Kaderanalyse 2020/21 – Herthas Außenverteidiger

von Jun 19, 2021

Endlich ist die Alptraum-Saison 2020/2021 vorbei. Nach einer hochemotionalen Schlussphase gab es doch noch ein „Happy End“ für Hertha BSC. Diese verrückte Spielzeit haben wir sehr ausführlich in unserer Saisonrückblick-Podcastfolge besprochen. Doch jetzt wollen wir uns der Kaderanalyse widmen. Dabei gehen wir nicht nur auf die abgelaufene Saison ein, sondern werfen auch einen Blick nach vorne. Welche Kaderstellen müssen Bobic, Dufner, Friedrich und co. noch dringend bearbeiten? Wo hat man Bedarf, welche Spieler werden wohl den Verein verlassen?

Nachdem wir bereits die Torhüter und die Innenverteidiger ins Visier genommen haben, widmen wir uns jetzt den linken und rechten Außenverteidigern.

Maxi Mittelstädt – Wo bleibt der nächste Schritt?

Diese Saison sollte endgültig der große Durchbruch Maxi Mittelstädts in der Bundesliga werden. Doch wie eigentlich bei der gesamten Mannschaft blieb der nächste Entwicklungsschritt aus.

Zwar kam der gebürtige Berliner auf 27 Einsätze, davon 22 von Beginn an, zeigte aber sehr wechselhafte Leistungen und konnte kaum ein überzeugendes Spiel abliefern. Zu Beginn noch gesetzt, im Pokal gegen Braunschweig sogar als zentraler Mittelfeldspieler, verlor er nach enttäuschenden Ergebnissen und einem folgenschweren Patzer in der Nachspielzeit des Spiels gegen Bayern München seinen Stammplatz schnell wieder an Marvin Plattenhardt und profitierte in der Folge insbesondere von dessen diversen Ausfällen.

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Foto: IMAGO

Zwar konnte sich Mittelstädt unter Pal Dárdai defensiv stabiliesieren. Das in der Vergangenheit häufiger angedeutete offensive Potenzial zeigte sich aber nur zu Beginn des Spieljahres, als Mittelstädt in den ersten drei Partien zwei Vorlagen lieferte. Im Verlauf der Saison blitzten kaum einmal Spielwitz oder fußballerischen Ideen auf, auch seine vermeintlichen Stärken gegenüber Konkurrent Plattenhardt beim Dribbling und Kombinationsspiel konnte er nicht zeigen. Seine wenigen Einsätze im linken (offensiven) Mittelfeld stellten da leider keine Ausnahme dar und machten deutlich, dass er in Zukunft keine ernsthafte Option (mehr) als Back-Up für die Offensive Außenbahn ist.

Trotzdem wird Maxi Mittelstädt auch diese Spielzeit wieder zum Ansporn nehmen, weiter an sich zu arbeiten und in jedem Spiel mit vollem Einsatz versuchen voranzugehen.

In der nächsten Saison wird Maxi Mittelstädt wieder mit Marvin Plattenhardt, der unter Dárdai seine fußballerisch beste Zeit erlebte, in einen offenen Zweikampf um den Stammplatz auf der linken Abwehrseite treten. Es bleibt zu hoffen, dass Dárdai bei beiden die richtigen Stellschrauben ausmacht und dieser sportliche Zweikampf nicht wie in der letzten Saison beide zu lähmen scheint, sondern sie sich gegenseitig zu guten Leistungen antreiben – und möglicherweise hat ja auch Luca Netz in der nächsten Spielzeit schon ein Wörtchen mitzureden.

Marvin Plattenhardt – Renaissance unter Pal Dárdai?

War Marvin Plattenhardt zu Beginn der Saison unter Bruno Labbadia noch zweite Wahl, durfte er nach fünf sieglosen Partien ab dem siebten Spieltag als vermeintlich defensivstärkere Alternative auf der Linksverteidiger-Position beginnen und spielte sich trotz wechselhafter Leistungen zunächst fest.

Plattenhardt machte seine Sache defensiv nicht schlecht, konnte aber auch kaum positive Akzente setzen. Offensiv ging kaum etwas – seine Standardstärke scheint komplett verloren, seine Flanken fanden selten einen Abnehmer. Dazu kam das Verletzungspech, was Plattenhardt mit drei verschiedenen Blessuren durch die Saison begleitete. Nachdem mit Pal Dárdai sein Förderer zurück an der Seitenlinie war, stieg die Formkurve des Linksfußes wieder leicht an. Die Flanken kamen wieder etwas genauer, das Offensivspiel wurde etwas lebendiger. So konnte Plattenhardt – zwischenzeitlich noch einmal von einer Corona-Erkrankung ausgebremst –  in den letzten drei Spielen immerhin noch zwei Vorlagen verbuchen.

