Herthaner im Fokus: Ein Sieg für die Stimmung

von Nov 15, 2022

Ein wirklich wildes Fußballjahr geht für Hertha BSC zu Ende. Wie schon 2021 beendet man das sehr durchwachsene Jahr letztendlich mit einem Sieg und sorgt damit für gute Stimmung in und um den Verein. Gegen den 1. FC Köln schaffte es das Team zwar nicht altbekannte Schwächen und Probleme abzustellen, doch neben dem vorhandenen Glück in der Defensive konnte man in der Offensive sich endlich für die vielen Mühen belohnen. Beim 2:0-Sieg, den über 60.000 Zuschauer und Zuschauerinnen im gut gefüllten Olympiastadion verfolgten, hatte man gleichzeitig auch einen extrem müden und unkonzentrierten Gegner gegen sich, der sich immer wieder selber im Wege stand.

Zwei Änderungen nach einer langen Englischen Woche

Gegenüber der bitteren Last-Second-Niederlage in Stuttgart änderte Sandro Schwarz seine Mannschaft auf zwei Positionen. Dafür verabschiedete er sich vom 4-4-2 und griff auf das zuvor bewährte 4-3-3 zurück.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Im Tor Dänemarks WM-Fahrer Oliver Christensen. In der Verteidigung stand zunächst Kapitän und Linksverteidiger Marvin Plattenhardt, der allerdings früh verletzungsbedingt Maximilian Mittelstädt Platz machen musste, in der Innenverteidigung Marc-Oliver Kempf und Agustin Rogel und als Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny. In der Zentrale vor der Verteidigung war wieder Startelfrückkehrer Ivan Sunjic zu finden. Vor ihm ackerten Lucas Tousart und Jean-Paul Boetius. Im Sturm sollten Dodi Lukebakio, Marco Richter und der vollständig wiedergenesene Wilfried Kanga, der Davie Selke aus der Startelf verdrängte, für Torgefahr sorgen

In unserer Analyse schauen wir heute auf die Torschützen, Herthas andauernde Linksverteidiger-Thema und eine gute Alternative im zentralen Mittelfeld.

Marco Richter: Im richtigen Moment zur Stelle

Gegen den VfB Stuttgart glänzte Marco Richter vor allem durch Diskussionen mit den Gegenspielern und dem Schiedsrichtergespann, Teil des Spiels war er allerdings nicht. Das änderte sich glücklicherweise gegen Köln. Er war wieder motiviert und wusste seine individuellen Qualitäten stets zu nutzen, auch wenn er häufig überhastet abschloss. In seinen 84 Minuten, die er auf dem Platz stand, erarbeitete sich Marco Richter vier Torschüsse. Der Sekundenzeiger hatte noch nicht einmal das erste Mal die ganze Uhr umrundet, da versuchte es der 24-Jährige schon das erste Mal. Wieder einmal begann Hertha ein Spiel hellwach und versuchte früh Druck aufzubauen. In der 14. Minute fehlte es Richter deutlich an Präzision und Ruhe. Sein Schussversuch, der sich eher überraschend für ihn ergab, setzte er deutlich über das Tor. Seinen goldenen Moment hatte er in der 54. Minute. Dodi Lukebakios Hereingabe wurde von Kölns Torhüter Marvin Schwäbe in die Mitte gelenkt, Richter knallte den Abpraller unter die Latte zum vorentscheidenden 2:0.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Der Angreifer hatte es nicht leicht. Vier Mal wurde er von den Kölnern unfair vom Ball getrennt, doch er war endlich wieder Teil der Mannschaft. 45 Ballaktionen zählen die Statistiken, 15 von 22 Pässen kamen an, 58 Prozent seiner Zweikämpfe entschied er für sich. Und auch in der Defensive half Richter ein ums andere Mal aus. Wieder einmal wird deutlich, wie wichtig ein Marco Richter in guter Form ist. Man sollte alles daran setzen, dass das im neuen Jahr so bleibt.

Maximilian Mittelstädt: Plattenhardts Pech wird zu Herthas Glück

Eine Never-ending-Story. Ja, Marvin Plattenhardt konnte sich mit einer Torvorlage – einer wirklich schönen Flanke aus dem linken Halbfeld – mal wieder in die Statistiken eintragen. Und damit hat er einen riesigen Anteil an dem sehr wichtigen Sieg der Hertha. Und verletzt ausgewechselt werden, wünscht man keinem Spieler. Doch mit der Einwechslung von Maximilian Mittelstädt nach 24 Minuten wurde wieder einmal deutlich, dass Herthas besserer Linksverteidiger die meiste Zeit in dieser Saison auf der Bank saß. Statistisch ist das sogar nachweisbar. Und weiterhin befinden wir uns bei einem Vergleich auf dieser Position bei Hertha BSC auf niedrigem Niveau, auch wenn Mittelstädt gegen die Kölner ein wirklich gutes Spiel zeigte.

