Herthaner im Fokus: Hertha BSC – VfL Wolfsburg

von Nov 2, 2020

Nun, was macht man in Herthas Situation aus einem Unentschieden gegen Wolfsburg? Auf der einen Seite haben die Berliner ohne Zweifel eines ihrer besten Spiele in dieser Saison bestritten und spielerisch gegen eine Mannschaft überzeugt, die sich eigentlich durch eine starke Stabilität auszeichnet. Auf der anderen Seite wurden aufgrund der schwachen Chancenverwertung eher zwei Punkte liegen gelassen und ein Punkt hilft Hertha zumindest tabellarisch kaum weiter. Unterm Strich war das 1:1 am Sonntagabend aber wohl wieder ein Schritt nach vorne und dann müssen die drei Zähler halt gegen den FC Augsburg geholt werden.

Wir wollen auch am 6. Spieltag wieder auf die Leistungen einzelner Herthaner blicken.

Matheus Cunha – Alle für einen, einer für alle

Der Brasilianer Matheus Cunha ist Herthas einzige Konstante im Moment. Während sich die Spieler der Abwehrreihe in den ersten Saisonspielen immer wieder durch unglücklich verursachte Elfmeter, Fehlpässe und falsches Stellungsspiel auszeichneten und auch der Rest der Mannschaft nicht gerade glänzt, liefert Cunha ab.

(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Und das auch heute gegen den VfL Wolfsburg. Schon zu Beginn fiel auf, dass der Brasilianer auf der linken Abwehrseite immer wieder eingriff, um sich dort die Bälle für sein Offensivspiel abzuholen. Nach dem Abseitstor der Wolfsburger sorgte Cunha in der 6. Spielminute dann dafür, dass Hertha nach vier Niederlagen in Folge heute mal wieder einen Punkt mitnimmt. Nach einem tollen Pass von Lucas Tousart geht Dodi Lukébakio über rechts in den Strafraum, legt auf Cunha zurück zur Strafraumgrenze. Der will schießen, rutscht aber aus, lenkt den Ball im Fallen aber trotzdem noch ins linke untere Toreck. 1:0. Natürlich war da etwas Glück dabei und Cunha müsste lügen, wenn er sagte, dass er diesen Ball genauso vollenden wollte. Aber klar ist: Einmal mehr hatte der Brasilianer sich in eine für den Gegner gefährliche Situation gebracht, stand richtig und sah die Lücke zum Abschluss.

Dass Hertha ohne Cunha derzeit wohl noch schlechter dran wäre, zeigten aber diverse Situationen im Mittelfeld. Wenn Cunha dort Zweikämpfe und Dribblings angeht, geht es meistens gut für Hertha aus. Und oft sind genau diese Mittelfeld-Situationen Momente, aus denen anschließend ein gefährlicher Angriff entsteht. Bestes Beispiel: Kurz nach Wiederanpfiff wittert Cunha nach einem schlechten Eröffnungspass von Jonathan Brooks seine Chance, fängt den Ball ab, hat dann durch einen Abpraller aber etwas Glück. Trotzdem behält er den Ball und treibt ihn nach vorne.

Ohnehin war Cunha mal wieder der auffälligste Spieler bei der “alten Dame”. Nach Maxi Mittelstädt hatte der 21-Jährige mit 70 Ballkontakten die meisten aller Herthaner, hinzu kommen drei Schüsse (zusammen mit Jhon Cordoba die meisten) und fünf Schlüsselpässe (Bestwert). Darüber hinaus spielte Cunha äußerst mannschaftsdienlich und weniger egoistisch als noch in den vorherigen Partien. Er ging deutlich seltener ins Dribbling und kombinierte stattdessen lieber – also weniger “Kopf durch die Wand”-Mentalität. Außerdem beteiligte er sich wie bereits erwähnt aktiv am Spiel gegen den Ball, machte ordentlich Meter zurück. So war es vielleicht nicht das spektakulärste Spiel Cunhas, seitdem er bei Hertha spielt, aber ein sehr gewinnbringendes.

Fazit zu Cunha: Wenn nur die Hälfte der Herthaner das Spiel so gut lesen könnten, mit so viel Einsatz in jede Aktion gingen und einen so guten Torriecher hätten, wären wir in einer anderen Tabellensituation.

Jhon Cordoba – Glücklos, aber nicht unsichtbar

Zunächst einmal etwas Ungewöhnliches: An dieser Stelle geht ein Kompliment an Michael Preetz. Denn nachdem Hertha mit Vedad Ibisevic seinen torgefährlichsten Stürmer verloren hatte, war zu befürchten, dass im Sturm eine große Leistungslücke entsteht. Doch mit Jhon Cordoba hat Preetz einen Strafraumstürmer nach Berlin geholt, der sogar noch präsenter in Zweikämpfen ist, technisch auf einem sehr hohen Niveau agiert und immer wieder anspielbar ist.

Foto: IMAGO

Auch am heutigen Sonntagabend gegen den VfL Wolfsburg hatte Cordoba mehrere klare Chancen. Schon kurz vor Cunhas Tor schraubte sich der Kolumbianer nach einer Flanke in Höhe, setzte den kraftvollen Kopfball aber leider deutlich neben das Tor. Mitte der zweiten Hälfte bekommt Cordoba an der rechten Strafraumseite von Cunha angespielt, wartet aber etwas zu lange, sodass die Wolfsburger noch verteidigen können. Drei Tore hat Cordoba schon für Hertha erzielt (in sechs Spielen).

