Jahresrückblick: Teil 4 – Ein gefühlter Rückschritt

von Dez 30, 2020

Am Ende dieses verrückten Jahres blicken wir bei Hertha BASE in einer vierteiligen Serie auf die wichtigsten Ereignisse und Vorkommnisse bezüglich Hertha zurück.

Teil 1 – HaHoHe, euer Jürgen

Teil 2 – Labbadia stabilisiert Hertha

Teil 3 – Eine unmögliche Vorbereitung

Nach bestenfalls mäßigen Vorbereitungsspielen startete Hertha Mitte September in die neue Saison. Gegen gerade in die Zweite Liga aufgestiegene Braunschweiger kassierte Hertha in 90 Minuten (!) fünf Tore und schied aus. Bis heute steht dieses Pokalspiel als Sinnbild für den Rest des Fußballjahres 2020: Trotz einiger offensiver Glanzmomente wirkte die Mannschaft oft unstabil und noch viel schlimmer: nicht zusammenhängend. Der Jahresrückblick Teil 4.

Das Pokalaus

Im Gegensatz zu den Fans der meisten anderen Bundesligateams können wir Herthaner:innen nur in wenigen Erinnerungen schwelgen. Denn große Erfolge gibt es in der jüngeren Vereinsgeschichte schlichtweg nicht. Als motivierender und identitätsbildender Faktor bleibt also die Hoffnung auf einen Erfolg, konkret: auf einen Titel. Da der Gewinn der deutschen Meisterschaft eine Illusion ist, bleibt der Pokal eine solche Hoffnung. Denn: Gewinnst du fünf Spiele hintereinander, stehst du im Finale im eigenen Stadion.

Und so ging man als Herthaner:in auch vor dem diesjährigen Pokalstart mit viel Hoffnung in die Partie gegen Eintracht Braunschweig. Nach zehn Braunschweiger Torschüssen, 66 Prozent Ballbesitz und 25 Torschüssen für Hertha stand nach 90 Minuten allerdings das Ergebnis 5:4 zu Buche. Die Daten zeigen: Obwohl Hertha insbesondere in der zweiten Hälfte dauerhaft drückte und auch kreativ Chancen erspielte, war die Abwehrleistung teils erschreckend schlecht, Braunschweig musste nicht viel tun, um zu treffen. Die einzige Hoffnung, die den Herthaner:innen nach diesem Spiel noch blieb, war das noch offene Transferfenster.

Der durchwachsene Ligastart

Vor diesem Hintergrund war das erste Ligaspiel in Bremen eine positive Überraschung. Insbesondere das Zusammenspiel zwischen Matheus Cunha, Dodi Lukébakio und Vladimir Darida ließ auf eine erfolgreiche Bundesligasaison hoffen – immer wieder sorgten die drei für blitzschnelle, gefährliche Konter. Der Herthaner des Spiels, der eigentlich auch der einzige Gewinner der bisherigen Hinrunde ist, war Peter Pekarik. Der Slowake räumte auf seiner Defensivseite nicht nur alles ab, sondern erzielte nach gefühlten 127 Jahren auch mal wieder einen Ligatreffer. Heute ist klar: Es sollte nicht sein letzter sein.

Foto: IMAGO

Schade nur, dass Hertha diesen Schwung nicht in die folgenden Partien mitnahm. Es folgten Niederlagen gegen Eintracht Frankfurt, den FC Bayern München, VfB Stuttgart und RB Leipzig. Erst am 6. Spieltag gegen den VfL Wolfsburg konnte wieder ein Punkt geholt werden. Wie sich schon im Braunschweig-Spiel angedeutet hatte, zeigte sich auch in diesen Partien, dass Hertha massive Stabilitätsprobleme in der Abwehr hat. Insbesondere in spielerisch überzeugenden Partien gegen Leipzig und die Bayern zerstörte man sich die Punktemitnahme durch Torgeschenke an den Gegner. Für die Mannschaft war das auch aus psychologischer Sicht extrem frustrierend, denn man brachte sich wiederholt um den Lohn, den man sich in der Offensive erarbeitet hatte.

Die schlechteste Abwehrleistung

Man muss dazu sagen: Aus Herthas Sicht ist diese Saison einfach richtig doof strukturiert. Nach dem oben genannten Unentschieden gegen Wolfsburg folgte ein kurzer Erholungserfolg gegen Augsburg und anschließend gab es weitere schwere Spiele gegen Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen.

Gegen besagte Dortmunder gab es dann auch die verheerendste Abwehrleistung der Saison. Aber auch in diesem Spiel war es nicht so, dass Hertha durchgehend enttäuschte. Ganz im Gegenteil: Das 2:5 war am Ende so enttäuschend, weil man zur Pause 1:0 führte und Dortmund eigentlich kontrolliert hatte. Auch in diesem Spiel hat man sich durch eine schlechte Abwehrleistung um den wohl verdienten Lohn gebracht.

