie versuchten sich bei Hertha endgültig durchzusetzen.
Trotz bestehender Verträge bei den Blau-Weißen lag es nicht in der Macht der Verantwortlichen, Netz und Samardzic zu halten und man musste beide für vergleichsweise geringe Ablösesummen ziehen lassen. Dass man es in diesem Jahr geschafft hat, Rohdiamant Gechter langfristig zu binden, dürfte die Fans von Hertha BSC daher sehr glücklich stimmen.
Die Gesetzeslage in Deutschland bezüglich der Verträge Minderjähriger
Doch warum genau konnten Netz und Samardzic so einfach wechseln? Durften sie als minderjährige Nachwuchsspieler keine langfristigen Profiverträge unterschreiben, die Hertha im Falle eines Wechselwunsches eine stärkere Position gegeben hätten? Gemäß §106 des BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) ist ein Minderjähriger ab dem 7. Geburtstag sogenannt „beschränkt geschäftsfähig“. Er darf daher mit Hilfe von Sonderregeln Geschäfte tätigen und dementsprechend auch Verträge abschließen.
Eine dieser Sonderregeln findet sich in §107 BGB: So bedarf es für den Abschluss eines Vertrages grundsätzlich der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters. Dies sind im Normalfall die Eltern des Minderjährigen. Sobald diese einem Vertragsschluss zustimmen bzw. genehmigen, steht der Wirksamkeit dieses Vertrages quasi nichts im Weg. Die Art des Vertrages und der wirtschaftliche Umfang spielen dabei keine Rolle. Eine minderjährige Person dürfte mit der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters theoretisch ein Haus kaufen, eine Megajacht mieten oder ein Arbeitsverhältnis abschließen.
Und da Profiverträge zwischen Spielern und Vereinen im Grunde genommen auch nur Arbeitsverträge darstellen, dürfte auch ein minderjähriger Spieler ein langfristiges Arbeitspapier bei einem Fußballklub abschließen, solange die Eltern oder ein entsprechender anderer gesetzlicher Vertreter dem Ganzen zustimmt. Die Gesetzeslage ließe ein solches Vorgehen in Deutschland also zu.
Verbandsregeln von DFB und FIFA im Verhältnis zu den staatlichen Gesetzen
Das genaue Verhältnis vom Verbandsrecht des DFB und der FIFA zum allgemeinen vom Staat gesetzten Recht und dem Europarecht ist äußerst komplex. Im Rahmen dieses Beitrags wird daher nur auf die folgenden, stark vereinfachten Grundsätze eingegangen: Die vom Gesetzgeber erlassen Regelungen stellen meist nur den „äußersten Rahmen“ der Regeln unseres Zusammenlebens dar. Private Akteure (egal ob natürliche oder juristische Personen) sind vielfach in der Lage, strengere Normen als die vom Gesetz geforderten aufzustellen.
So ist beispielsweise der Verkauf von starkem Alkohol grundlegend erst an volljährige Personen (sprich ab dem 18. Geburtstag) gestattet. Ein Kioskbesitzer könnte theoretisch dennoch beschließen, dass er seine alkoholischen Produkte erst an Personen ab dem 21. Lebensjahr verkauft. Ob dies auf seinen Umsatz bezogen eine gute Idee von ihm ist, mag dahinstehen und ist schlussendlich seine Entscheidung. Er kann allerdings von niemandem gezwungen werden, seine alkoholischen Produkte an einen 19-jährigen zu veräußern. Daher kann der DFB als Verein strengere Vorschriften als die allgemeinen Regeln des BGB aufstellen.
Des Weiteren ist der DFB aufgrund des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit gem. Art. 9 des Grundgesetztes im Rahmen der sog. „Verbandsautonomie“ berechtigt, innerhalb des Verbands Sonderregeln aufzustellen. Die DFL (und damit Hertha BSC) wiederum hat sich im Rahmen diverser Vereinbarungen, unter anderem des „Grundlagenvertrag zwischen DFB und DEL e.V.“ den Regelungen des DFB unterworfen.
Aufgrund dieser Verbandsautonomie ist es dem DFB beispielsweise gestattet, die Teilnahme an seinen Wettbewerben an gewissen Regeln wie dem Lizensierungsverfahren der Profiklubs zu knüpfen. Er kann seine Mitglieder zu bestimmten Verhaltensweisen, wie zum Beispiel einem sportlichen Verhalten auf dem Spielfeld, anweisen und das Nichtbefolgen unter Strafen stellen. Gleichzeitig muss der DFB sich als Mitglied der FIFA den Regeln ebenjener unterordnen. Aus diesem Grund müssen die Mitgliedsvereine der DFL Regeln wie die Abstellungspflicht für Länderspiele akzeptieren und dürfen Nationalspieler die Reise zu den entsprechenden Spielen nicht verwehren.
Das „3+2“-Modell der Profivereine
Einige mögen sich jetzt fragen, was die ganze Thematik denn mit Profiverträgen für Jugendspieler zu tun hat. Die Antwort ist sehr simpel: Der DFB hat in §22 Nr. 7.1 seiner Spielordnung (der sich die Vereine wie oben bereits beschrieben unterordnen müssen) geregelt, dass mit minderjährigen Spielern lediglich Förderverträge abgeschlossen werden dürfen. Aufgrund von §22 Nr. 1 der Spielordnung ist die Laufzeit eines Vertrags mit einem Spieler unter 18 Jahren zusätzlich auf maximal drei Jahre beschränkt. Für alle volljährigen Spieler beträgt die maximale Laufzeit hingegen fünf Jahre.