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Foto: IMAGO

Nichtsdestotrotz war die Saison für Marvin Plattenhardt mit nur 16 absolvierten Spielen und drei langfristigen Ausfällen eine Spielzeit zum Vergessen. Abhaken und unter Dárdai nochmal angreifen! Pal Dárdai kennt Plattenhardt gut, hat ihn in seiner ersten Amtszeit vom Ergänzungs- zum Nationalspieler geformt. Nicht unwahrscheinlich, dass Dárdai “Platte” wieder auf die Sprünge hilft und hoffentlich in die Nähe des Niveaus führt, dass Plattenhardt damals die Nationalelf-Nominierungen einbrachte. Insbesondere dessen Standards waren damals eine Waffe – und Hertha fiel in dieser Saison durch absolute Ungefährlichkeit nach Standards auf, erzielte bei 152 Ecken kein einziges Tor.

Gerade unter diesem Aspekt wäre ein Wiedererstarken des ehemaligen Nürnbergers also ganz besonders wichtig. Nichtsdestotrotz ist der Zweikampf mit Mittelstädt durch Förderer Dárdai noch nicht entschieden. Soweit beide in Form kommen, könnten sich die Einsätze auch an der gesamttaktischen Herangehensweise entscheiden – gegen tiefstehende Gegner könnte Mittelstädts offensive Flexibilität und Variabilität gefragt sein, während Plattenhardt möglicherweise gegen dominierende Gegner einen defensiv stärkeren Part einnehmen und mit einer spielentscheidenden Standardsituation für Punkte sorgen könnte.

Luca Netz – Der vielversprechende Herausforderer

Das Zukunftsversprechen  aus der Hertha-Akademie hat in dieser Saison erste Fußspuren hinterlassen. Nachdem Luca Netz zum Ende der letzten Saison unter Bruno Labbadia schon regelmäßig mit den Profis trainiere durfte, feierte er am 14. Spieltag gegen Gelsenkirchen sein Bundesligadebüt für Hertha BSC und reihte sich so als zweitjüngster Debütant Herthas in der obersten Spielklasse in die Geschichtsbücher ein. Und schon in seinen ersten Spielminuten zeigte er, warum Hertha ihm die Rolle eines modernen Außenverteidigers zutraut. Technisch stark mit enormem Offensivdrang, positioniert sich Netz auch ohne Ball am und im gegnerischen Sechzehner und sucht selbst den Abschluss.

Folgerichtig, dass Luca Netz schon in seinem siebten Einsatz erstmals traf – als jüngster Hertha-Torschütze in der Bundesliga. Beim emotional wichtigen Punktgewinn gegen den VfB Stuttgart sicherte er den Herthanern nach drei Niederlagen seit Dárdais Re-Installation das so wichtige Erfolgserlebnis mit seinem Tor zum Ausgleich in der 82. Minute. Schon Labbadia hielt wahnsinnig viel vom jungen Berliner. Auch Dárdai bezeichnet Netz als „Riesen-Rohdiamanten“ und so kam der Linksverteidiger in seiner Debütsaison zu elf Einsätzen bis ihn ein erneuter Mittelfußbruch für den Rest der Saison außer Gefecht setzte.

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So blieb dem Youngster nichts anderes übrig, als den Fokus auf die Zukunft zu legen. Dem Vernehmen nach gilt sein Vertrag seit seinem 18. Geburtstag bis 2023, intensive Gespräche über eine Verlängerung laufen aber bereits seit geraumer Zeit. Ein Versprechen für die Zukunft ist aber nunmal auch nicht zwingend ein Versprechen für die Gegenwart. Luca Netz wird auch in der nächsten Saison noch nicht der sofortige Heilsbringer sein.

So dürften Marvin Plattenhardt und Maxi Mittelstädt den Stammplatz auf der Linksverteidiger-Position zunächst unter sich ausmachen. Zwar stellen die beiden zurzeit sicherlich kein gehobenes Bundesliga-Niveau dar, Hertha wird aber mit Sicherheit Top-Talent Netz nicht den Weg verbauen und diesen Sommer somit keinen Linksverteidiger mit Stammplatzambitionen verpflichten.

Mit großen Vorschusslorbeeren ausgestattet, muss sich Luca Netz nach seiner Verletzung nun erstmal in Ruhe wieder Matchfitness erarbeiten und kann dann seine stetige Entwicklung fortsetzen, um in (einer vielleicht gar nicht so fernen) Zukunft Druck auf die beiden Etablierten zu machen und  so vielleicht sogar schon im Laufe der Saison vorsichtig bei Pal Dárdai wegen Startelfeinsätzen anzuklopfen.

Deyovaisio Zeefuik – Doch noch die Lösung?

Deyovaisio Zeefuik wurde im Sommer 2020 nach langem Hin und Her verpflichtet, um der seit dem Abgang von Valentino Lazaro brach liegenden rechten Abwehrseite neue Kreativität und Durchschlagskraft zu verleihen. Und so blickte man hoffnungsvoll auf die ersten Einsätze des niederländischen U21-Nationalspielers.

Doch Zeefuik konnte zunächst kaum überzeugen. In Labbadias Viererkette präsentierte er sich immer nervös, bisweilen hektisch und unsicher. Im Zweikampf wirkte er häufig ungeschickt oder sorglos, im Spielaufbau fahrig und unkonzentriert und wurde so zu einem Unsicherheitsfaktor in Herthas Hintermannschaft. Besonders unglücklich sein Auftritt gegen Leipzig, als er sich innerhalb von fünf Minuten nach seiner Einwechslung zur Halbzeit den gelb-roten Karton abholte.