Der Höhepunkt

Nach einem 0:0 in Leverkusen, bei dem man sich als Hertha-Fan einfach nur über die stabile Abwehr freute, folgte dann das wichtigste Spiel der ersten Saison-Monate: das Stadtderby. Für Hertha war das Derby nicht nur des Prestiges wegen wichtig, sondern auch aufgrund der Tabellensituation: Nach neun Spielen lag Hertha auf Rang 13, während Union bereits doppelt so viele Zähler eingesammelt hatte und auf dem sechsten Platz rangierte.

Die Vorzeichen standen also nicht unbedingt gut für unsere Hertha. Und das Spiel begann auch wieder einmal enttäuschend. Hertha kam nicht richtig in die Partei und durch einen recht einfachen Angriff ging Union in Führung. Nach einem Karate-Tritt des Unioners Andrich spielte Hertha ab der 23. Minute in Überzahl. Das schien die Mannschaft von Bruno Labbadia aber erst in der zweiten Halbzeit realisiert zu haben, weil dann erst der Druck erhöht wurde. Zum blau-weißen Derby-Helden wurde dann Krzysztof Piatek, der nach dem Treffer zum 1:1 durch Pekarik das Spiel durch zwei Aktionen drehte.

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Im Vorfeld des Spiels hatte Hertha in der Stadt noch für mächtig Aufsehen gesorgt, weil entlang der größten Straßen Berlins etwa 60.000 kleine Hertha-Fähnchen aufgestellt wurden. Gleichzeitig veröffentlichte der Verein einen neuen Fan-Song und neue Merchandise-Produkte, passend zum Derby lief alles unter dem Motto „Wo die blau-weißen Fahnen weh’n“.

Man mag von den einzelnen Elementen dieser Mini-Kampagne halten was man will, schön ist aber, dass der Verein seinen Fans vor diesem wichtigen Spiel das Gefühl gab trotz des Corona-bedingten leeren Stadions irgendwie doch mit dabei zu sein. Besonders getragen wurde dieses Gefühl davon, dass der Verein die Trikotbrust in diesem so wichtigen Spiel mit der Faninitiative “Aktion Herthakneipe” zieren ließ.

Der Tiefpunkt

Nach einem recht stabilen 0:0 gegen Borussia Mönchengladbach standen dann die Spiele gegen Mainz 05 und den SC Freiburg an, die auch zum bisherigen Tiefpunkt der Saison werden sollten. Eigentlich waren wir Herthaner:innen nach dem Gladbach-Spiel froh, dass nun endlich die vermeintlich leichteren Gegner kommen.

Doch es sollten zwei extrem enttäuschende Partien folgen. Das 0:0 gegen Mainz war aus fußballerischer Sicht grausam – beide Mannschaften fabrizierten keinen einzigen Torschuss. Das hatte es in den letzten 16 Jahren Bundesliga zuvor nur zwei weitere Male gegeben. Kurz vor Weihnachten verlor Hertha dann in Freiburg 1:4 – ein Spiel, in dem Hertha erneut auffällig leicht Gegentore kassierte.

Die Fehleinschätzungen

Keine Frage, als Herthaner:in kann man mit den ersten Monaten der Saison nicht zufrieden sein. Nach den extrem unruhigen letzten Jahren einen neuen Trainer zu installieren, würde die Mannschaft wohl aber noch weiter destabilisieren. Aber das Trainerteam muss sich einige Fragen gefallen lassen.

Labbadia muss sich fragen lassen, warum er es nicht geschafft hat, die Defensive der Mannschaft zu stabilisieren. Bis zum letzten Spiel des Jahres in Freiburg gab es immer wieder Momente, in denen Hertha quasi ohne Gegenwehr Tore fing. Auch Labbadias Umstellungen und Einwechslungen sind nicht immer nachvollziehbar. Warum gab er in den letzten Spielen des Jahres beispielsweise immer wieder Matthew Leckie eine Chance und ließ gleichzeitig Nachwuchsstürmer Jessic Ngankam auf der Bank sitzen? Es gab quasi keinen Einsatz, in dem Leckie diese Entscheidung des Trainers durch gute Leistungen rechtfertigte.

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Und: Warum bevorzugte Labbadia im so enttäuschenden Mainz-Spiel den Niederländer Zeefuik vor Pekarik? Der Slowake war in fast allen Spielen positiv aufgefallen und entdeckte sogar seine Torgefahr, Zeefuik hingegen wirkt weiterhin unsicher und fiel auch durch technische Mängel auf. Schließlich hat Labbadia auch in der Zentrale ein Problem: Immer wieder setzte er auf der Position vor der Abwehr auf Niklas Stark. Der gebürtige Franke wiederum hat allerdings überhaupt keine Anbindung an seine Vordermänner im zentralen Mittelfeld. Es wirkte teilweise so, dass Stark, Tousart, Darida und teilweise auch Cunha noch nie zusammen Fußball gespielt hätten. Fehlpässe en masse sowie falsche Laufwege prägten viele Hertha-Spiele. Torchancen wollen dabei nicht herumkommen.

