Herthaner im Fokus: Hertha BSC – SC Paderborn

von Sep 22, 2019

Gewonnen und doch stellt sich nicht wirklich das Gefühl von Erleichterung ein. Der 2:1-Heimsieg über den SC Paderborn am Samstagnachmittag brachte Hertha BSC zwar die ersten drei Punkte der Saison ein, wusste spielerisch aber einmal mehr nicht zu überzeugen. Fast schon ängstlich agierten die Blau-Weißen, einzig dem unbekümmerten Javairo Dilrosun war eine gewisse Leichtigkeit zu attestieren. Er war es auch, der die Partie durch einen einen Treffer und einen Assist zu Gunsten der Berliner entschied. Die Einzelkritik zu Lichtblicken und Sorgenkindern der “Alten Dame”.

Javairo Dilrosun – eins mit Sternchen

Kommen wir ohne Verzug zum Mann, dessen Tor um die Welt ging. Sogar der US-amerikanische TV-Sender Fox schnitt sich Dilrosuns unglaublichen Treffer zum 1:0 aus und teilte diesen über Twitter – “Introducing Javairo Dilrosun”. Der Niederländer trumpfte bei seinem Startelf-Comeback ähnlich auf, wie bei seinen allerersten Auftritten im blau-weißen Trikot.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Nach seinen auffälligen Joker-Einsätzen gegen Schalke 04 und den 1. FSV Mainz 05 (gab dort den Assist zum zwischenzeitlichen 1:1) stellte Trainer Ante Covic Dilrosun einen Startelfeinsatz in den kommenden Spielen in Aussicht. Lange darauf warten musste der 21-Jährige letztendlich nicht, bereits am Samstag gehörte er zu den elf Glücklichen, die gegen Paderborn beginnen durften. Es brauchte nur zehn Minuten, um das Vertrauen von Covic zurückzahlen – und wie! Dilrosun erhielt den Ball auf der linken Seite des letzten Angriffsdrittels, fasste sich ein Herz und dribbelte sich kurzerhand an fünf (!) Gegenspielern vorbei, um dann zum Führungstor einzuschieben. Eine Weltklasse-Aktion des Flügelspielers, der genau das zu sein schien, was die Mannschaft dringend brauchte.

Mit seinem Tempo, dem Gespür für besondere Aktionen und einer großen Unbekümmertheit war Dilrosun der mit Abstand stärkste Berliner Offensivakteur an diesem Tag. Niemand im Team verbuchte mehr erfolgreiche Dribblings (fünf) als der Niederländer, niemand schlug mehr Flanken. Sobald Dilrosun an den Ball kam, herrschte Unruhe bei den Paderborner Gästen. Zurecht, denn das Offensivjuwel kann nicht nur Tore schießen, sondern auch auflegen. In der 52. Minute erhielt Dilrosun den Ball von Marko Grujic, sprintete bis an den linken Strafraumrand und hatte dann das Auge für Marius Wolf. Dieser verarbeitete die perfekte Hereingabe Dilrosuns zum zwischenzeitlichen 2:0.

Mit einem Tor und einer Vorlage avancierte Dilrosun bei seinem ersten Startelfeinsatz seit November 2018 zum absoluten Matchwinner. “Es war lange her, dass ich in der Startelf stand, deshalb war ich besonders motiviert. Auch die Ergebnisse der letzten Wochen haben dazu geführt, dass ich der Mannschaft mit Toren und Vorlagen unbedingt helfen wollte”, erklärte er nach dem Spiel. Geholfen hat er eindeutig.

Ondrej Duda – ein Schatten seiner selbst

Vom auffälligsten zum unauffälligsten Spieler des vergangenen Spiels – Ondrej Duda wird seiner Berufsbezeichnung “Spielmacher” in der laufenden Saison noch keinesfalls gerecht und konnte seiner Mannschaft auch gegen Paderborn nicht helfen.

Foto: Matthias Kern/Bongarts/Getty Images

Es ist bislang nicht die Runde von einigen Spielern im Hertha-Kader, doch sticht Duda aufgrund seiner starken Vorsaison besonders heraus. Der Slowake hatte gegen Paderborn die Chance, das Ruder für sich und die Mannschaft herumzureißen, doch warf sein Auftritt vielmehr weitere Fragen auf. Eine einfache Antwort: Duda befindet sich in einem Formloch der Marke Marianengraben. Gegen den SCP wollte dem 24-Jährigen absolut nichts gelingen. Er verlor die deutliche Mehrzahl seiner Zweikämpfe, konnte kaum konstruktives zum Berliner Angriffsspiel beitragen und legte nicht eine einzige Torchance auf – kurzum: Duda war ein kompletter Fremdkörper im Hertha-Spiel.

