Herthaner im Fokus: Hertha scheitert an sich selbst
Zwei Handelfmeter gegen sich bekommen, einen maximal unnötigen Platzverweis kassiert und am Ende gegen einen schlagbaren Gegner mit 0:1 verloren. Nach dem 3. Spieltag der Fußball-Bundesliga sieht es für die Hertha alles andere als rosig aus. Und doch ist die Stimmung nicht so schlecht, wie es die Punkteausbeute vermuten lässt. „Heute fühl ich mich nicht unbedingt als Verlierer“, sagte beispielsweise Abwehrchef Marc Oliver Kempf nach dem Spiel im Interview bei DAZN. In Berlin scheint eine neue Erwartungshaltung eingekehrt zu sein, die aktuell definitiv hilfreich ist, denn in Aktionismus zu verfallen und radikale Konsequenzen zu fordern wäre so früh in der Saison fehl am Platz. Gegen Borussia Mönchengladbach zeigte sich das Team von Sandro Schwarz wieder gut geordnet, mit Zug zum Tor und vor allem wach. Man konnte stückweise sogar von den nächsten Fortschritten sprechen. Doch eine starke Teamleistung fiel am Ende individuellen Fehlern zum Opfer.
Eine Achse bei Hertha findet sich
Sandro Schwarz scheint eine Startelf gefunden zu haben für die Hertha. Gegen Borussia Mönchengladbach stellte er dasselbe Personal wie schon gegen Eintracht Frankfurt auf. Im Tor Oliver Christensen, die Verteidigung davor bestand aus Maximilian Mittelstädt, Marc Oliver Kempf, Filip Uremovic und Jonjoe Kenny. Im zentralen Mittelfeld agierten erneut Ivan Sunjic, Lucas Tousart, der wieder als Kapitän auflief und Suat Serdar, der sich mittlerweile als einer der stärksten Dribbler der Liga bezeichnen darf. In der Offensive vertraute Schwarz auf Chidera Ejuke auf links, Dodi Lukebakio auf rechts und Wilfried Kanga im Mittelsturm.
Eine tolle Nachricht war die Rückkehr von Marco Richter in den Kader. Nach überstandenem Hodentumor durfte er zumindest wieder auf der Bank Platz. In unserer heutigen Analyse schauen wir auf eine spannende Entwicklung in der Offensive, die Entwicklung der Führungsspieler, einen Torwart, der sich endlich auszeichnen konnte und leider auch die immer wiederkehrenden individuellen Fehler.
Dodi Lukebakio: Auf und neben dem Platz wichtiger denn je
Kaum zu glauben, aber es ist wahr. Dass Dodi Lukebakio nochmal ein wichtiger Spieler werden würde für die Hertha, hätte vor einem Jahr und schon gar nicht nach seiner durchwachsenen Leihe nach Wolfsburg niemand gedacht. Mittlerweile gibt der Belgier sogar Interviews, spricht über das Team, lobt seine Mitspieler und zeigt, wie wichtig ihm die neue Mission ist. Mit Sandro Schwarz hat er möglicherweise den richtigen Förderer gefunden, der an den entscheidenden Stellschrauben zu drehen wusste. In Mönchengladbach war Lukebakio Herthas gefährlichster Spieler in der Offensive.
Er gab vier Torschüsse ab und konnte dabei auf ein ganzes Repertoire seiner Stärken zurückgreifen und von neuen profitieren. Bereits in der 4. Minute zeigte er seine Bissigkeit, ging direkt in den Zweikampf und nutze gegen die mitlaufenden Verteidiger seine Schnelligkeit. Einzig am Abschluss haperte es in dieser Szene. In der 43. Minute konnte er – von Ivan Sunjic gut in Szene gesetzt – seine spielerische Klasse zeigen und ins Dribbling gegen die Verteidigung gehen. Doch auch hier war sein Abschluss das Manko. In der 56. Minute versuchte er es Wilfried Kanga mit ins Spiel zu nehmen, doch sein Pass auf den Sturmkollegen wurde von der Verteidigung der „Fohlen“ zur Ecke geklärt. Eine der wenigen Chancen, in der man Lukebakio eher einen Abschluss als die Ballabgabe zugestehen wollte.