Gegen die Gäste aus Niedersachsen wäre das vierte Tor in blau-weiß bei drei Abschlüssen auch durchaus möglich gewesen, andererseits hatte Cordoba gegen Wolfsburgs Innenverteidigung keinen leichten Stand, die ihm körperlich durchaus auf Augenhöhe begegnen konnten. Mit zwei Schlüsselpässen und einer im letzten Drittel guten Passquote von 80% stellte sich der Sturmtank dennoch in den Dienst der Mannschaft.

Heute hatte Cordoba kein Glück. Spielt er weiter so, wird es nicht bei diesen drei Treffern bleiben. Sein großer Vorteil: Im Gegensatz zu Krzysztof Piatek ist Cordoba bestens ins Spiel eingebunden und spielt gut mit den anderen Offensivkräften zusammen.

Matteo Guendouzi – Sofort präsent

Nachdem er seine COVID-19-Erkrankung gut überstanden hatte und in vergangene Woche erstmals mit seinen neuen Teamkameraden trainieren konnte, kam Matteo Guendouzi in der 57. Minute zu seinem ersten Einsatz für Hertha. Und man hatte nicht den Eindruck, dass Guendouzi da in eine Mannschaft kommt, deren Abläufe ihm absolut unbekannt seien.

Foto: IMAGO

Im Gegenteil: Der 21-jährige Franzose strahlte sofort eine große Präsenz und Sicherheit aus. Guendouzi eroberte einige Bälle, setzte sich gut durch und noch viel erfreulicher war, dass er sich in vielen Situationen für die offensivere Körperdrehung entschied und Richtung gegnerisches Tor „öffnete“. So verzeichnete der Mittelfeldmotor gleich zwei erfolgreiche Dribblings und eine fast 95%ige Passquote – mit weitem Abstand Bestwert in diesem Spiel.

“Ein guter Einstand”, fand auch Bruno Labbadia. “Man hat gesehen, dass er ein sehr ballsicherer Spieler ist, der uns eine Note bringt, die wir brauchen: Ballsicherheit, einfache klare Pässe über vier, fünf Meter. Das hat uns gutgetan. Er muss jetzt natürlich erst in einen Rhythmus kommen, das ist etwas, das er gar nicht haben kann, das wissen wir, aber das ist jetzt eben so.” Tatsächlich verhalf Guendouzi durch seine Passsicherheit dazu, dass Hertha die Spielkontrolle und den Druck auf Wolfsburg in der zweiten Halbzeit auf ganz natürliche Weise aufrecht erhalten konnte.

Ein Debüt, auf dem sich aufbauen lässt. Guendouzi bringt offensichtlich die Fähigkeiten mit, die dem Kader bislang gefehlt hatten. Lucas Tousart, den Guendouzi ersetzte, musste übrigens aufgrund von Knieproblemen ausgewechselt werden – auf seine Leistung war der Tausch also nicht bezogen, schließlich zeigte auch dieser Franzose ein gutes Spiel und leitete 1:0 mit einem sehenswerten Diagonalball ein.

Und dann war da noch:

Dodi Lukébakio – Lukébakio hatte Mitte der zweiten Halbzeit die wohl beste Chance für Hertha im gesamten Spiel, als er alleine vor dem Wolfsburger Torhüter Casteels auftauchte, dann aber vergab. Der Belgier war gerade in der zweiten Halbzeit an vielen guten Aktionen beteiligt, in der ersten Hälfte verlor er aber auch einige Bälle und tauchte zwischenzeitlich komplett ab. Durchwachsen.

Omar Alderete – Ein weiterer erfreulicher Neuzugang. Komischerweise waren es bei dem Innenverteidiger aus Paraguay am heutigen Sonntag gar nicht die Defensivsituationen, die positiv auffielen. Vielmehr war Alderete mehrfach im Wolfburger Strafraum aktiv und scheint bei Ecken und Freistößen vorne für Unruhe zu sorgen. Hinzu kommt ein sehr gutes Aufbauspiel, bei dem er die Bälle sehr mutig nach vorne verteilt. Wenn er es dazu noch schafft, die Abwehrt zu stabilisieren, ist Alderete ein echter Zugewinn. Es war bereits jetzt eine Leistungssteigerung zum Leipzig-Spiel zu erkennen.

Fazit:

Hertha hätte dieses Spiel gewinnen müssen. Nicht nur, dass wir diesen Sieg unbedingt gebraucht hätten. Hertha hat auch besser gespielt als Wolfsburg. Cunha, Cordoba aber auch Lukebakio haben insbesondere in der zweiten Hälfte eine stetige Torgefahr ausgestrahlt und dauerhaft Druck ausgeübt. Positiv zu bewerten ist also die Leistungssteigerung nach den vergangenen Spielen. Obwohl die Zweikampfquote, die Anzahl der Sprints und auch die Ballbesitzquote von Hertha vergleichbar mit den Wolfsburger Werten waren, wirkte Hertha im Gegensatz zu den vergangenen Spielen wach und präsent.

Doch was hilft uns das? Nach sechs Spielen stehen da vier Punkte und Platz 14 in der Tabelle. Ein schlechter Saisonstart. Schließlich muss Labbadia endlich für Stabilität in der Abwehr sorgen. Die Entstehung des 1:1 war sinnbildlich für die Situation in Herthas Verteidigung. Nach einer recht harmlosen Situation kommt eine Flanke in den Strafraum, bei der der Ball an mehreren Herthaner vorbeiläuft. Dann wird der Ball auch noch schlecht geklärt, sodass der Gegner am Strafraum ungehindert zum Abschluss kommt. Stellt Hertha dieses Verhalten nicht ab, kann die Saison böse enden. So bleiben positive wie negative Erkenntnisse.

[Titelbild: IMAGO]

ÜBER DEN AUTOR

Benjamin Rohrer

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