Das lässt sich auch an konkreten Zahlen ablesen. Während der SC Paderborn ganze 47 Pässe im letzten Angriffsdrittel (34 davon erfolgreich) zustande brachte, waren es bei Hertha lediglich 13 (acht erfolgreich). 14 Paderborner Zuspiele (acht erfolgreich) wurden in den Strafraum gespielt, dem gegenüber stehen acht Herthaner Pässe (vier erfolgreich). Auch wenn diese Statistiken auch mit der grundsätzlichen Spielausrichtung beider Teams und dem zusätzlichen derzeitigen Formtief von Mittelfeldkollege Grujic zusammenhängen, ist abzulesen, wie sehr ein gut aufgelegter Duda dem Berliner Offensivspiel fehlt. Auch 6:18 Schüsse sind ein Indiz dafür. Herthas Nummer zehn strahlt aktuell keinerlei Gefahr und Kreativität aus, vielmehr fehlenden Mut, etwas Besonderes zu kreieren. Auch wenn sich über die Einwechslung von Vladimir Darida streiten lässt, war es nur folgerichtig, den völlig neben sich stehenden Duda am Samstag nach 45 Minuten rauszunehmen.

Per Skjelbred – die nötige Seriosität

Aufgrund der Formkrisen von Duda und Grujic ist das einstige Prunkstück Herthas, die Mittelfeldzentrale, zum Sorgenkind geworden. Einzig Routinier Per Skjelbred, der sich zuletzt in die Mannschaft gespielt hat, überzeugt auf seiner Position als Balleroberer und Antreiber.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

“Mir ist klar, dass ich ein defensiver Spieler bin, der Bälle abfängt und weiterleitet, kein Usain Bolt. Ich schaffe es nicht, den Ball hinten zu erobern und vorne anzugreifen”, erklärte Skjelbred seine Spielweise noch vor dem Spiel gegen Paderborn, fügte aber an: “Ich gebe in jedem Spiel alles, was ich habe. Manchmal reicht das, manchmal nicht. Aber ich werde mich immer bis zum Schluss für die Mannschaft zerreißen. Das ist meine Mentalität, ich bin ein Mannschaftsspieler.” Exakt diese Attribute waren auch am Samstag zu beobachten, aber auch ein wenig mehr.

Dass die Ostwestfalen meist über die Seite angreiften, lag mitunter auch an der äußerst engagierten Vorstellung Skjelbreds. Der Norweger fungierte als Staubsauger vor der Viererkette, um das gegnerische Offensivspiel durch die Mitte lahmzulegen. Gewohnt lauffreudig und vor keinem Zweikampf flüchtend biss sich der 32-Jährige in die Partie. So lief er die zweitgrößte Strecke aller Herthaner, zudem verbuchte niemand in blau-weiß mehr intensive Läufe als der defensive Mittelfeldspieler. Es war einmal mehr imponierend, wie mannschaftsdienlich “Schelle” auftrat, wie er sich in jedes Duell warf und dem Gegner keinen Zentimeter Raum schenkte. Ganze fünf Tackles brachte Skjelbred durch, so viel wie sonst nur Dedryck Boyata.

Darüber hinaus war der Mittelfeldwühler für das Umschaltspiel von großer Bedeutung, da er seine Balleroberungen äußerst gedankenschnell in Angriffe umwandelte. Zwar waren seine Zuspiele nicht ohne Risiko (66,7% Passquote), doch kamen sie an, waren sie mit großem Raumgewinn verbunden. Zudem zeichnete sich der Routinier durch eine extrem hohe Ballsicherheit aus – ganze 13 Bälle sicherte er. Skjelbred bewies in diesem Spiel, dass es ungenügend ist, ihn als reinen Kämpfer ohne spielerischen Mehrwert einzuordnen. Stattdessen war er der benötigte Antreiber mit viel Dynamik und Tatendrang. In dieser Form ist Skjelbred nicht aus der Anfangsformation wegzudenken.