Nach dem Trainerwechsel war Zeefuik die ersten vier Spiele unter Dárdai überraschend nicht einmal im Kader und es schien sich ein teures Missverständnis anzubahnen. Noch überraschender dann aber die Startelfnominierung am 23. Spieltag gegen Wolfsburg, bei der Zeefuik in einer 3er-, respektive 5er-Kette durchaus funktionierte. Seine Schwächen in der Defensive wurden durch die zusätzliche Absicherung durch einen dritten Innenverteidiger gemildert, seine offensiven Fähigkeiten kamen durch die höhere Positionierung auf dem Feld besser zur Geltung. Zeefuik fühlt sich mit dem Ball am gegnerischen Sechzehner deutlich wohler als an der Mittellinie.

Foto: xMatthiasxKochx/IMAGO

Mit dieser für ihn wohltuenden Systemumstellung stieg Zeefuiks Formkurve langsam an und so belohnte er sich mit seinem Debüttreffer zum wichtigen 1:0 in der Partie gegen Bayer Leverkusen. Als rechter Schienenspieler blieb Zeefuik Dárdais erste Wahl. Spannend wird also, ob Dárdai bei diesem System bleibt oder in Zukunft wieder auf sein früher favorisiertes 4-2-3-1 setzen will.

Für dieses System müsste Dardai Deyo an die Hand nehmen, ihm Ruhe und Stabilität vermitteln. Und Zeefuik muss zeigen, dass er defensiv mehr drauf hat, als schnell sein. Er darf sich im Aufbauspiel auch nicht mehr andauernd verzetteln. Offensiv könnte er zusammen mit einem echten Flügelspieler durchaus für gefährliche Vorstöße sorgen, wenngleich er natürlich nicht die selben Qualitäten mitbringt wie ein spielmachender Außenverteidiger wie Valentino Lazaro.

Es ist davon auszugehen, dass Hertha Zeefuik nach der ordentlichen Rückrunde unter Dárdai nicht bereits wieder fallen lässt und ihm einen Neuzugang vorsetzt. Dennoch ist die Schonfrist jetzt vorbei und der Niederländer muss nach seinem insgesamt doch eher enttäuschenden ersten Jahr abliefern und zeigen, warum sich die Hertha-Verantwortlichen um Michael Preetz so intensiv um ihn bemüht haben.

Peter Pekarik – Der ewige Peter

Vor der Saison als Back-Up eingeplant, stand Peter Pekarik zum ersten Pflichtspiel der Saison schon wieder in der Startelf. Bei der ärgerlichen 4:5-Niederlage gegen Eintracht Braunschweig im DFB-Pokal fand er sich sogar unter den Torschützen wieder.
Und auch zum Bundesligastart stand Pekarik wieder von Beginn an auf dem Platz – und traf schon wieder. Der Slowake war in Labbadias Viererkette erste Wahl und zahlte das Vertrauen auch zurück.

Mr. Zuverlässig ließ defensiv regelmäßig nix anbrennen und spielte seine Routine aus. Er zeigte sich aber dank klugem Stellungsspiel auch offensiv ab und an gefährlich in den gegnerischen Strafräumen. Nach den beiden Treffern zu Saisonbeginn ließ Pekarik im Saisonverlauf noch zwei weitere folgen, darunter das wichtige 1:1 gegen Union Berlin beim Derbysieg.

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Foto: nnordphotox/xKokenge/IMAGO

Auch unter Dárdai war Pekarik in der Viererkette weitestgehend die erste Wahl, unter dem ungarischen Cheftrainer lief Hertha aber immer öfter mit 3er- bzw. 5er-Kette auf, in der Neuzugang Deyovaisio Zeefuik regelmäßig den Vorzug erhielt.
Der mittlerweile 34-jährige Rechtsverteidiger zeigte aber eindrücklich, dass immer auf ihn Verlass ist, wenn man ihn braucht. Und so steht man nun am gleichen Punkt wie im letzten Sommer und ist in Verhandlungen, den Vertrag mit Herthas dienstältestem Spieler noch einmal um ein Jahr zu verlängern.

Pekarik wird sich auch im nächsten Jahr mit der Back-Up-Rolle zufriedengeben – soweit es denn überhaupt dabei bleibt. Denn Deyovaisio Zeefuik fremdelte zu Saisonbeginn doch sehr in einer Viererkette, die Dárdai eigentlich präferiert. Mit Neuzugängen für die Außenverteidiger-Positionen ist aber eigentlich nicht zu rechnen, sodass die beiden Außenverteidiger-Duos plus Herausforderer Netz auch in der nächsten Saison die Seitenlinien beackern dürften.

Und wenn Herthas slowakischer EM-Fahrer wieder so eine Spielzeit hinlegen sollte, heißt es vielleicht auch nächsten Sommer wieder: Hertha und Pekarik sind in Gesprächen über eine einjährige Verlängerung.

[Titelbild: IMAGO]

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ÜBER DEN AUTOR

Yannik Dönnebrink

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