Vierte Niederlage in Folge, dazu eine gelb-rot-Sperre von Zeefuik und das Gefühl, dass eigentlich mehr drin gewesen wäre. Der Auftritt in Leipzig war in Bezug auf den Ertrag wahrlich einer zum Vergessen. Spielerisch hingegen wusste Hertha durchaus zu überzeugen und mit ein bisschen mehr Konzentration und weniger Missgeschick im eigenen Strafraum wäre für die „Alte Dame“ ein Punktgewinn durchaus im Bereich des Machbaren gewesen. So stehen am Ende zwar nur drei Punkte nach fünf Spielen, aber immerhin auch die Erkenntnis, dass die Mannschaft zweifelsohne die Qualität hat, an guten Tagen sogar mit den Großen mitzuhalten. Diesen Schwung gilt es nun, gegen Wolfsburg mitzunehmen.
Um den bestmöglichen Einblick in die Lage beim VfL zu bekommen, haben wir mit Wolfsburg-Expertin Becci gesprochen und sie unter anderem gefragt, woher die neu gewonnene defensive Stabilität der „Wölfe“ kommt.
Ungeschlagen und doch unzufrieden?
Zusammen mit Leipzig und Leverkusen ist der VfL nach fünf Spieltagen das einzige ungeschlagene Team der Liga. Zudem stellt das Team von Oliver Glasner mit drei Gegentoren die zweitbeste Defensive.
So viel zur einen Seite der Medaille. Auf der Kehrseite stehen hingegen Platz 10 und überschaubare vier selbst erzielte Tore. Becci konstatiert die Situation wie folgt: „Es fehlen einfach die Tore. Wenn man sich auf das Spiel gegen den Ball konzentrieren will, dann muss wenigstens die Chancenverwertung stimmen, und die stimmt hinten und vorne nicht. Vor diesem Hintergrund sehe ich wenig Gründe, mich über ein uninspiriertes 0-0 zu freuen. […] Es ist wie so oft beim VfL: Was auf den ersten Blick eigentlich ganz ok aussieht, hinterlässt auf den zweiten einen faden Beigeschmack.
Ich hoffe wirklich sehr, dass das Spiel gegen die Arminia auch in der Art, wie es lief, ein Weckruf war, der die Mannschaft auch spielerisch auf den richtigen Weg zurückgeholt hat. Gefühlt sind wir jetzt so richtig in der Bundesligasaison angekommen und es sollte bergauf gehen. Bis zum Spiel gegen die Bayern im Dezember warten sechs absolut schlagbare Gegner auf uns. In den nächsten Wochen wird sich also zeigen, wie viel der Funken von Zufriedenheit und Optimismus, den die letzten Wochen in mir entzündet haben, wert ist.“
Was nicht gerade förderlich für die Zufriedenheit und den Optimismus ist, ist das Abschneiden des VfL in der diesjährigen Europa League-Saison, in der man in den Playoffs gegen AEK Athen ausschied. Doch wie so viele Aspekte bei den Wolfsburgern lassen sich auch hier zwei Sichtweisen erkennen: Zum einen natürlich die Enttäuschung ob der blamablen Vorstellung, zum anderen aber auch die Erkenntnis, „dass wir uns aufgrund des Pandemiegeschehens ja ohnehin schon in einer unglaublich eng getakteten Saison befinden [und deswegen] auch eine gewisse Erleichterung über den Wegfall der Doppelbelastung wahrnehmen. Dadurch, dass in der Liga ja lange der erste Sieg fehlte, bestand schon früh die Sorge, wieder in die abstiegsbedrohten Gefilde der Saisons 16/17 und 17/18 zu geraten – und das will wirklich niemand, zu schwer wiegen die Erfahrungen und aus zwei Mal Relegation. Wenn man das Ausscheiden also von der positiven Seite aus betrachten will, dann lässt sich festhalten, dass es gerade in diesem Jahr vielleicht wichtigeres gibt als die Europa League.“
Die Abkehr vom Ballbesitzfußball
Wenn Hertha am Sonntagabend auf Wolfsburg trifft, ist das für Bruno Labbadia eine Reise in die Vergangenheit. Bis zum Sommer 2019 leitete der jetzige Hertha-Trainer die Übungseinheiten in der Autostadt und ließ viele seiner Kritiker verstummen. War er nach seiner Zeit beim HSV vor allem als „Retter“ abgestempelt worden, zeigte er in Wolfsburg eindrucksvoll, dass er sehr wohl in der Lage ist, ein Team spielerisch weiterzuentwickeln. Als eines von wenigen Teams wollte der VfL den Ball haben und wusste damit etwas anzufangen.
Schaut man sich die Spiele der Wolfsburger heute an, wirken diese Eindrücke, als seien sie aus einer anderen Zeit. Der Ansatz von Oliver Glasner ist ein gänzlich anderer. Der Fokus liegt auf schnellen Kontern und defensiver Stabilität. Die Zahlen belegen das Ganze eindrucksvoll. Selbst im Heimspiel gegen Aufsteiger Bielefeld kamen die „Wölfe“ nur auf 49 Prozent Ballbesitz.
Das Spiel mit dem Ball ist eindeutig nicht das Kerngeschäft der Mannschaft. Daher spielt es eine große Rolle, dass die Arbeit gegen den Ball funktioniert – und das tut sie, wie Becci sagt: „Umso froher bin ich, dass die Defensive sich so stabil gezeigt hat in den letzten Wochen. Spieler wie John Anthony Brooks – vergangene Saison aufgrund seiner Leistungen noch oft das Ziel von Häme und Ärger – zeigen plötzlich gute Leistungen, und unser Kapitän Josuha Guilavogui hält die Mannschaft im Spiel gegen den Ball zusammen. All das passt zum defensiven, auf Konter ausgerichteten Fußball von Oliver Glasner, und sorgt dafür, dass Gegentore aktuell wirklich nicht unser Problem darstellen.“
Offensiv dagegen drückt der Schuh, trotz eines Stürmers wie Wout Weghorst, den wohl die Mehrheit aller Bundesligisten gern im Kader hätte: „Das höchste aller Gefühle sind offensive Anstrengungen zu Spielbeginn bis ein erstes Tor fällt. Spätestens dann verfällt die Mannschaft wieder in eine reine Verteidigungshaltung, die alles andere als souverän wirkt. Aus der Kombination von allgemein wenig Zug nach vorne und der miserablen Chancenverwertung der letzten Wochen speist sich dann eben eine Zahl wie vier Tore aus fünf Spielen.“, sagt Becci.
Herthas Hoffen auf Guendouzi
Auch in Herthas Spiel läuft in dieser frühen Phase der Saison längst noch nicht alles rund. Eine Baustelle soll nun Neuzugang Matteo Guendouzi beheben. Auf seinem – aufgrund von Corona verspätetem – erhoffen sich viele einen Schub für die gesamte Mannschaft. Davon abgesehen kann Labbadia mit Ausnahme des Gesperrten Zeefuik sowie der Langzeitverletzten Torunarigha und Ascacibar aus dem Vollen schöpfen, um den zweiten Saisonsieg ins Visier zu nehmen.
*Titelbild: Matthias Kern/Bongarts/Getty Images