Dedryck Boyata – wie einst Rekik

Es gibt einen neuen Chef in der Berliner Abwehr – Neuzugang Dedryck Boyata überzeugte wie schon gegen Mainz 05 auf ganzer Linie und hat seinen Startelfplatz erst einmal sicher.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Karim Rekik im größten Formloch seiner Hertha-Zeit, Jordan Torunarigha zu unbeständig in seinen Leistungen und auch (Vize-)Kapitän Niklas Stark ist aktuell eher mit sich selbst beschäftigt – da braucht es dringend zumindest einen Innenverteidiger, der die Defensive zusammenhält. Sommertransfer Boyata wird dieser Aufgabe vollends gerecht, wie schon in Mainz gehörte der Belgier am Samstag zu den Lichtblicken in einem sonst schwachen Team. Seine ersten beiden Einsätze für Hertha erinnern stark an die Anfangszeit von Karim Rekik, da er keinerlei Anlaufzeit brauchte, um direkt bei 100 Prozent zu sein und eine besondere Aura der Souveränität und Willensstärke auszustrahlen.

Während Nebenmann Stark seine Probleme mit den agilen Paderborner Angreifern hatte, wirkte Boyata durchgängig auf der Höhe des Geschehens zu sein. Der 28-Jährige verbuchte fünf Tackles, sechs abgefangene Bälle, fünf geklärte Situationen und zwei geblockte Schüsse – jeweils Mannschaftsbestwerte. Es war ein beruhigendes Gefühl, mit Boyata einen für alle Situationen gewappneten Abwehrspieler in den eigenen Reihen zu haben. Er war stets sehr nahe an seinem Gegenspieler dran, griff Mitspielern unter die Arme und verfügte darüber hinaus über ein mehr als solides Aufbauspiel. Zwar ist es recht unmöglich, durch nur einen einzigen Spieler Sicherheit in der gesamten Vierer-Abwehrkette herzustellen, doch herrschte zumindest in Boyatas Wirkungsbereich wenig Gefahr. Bereits nach zwei Spielen strahlt Boyata ein ungeheure Präsenz aus, die der Mannschaft sichtlich hilft und gegen Paderborn mit verantwortlich für den Sieg war.

Davie Selke – stets bemüht, aber …

Zum zweiten Mal infolge erhielt Davie Selke den Vorzug vor Kapitän Vedad Ibisevic im Sturmzentrum, zum zweiten Mal konnte der Angreifer seine Chance(n) nicht nutzen.

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Mehrere Male setzte Selke am Samstag zum Jubeln an – einmal in der 68. Minute, als er zunächst an SCP-Keeper Huth gescheitert war, Darida den Nachschuss zum vermeintlichen 3:1 verwandelte, aber (korrekterweise) auf Abseits entschieden wurde. In der 75. Minute schob der Mittelstürmer den Ball dann selbst über die Linie, doch auch diese Szene wurde aufgrund einer Abseitsstellung abgepfiffen. Zwei Momente, die Selkes Spiel treffend zusammenfassten: er war zwar ins Spiel integriert, doch das Glück ging ihm gänzlich ab.

Steht Davie Selke auf dem Platz, merkt man das. So war er auch gegen Paderborn einer der auffälligeren Protagonisten, da er sich in viele Angriffe einschaltete und keinen Ball verloren gab. Der 24-Jährige bestach einmal mehr durch seinen hohen Aufwand, so sprintete kein Herthaner mehr als er, bei den intensiven Läufen belegte er Team-intern immerhin Platz drei. Hinzu kommen sehr viele (Luft-)Zweikämpfe, die auch er auch mehrheitlich für sich entschied. Doch ist Aufwand das eine und Ertrag das andere – bei letzterem schnitt Selke einmal mehr kläglich ab. Sobald die Nummer 27 den Ball in einer aussichtsreichen Position bekam, flatterten seine Nerven sichtlich. So versagte er beispielsweise in der 61. Minute dabei, den im Zentrum völlig freistehenden Marius Wolf zu bedienen. Auch sonst wollte ihm nichts gelingen, so blieb er viele Male im letzten Moment an Gegenspielern hängen oder machte sich gute Situationen durch Abseitsstellungen und Offfensivfouls selbst zunichte. Während man bei einem Dilrosun, wenn er an den Ball kommt, stets gefährliche Offensivaktionen erwartet, geht man bei Selke aktuell davon aus, dass es sowieso nichts wird.

Es bleibt eine äußerst glücklose Saison für Davie Selke, dem man zwar stets 100 Prozent Engagement attestieren kann, aber irgendwann wird ein Mittelstürmer eben doch an Toren gemessen. Bleiben diese weiter aus, ist er seinen Startelfplatz bald wieder los.

ÜBER DEN AUTOR

Marc Schwitzky

Marc Schwitzky

Erst entfachte Marcelinho die Liebe zum Spiel, dann lieferte Jürgen Klopp die taktische Offenbarung nach. Freund des intensiven schnellen Spiels und der Talentförderung. Bundesliga-Experte und Wortspielakrobat. Gründungsmitglied & Chefredakteur.

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