Ansonsten macht der Rechtsaußen seine Sache gut. 9,36 km Laufleistung sind für den manchmal faulen Lukebakio eine gute Strecke. Vor allem weil es immer mehr Szenen zu verzeichnen gibt, in denen er mit nach hinten arbeitet. Insgesamt war er 35 Mal am Ball und konnte acht seiner zwölf Pässe bei den Mitspielern unterbringen. Seine Zweikampfstatistik fällt mit vier von elf gewonnen Situationen etwas ab. Zusätzlich konnte er drei von sechs Dribblings erfolgreich durchführen. Dodi Lukebakio wirkt aktuell wie ausgewechselt. Einziges Thema scheint aktuell die Chancenverwertung zu sein. Doch bemüht er sich weiterhin so wie zuletzt in Mönchengladbach oder gegen Eintracht Frankfurt ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wirklich Zählbares bei rauskommt. Es wäre ihm und Hertha zu wünschen, dass im Laufe der Saison aufkommender Druck nicht zu Rückfällen in alte Zeiten führen würde.
Filip Uremovic und Maximilian Mittelstädt: Individuelle Blackouts schaden Hertha
Es ist schwierig zu greifen. Das Team konnte in Mönchengladbach eine gute Leistung abliefern. „Doch irgendwas ist immer“, wagt man als Herthaner fast schon zu sagen. Auch Filip Uremovic und Maximilian Mittelstädt spielten eine akzeptable Partie. Doch am Ende stehen sie als Verlierer der Partie da. Ihre individuellen Fehler machten zunichte, was das Team gemeinsam aufbaute. Doch beim Weg nach Oben heißt es natürlich auch Rückschläge zuzulassen und daraus zu lernen.
Filip Uremovic spielte bis zur 69. Minute in der Innenverteidigung neben Marc-Oliver Kempf. Und er machte seine Arbeit nicht schlecht. Er gewann 80 Prozent seiner Zweikämpfe (vier von fünf), war 40 Mal am Ball und damit einer der aktiveren Akteure und musste sich auch mit seiner Passstatistik nicht verstecken. 30 seiner 34 Versuche kamen bei den Mitspielern an, also 88 Prozent. Somit hatte der Kroate auch einen gewissen Anteil am Spielaufbau. Zwei lange Bälle kamen in der Offensive an, hinten hielt er mit einer Klärung und einer Aktion, in der er dem Gegner den Ball ablief, den Strafraum sauber.
Was er sich allerdings vor der Ausführung des Elfmeters von Alassane Plea dachte, bleibt sein Geheimnis. Seine unnötige Störungsaktion wurde zurecht mit gelb bestraft. Der folgende Platzverweis nach seinem Handspiel in der 69. Minute war unglücklich, aber auch folgerichtig. Uremovic leistete der Mannschaft damit einen Bärendienst. Immerhin konnte der zweite Elfmeter von Oliver Christensen vereitelt werden. Doch solche Geschichten sind nicht förderlich für das Team und gelten schnellstmöglich abgestellt. Die Konsequenz aus dem Platzverweis ist eine neue Belegung der Innenverteidiger-Position. Marc Oliver Kempf scheint sich zunächst festgespielt zu haben als Abwehrchef. Der ehemalige, Dedryck Boyata, steht bekanntlich kurz vor einem Wechsel nach Brügge. Der logische Ersatz wird also Marton Dardai sein.
Auch Maximilian Mittelstädt zeigte im Großen und Ganzen wieder eine ordentliche Partie. Er lief 10,15 km und damit eine der weiteren Strecken der Berliner. Er ging in sieben Zweikämpfe, von denen er vier gewann. Ackerte wo es möglich war, entschied drei Tacklings für sich, klärte zwei Bälle, blockte Schüsse und lief zweimal dem Gegner den Ball ab. Die Statistiken zeigen also, dass Mittelstädt eine vollkommen akzeptable Partie absolvierte. Zusätzlich kamen von 29 Versuchen 25 erfolgreiche Pässe.