Die gängige Praxis der deutschen Profivereine ist daher, das sogenannte „3+2“-Modell zu nutzen. Dies bedeutet, dass mit dem Spieler ein dreijähriger Fördervertrag mit der Option auf einen zweijährigen Anschlussvertrag ab Eintritt in die Volljährigkeit geschlossen wird. Mit Blick auf die Regeln des BGB zum Minderjährigenschutz (siehe oben) ist dieses Vorgehen wie bereits auch dargestellt auch zulässig, solange der gesetzliche Vertreter diesem Vertrag zustimmt.Es ist stark zu vermuten, dass sich Hertha BSC ebenfalls dieses Modelles bedient. Mit den Spielern der Akademie wird also mit Eintritt in die U15 bzw. U16 ein solcher Fördervertrag inkl. Anschlussvertrag unterschrieben, der sie im Regelfall bis zum Saisonende der Saison, in der sie 20 Jahre alt werden an den Verein bindet.
Damit wäre jedoch noch immer nicht geklärt, warum Hertha Spieler wie Netz und Samardzic bereits kurz nach ihrem 18. Geburtstag ziehen lassen musste. Bei zwei Jahren verbleibender Vertragszeit haben Verein üblicherweise die Karten in der eigenen Hand und können eine deutlich höhere Ablösesumme verlangen, als dies bei einer einjährigen Restlaufzeit der Fall wäre.
Der Bruch des DFB mit den FIFA-Regeln
Hier kommt jedoch das Reglement der FIFA ins Spiel, welches im Falle einer Kollision mit den Verbandsregeln des DFB den Vorzug erhalten würde. Das bedeutet konkret: Die FIFA stellt in Artikel 18.2 ihres Regelwerkes eindeutig klar: „Für Spieler unter 18 Jahren beträgt die maximale Laufzeit eines Vertrags drei Jahre. Klauseln mit längerer Laufzeit werden nicht anerkannt.“
Dies hat zur Folge, dass das „3+2“-Modell streng genommen einen Rechtsbruch gegenüber den Regeln der FIFA darstellt, da der zweijährige Anschlussvertrag als eine “Klausel mit längerer Laufzeit“ zu interpretieren ist. Dies ist dem DFB, der DFL und den Vereinen natürlich bewusst. Die Nachwuchskicker haben demzufolge ein starkes Instrument an der Hand, um einen Wechsel kurz nach Eintritt in die Volljährigkeit zu forcieren.
Sollte ein Verein auf Erfüllung des zweijährigen Anschlussvertrages bestehen, könnte ein Jugendspieler diesen vermutlich mit großer Erfolgsaussicht im Rahmen eines Rechtsstreits beseitigen können. Um ein solches Szenario und die Erschaffung eines Präzedenzfalls zu vermeiden, nehmen die Vereine in diesem Fall lieber Abstand von diesem fragwürdigen Vertragskonstrukt und lassen die Spieler für eine vergleichsweise geringe Ablöse ziehen.
Perspektive bieten statt angreifbare Verträge abschließen
Der Grund für Erzwingung der Wechsel von Spieler wie Samardzic und Netz findet sich also recht klar im Reglement des Fußballweltverbandes. Die Vereine haben dadurch rechtlich eher wenig Macht über den Verbleib ihrer ausgebildeten Talente. Im Sinne des Schutzes der minderjährigen und von allen Seiten leicht beeinflussbaren Jugendspieler vermutlich eine sinnvolle Regelung, um einer Übervorteilung durch die Vereine entgegen zu wirken. Dass dadurch andere Vereine oder von finanziellen Interessen getriebene Eltern und Berater in eine starke Verhandlungsposition rücken, ist leider die Kehrseite der Medaille.
Den Ausbildungsvereinen wie Hertha bleibt jedoch ein anderes Mittel, die Spieler zu halten: Durch das Aufzeigen einer klaren Perspektive und einer aktiven Einbindung in den Profikader. Sofern der Spieler die Aussicht auf eine sportlich zielführende Weiterbildung im Ausbildungsvereine sieht, gibt es für ihn deutlich weniger Gründe zu wechseln, als wenn er die Befürchtung hat nicht auf die Einsatzzeiten zu kommen, die gerade für einen jungen Spieler so eminent wichtig sind. Und nach den Entwicklungen der Talente rund um die „Goldene Generation“ kann es durchaus nachvollziehbar sein, dass Samardzic und Netz ungeachtet der finanziellen Gründe auch einen sportlichen Anreiz hatten, Hertha BSC zu verlassen.
Es liegt damit in der Verantwortung der sportlichen Leitung, des Managements und auch der Trainer, Talente an den Verein zu binden und eine Perspektive aufzuzeigen. Bei Linus Gechter und auch Spielern wie Marton Dardai war dieses Vorgehen anscheinend mit Erfolg gekrönt. Es bleibt zu hoffen, dass der Staff rund um Fredi Bobic und Pablo Thiam (Leiter der Akademie) diesen Weg weiter ebnet und ausbaut. Denn nur in diesem Fall werden sich die kommenden Toptalente für ein langfristiges Engagement auch über den 18. Geburtstag hinaus bei Hertha BSC begeistern können.
Wer sich für viele weiteren Themen der rechtlichen Grundlagen rund um die Bundesliga bzw. Profifußball generell interessieret, dem kann ich übrigens diesen Beitrag auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung wärmstens empfehlen.
[Titelbild: Frederic Scheidemann/Getty Images]
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