Die Neueinkäufe

Für Michael Preetz war es eine wahre Monsteraufgabe, den Weggang einer ganzen Reihe von erfahrenen Führungsspielern durch Neueinkäufe wettzumachen. Die ersten Liga-Monate lassen den Schluss zu, dass ihm das nur bedingt gelungen ist. Die einzigen sofort spürbaren Verstärkungen sind Matteo Guendouzi und Cordoba. Obwohl der Franzose Guendouzi nach einer Corona-Infektion und Länderspielpausen erst sehr spät zur Mannschaft stieß, drückte er dem Team sofort sein Spiel auf, übernahm die Fäden im Mittelfeld und begann sogar jüngere Spieler als echter Leader anzuweisen. Guendouzi ist ohne Kaufoption ausgeliehen – Spätestens im Sommer muss Preetz also die nächste Lücke im zentralen Mittelfeld schließen. Auch Cordoba fiel durch eine Verletzung im Augsburg-Spiel lange aus. In den Spielen, die er machte, war er jedoch stets gefährlich. Dass Preetz quasi im Tauschgeschäft Ondrej Duda an Köln abgab und somit nur etwa acht Millionen Euro für den Kolumbianer entrichten musste, ist einfach ein guter Deal.

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Die Neuzugänge Tousart, Zeefuik und Omar Alderete sind aus heutiger Sicht keine Fehleinkäufe. Insbesondere Tousart könnte mit seiner robusten Spielweise Herthas Mittelfeld mehr Sicherheit geben. Und auch Alderete hat in seinen wenigen Spielen oft gut gestanden. Alle drei Spieler hatten aber auch viele schwache Phasen: Tousart funktioniert im Offensivspiel mit Cunha und Darida nicht, Alderete verschenkte ein wichtiges Gegentor in Leipzig und Zeefuik hatte bei seinen Einsätzen auf der rechten Abwehrseite einfach viel zu wenige Offensivaktionen.

Ganz ähnlich fällt die Bewertung von Herthas neuem Schlussmann aus: Alexander Schwolow hatte keine echten, massiven Patzer in seinem Spiel. Auf der anderen Seite hat er auch kein Spiel gemacht, in dem er seiner Mannschaft durch besondere Glanztaten Punkte rettete. Allerdings: Schwolows Statistik ist eher positiv. Im Vergleich mit den anderen Torhütern in der Liga liegt der ehemalige Freiburger mit drei Zu-Null-Spielen und einer Paradenquote von knapp 57 Prozent sogar im oberen Tabellendrittel.

Die Zahlen

Ziemlich genau anderthalb Jahre nach dem Einstieg von Lars Windhorst steht Hertha nach dem 13. Spieltag mit 13 Punkten auf Rang 14. Bis zum Relegationsplatz sind es noch drei Zähler, bis zu den europäischen Plätzen – wo Hertha mittelfristig landen möchte und Union derzeit steht – sind es inzwischen 8 Punkte Abstand.

Foto: IMAGO

Die Torstatistik verrät eines von Herthas Problemen: Mit 20 geschossenen Toren rangiert das Team auf dem 10. Platz der Liga. Der VFL Wolfsburg hat beispielsweise als Viertplatzierter ebenfalls 20 Tore erzielt. Bei den Gegentreffern liegt Hertha mit 24 Toren jedoch auf dem drittletzten Platz der Liga. Faulheit kann man Hertha jedenfalls nicht vorwerfen: Mit rund 1516 gelaufenen Kilometern hat Hertha die neuntbeste Laufleistung der Liga-Teams, mit Nik Stark zudem den Spieler, der in der Einzelwertung der Spieler-Laufleistungen auf Platz 5 liegt.

Zumindest leicht auffällig ist, dass Hertha nur 5 seiner 13 Punkte im Olympiastadion sammelte. Insbesondere die Spiele gegen Stuttgart und Mainz hätte man in der Retrospektive eigentlich gewinnen müssen – dann wäre nicht nur die Heimbilanz zur Weihnachtspause erträglicher gewesen. Schaut man sich die letzten beiden Herthaspiele nochmals an, fällt zudem auf, dass insbesondere im zentralen Mittelfeld viele kleine aber wichtige Zweikämpfe verloren gingen. Die Zweikampfquote belegt das: Unter den 25 Spielern mit der besten Zweikampfquote rangiert nur ein Herthaner: Rechtsverteidiger Pekarik mit knapp 62 Prozent gewonnener Duelle. Dass Matheus Cunha der Spieler mit den meisten Ballverlusten der Liga ist (77), belegt dieses Problem.

[Titelbild: IMAGO]

Hilfe für die Ukraine!

Um den Menschen in der Ukraine zu helfen, hat sich die Gruppa Süd entschlossen, Geld zu sammeln und damit die Menschen in und um die Kriegsgebiete zu unterstützen. Davon werden speziell Hygieneartikel für Frauen und Babys sowie haltbare Lebensmittel gekauft. Die Spenden werden direkt an die polnisch-ukrainische Grenze geliefert, sodass den Menschen unmittelbar geholfen wird.

ÜBER DEN AUTOR

Benjamin Rohrer

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