Doch Mittelstädt schafft es seit Jahr und Tag seine eigenen starken Leistungen selbst zu zerstören. Seine Fehleranzahl versaut dem Eigengewächs zu oft das Ansehen und dem gesamten Team die Punkteausbeute. Es ist nicht so, dass Mittelstädt keinen Einsatz zeigt, dahingehend ist er top. Doch Blackouts wie das Handspiel nach 32 Minuten – und da ist es egal, dass der Angriff auf einer Fehlentscheidung des Schiedsrichters basierte – oder auch sein recht plumpes Einsteigen in der 86. Minute gegen Florian Neuhaus, bei dem er durchaus Glück hatte, dass Schiri Jöllenbeck weiterspielen lassen hat, sorgen zu oft für verzweifeltes Kopfschütteln.
Es bleibt festzuhalten, dass Filip Uremovic und Maximilian Mittelstädt dem Team viel gutes beifügen können. Doch um dauerhafte Leistungsträger zu werden, müssen dringend die individuellen Aussetzer abgestellt werden
Oliver Christensen: Die Chance sich auszuzeichnen
Gegen Hamburg in der Relegation nur sehr wenig zu tun gehabt, im Pokal und Derby sieben Gegentore kassiert und gegen Frankfurt auch keinen Ball auf das Tor bekommen – Oliver Christensen hatte noch nicht so viele Möglichkeiten sich auszuzeichnen. Insbesondere nach haltbaren Gegentoren kamen erste Diskussionen auf, in denen die Nummer-1-Qualitäten des Dänen angezweifelt wurden. Außerdem würde ihm nach der Degradierung Rune Jarsteins ein echter Herausforderer fehlen. Doch in Mönchengladbach wurde Christensen das ein oder andere Mal auf die Probe gestellt und konnte die Chance nutzen, sich ein wenig auszuzeichnen. Auch wenn bei weitem nicht alles klappte.
Den persönlich goldenen Moment im Spiel hatte Christensen in der 70. Minute, als er den schwach geschossenen Elfmeter von Jonas Hofmann hielt. Doch von „schwach geschossen“ zu sprechen und damit Christensens Leistung abzuwerten, wäre ungerecht. Der Torhüter hätte genauso gut in die andere Richtung springen können. In dem Fall wäre die Qualität von Hofmanns Schuss uninteressant gewesen und man hätte lediglich von „verladen“ gesprochen. In diesem Sinne ist die Aktion Christensens gar nicht hoch genug einzuordnen. Auch beim Elfmeter von Plea in der 34. Minute war er in die richtige Ecke unterwegs. Doch der Schuss des Franzosen war zu stark. Christensen wurde im Laufe der Partie auf verschiedene weisen getestet. Bereits nach drei Minuten musste er einen Ausflug aus den Strafraum machen und per Kopf klären. Die kurz aufkommenden Sascha-Burchert-Erinnerungen konnte er nach Hofmanns Distanzschuss aber schnell zum Schweigen bringen, da er schnell genug zurück im Strafraum und zur Stelle war.
Insgesamt hatte der 23-Jährige einiges zu tun. Dreimal wurde er zu Paraden gezwungen, eine der größten Aktionen von ihm sollte ihm in der 17. Minute gelingen. Ivan Sunjics missglückter Klärungsversuch mutierte zur Torchance, der Gladbacher. Christensen reagierte hervorragend auf der Linie. Den Abpraller konnte Thuram nicht im Tor unterbringen. Er schoss den am Boden liegenden Torhüter an. Zuvor konnte Christensen von Glück sprechen, als Kempf den Versuch von Plea in der siebten Minute an den Pfosten lenkte. Christensen wäre vermutlich geschlagen gewesen. Auch wenn er sich mittlerweile mehrfach auszeichnen konnte, zeigte Christensen erhebliche Schwächen in der Strafraumbeherrschung und bei Standards. So zum Beispiel in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit, als er eine Freistoß-Hereingabe nicht unterbinden konnte. Es kam mehr zur Kollision mit Nico Elvedi, als dass er den Ball klären konnte.
Noch scheint nicht alles perfekt zu sein im Berliner Tor. Doch angesichts eines gehaltenen Elfmeters kann man Christensen zumindest zu einer deutlichen Leistungssteigerung gratulieren.
Lucas Tousart: Der Anführer etabliert sich
Der Franzose war bis zur 83. Minute dabei, ehe er Davie Selke Platz machte. Und der Kapitän auf Zeit ackerte wie jedes Spiel, zeigte Einsatz und Leidenschaft und wurde wieder einmal seinem Amt gerecht. Gegen Borussia Mönchengladbach lief er mit 10,49 km die längste Strecke aller Berliner. Sein Zusammenspiel mit Suat Serdar funktioniert immer besser und auch in der Zusammenarbeit mit Ivan Sunjic und Jean-Paul Boetius kann man immer mehr Fortschritte erkennen. Lucas Tousart brachte sich als Box-to-Box-Spieler sowohl defensiv als auch offensiv ein. Offensiv versuchte er sich zweimal an Abschlüssen. Sein wuchtiger Schuss aus 20 Metern in der 15. Minute verfehlte letztendlich aber sein Ziel deutlich. Insgesamt war er 35 Mal am Ball, spielte 22 Pässe von denen 17 ankamen und gewann 57 Prozent seiner Zweikämpfe. Defensiv setzte er zu drei erfolgreichen Tacklings an und eigentlich hätte sein Zweikampf in der 32. Minute auch als gewonnen in die Statistik eingehen müssen. Doch Schiri Jöllenbeck entschied zu Unrecht auf Foul. Nicht nur, dass Hertha damit eine aussichtsreiche Chance genommen wurde, der folgende Angriff der Mönchengladbacher sollte zum unglücklichen Handelfmeter führen.
Auf Lucas Tousart ist aktuell in allen Belangen Verlass. Als Anführer etabliert er sich zunehmend. Er baut seine Mitspieler auf, kommuniziert mit Ihnen und vor allem dem Schiedsrichter. Dinge, die in den letzten Jahren verloren gegangen waren. In Berlin stellt sich die Frage, wann ein Kapitän eigentlich ein Kapitän ist? Nur, weil er die Binde trägt oder kann man die Funktion eines Kapitäns ohne diese durchführen? Diese Frage muss Sandro Schwarz beantworten, sobald gewisse Spieler wieder einsatzbereit sind.
Und nun? Nicht von Taktik und System abweichen – irgendwann folgen die Punkte
Im Pokal bereits ausgeschieden und nur ein Punkt aus drei Spielen. Vor der Saison war um ehrlich zu sein aber auch nicht mit mehr zu rechnen. Das Auftaktprogramm ist extrem hart. Nächste Woche kommt Borussia Dortmund nach Berlin. Im schlimmsten Fall könnten es dann auch die ersten vier Bundesligaspiele sein, die nicht gewonnen werden konnten. Aber zum aktuellen Zeitpunkt geht es darum noch nicht. Die bisherigen Gegner sind nicht die Kragenweite, der Punkt gegen Eintracht Frankfurt kann sogar als Bonus gesehen werden. Und auch wenn die Ergebnisse nicht stimmen, kann man der Mannschaft keine großen Vorwürfe machen. Die Einstellung passt, die Leistung ebenfalls. Aktuell scheitert man vor allem durch individuelle Aussetzer.
Doch Sandro Schwarz Handschrift ist schon deutlich zu erkennen. Im Vergleich zur Vorsaison sind einige Schritte getan worden. Insbesondere an Spielern wie Dodi Lukebakio und Lucas Tousart ist das hervorragend zu erkennen, die unter Schwarz aufblühen. Bleibt die Mannschaft und das Trainerteam auf ihrem Kurs, werden schon bald Punkte folgen. Zusätzlich schließt bald das Transferfenster, Störfeuer, wie die um Rune Jarstein und Dedryck Boyata können gelöscht werden und das Team findet sich immer mehr. In Berlin herrscht also trotz der schwachen Punkteausbeute eine Ruhe, die es in den letzten drei Jahren so nicht gegeben hat. Sie kann nur hilfreich sein.
(Photo by Lars Baron/Getty Images)
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