Mittelstädt war praktisch mit der allerersten Szene mitten im Geschehen. Nachdem Sargis Adamyan Linton Maina in der 25. Minute auf die Reise geschickt hatte, fehlte nicht viel und der gebürtige Berliner – in diesem Fall ist Linton Maina gemeint – hätte den Ausgleich erzielt. Doch das nötige Zielwasser fehlte. Mittelstädt verpasste es, zusammen mit seinen Kollegen das Abseits aufzuheben und so hatte er keine Chance mehr entscheidend einzugreifen.

(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

Mittelstädt sammelte gegen die Kölner Top-Statistiken. 79 Prozent seiner Pässe kamen bei den Mitspielern an, stolze 92 Prozent seiner Zweikämpfe gewann er. Zusätzlich beendete er fünf von sechs Dribblings erfolgreich. Dem gegenüber stehen trotzdem 13 Ballverluste und auch er hatte das ein oder andere Mal gegen die Kölner Offensive das Nachsehen. Seine Flankenqualität ließ oft zu wünschen übrig, doch manchmal war die gar nicht so wichtig. In der 77. Minute holte er mit seiner schwachen Flanke sogar noch einen Eckball heraus, etwas, was ihm in dem Spiel mehrmals gelang. Und am 2:0 hatte er mit einem Dribbling und einer Balleroberung entscheidenden Anteil.

Wie schon erwähnt, Das Linksverteidiger-Duell, welches seit vielen Jahren zwischen Mittelstädt und Plattenhardt besteht, befindet sich auf keinem hohen Niveau. Immer wieder wechselten sich die beiden ab, je nachdem wer sich gerade in einer besseren Phase befand. Zu Beginn dieser Saison sollte dieses Thema beendet werden, indem Marvin Plattenhardt zum Kapitän ernannt wurde.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Doch spielerische Argumente, in der Hierarchie vor Mittelstädt zu stehen, konnte er nicht liefern. Interessant wird die Lage im Winter werden. Beide Verträge laufen aus, um einen Abgang von Mittelstädt gibt es immer wieder Gerüchte und mit Lukas Ullrich steht ein heißbegehrtes Linksverteidiger-Talent in den Startlöchern.

Wilfried Kanga: Startelfambitionen untermauert

Auch im Sturm werden im Winter gewisse Entscheidungen getroffen werden müssen. Davie Selke steht vor dem Abschied und bis auf Dodi Lukebakio konnte sich in der Hinrunde kein Spieler als eiskalter Vollstrecker vor dem Tor herauskristallisieren. Umso besser, dass Wilfried Kanga sein Torekonto auf zwei aufstocken konnte. Der Ivorer stand nach seiner schwachen Torausbeute in den letzten Wochen immer mehr in die Kritik und wird sich nach der Winterpause weiter beweisen müssen, um Chancen für die Startelf zu bekommen. Gegen die Domstädter stand er bis zur 84. Minute auf dem Platz und seinen entscheidenden Beitrag leistete er bereits nach neun Minuten. Luca Kilian entwischend nickte er die wunderbare Flanke von Marvin Plattenhardt aus kurzer Distanz in die Maschen.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Er arbeitete, bemühte sich mit spielerischen Elementen am Offensivspiel teilzunehmen. Eine weitere große Chance eröffnete sich ihm in der 28. Minute. Die starke Vorlage von Lukebakio lenkte er Richtung Tor, doch landete lediglich am Außennetz. In der 69. Minute fand er in aussichtsreicher Position in Luca Kilian seinen Meister. Eine von verschiedenen Aktionen, in denen mehr drin gewesen wäre. Nicht nur in diesem Spiel. Die gesamte Saison schon. Doch auch Kanga war – anders als zuletzt – Teil der Mannschaft. 35 Aktionen hatte er am Ball, verteilte 22 Pässe, von denen 14 ankamen. 55 Prozent seiner Zweikämpfe gewann der Stürmer und defensiv klärte er sogar zwei Aktionen der Kölner. Wilfried Kanga untermauerte seine Startelfambitionen, doch es braucht weiter Zählbares vor dem Tor, um langfristig erster Stürmer von Hertha BSC zu bleiben.

Ivan Sunjic: Starkes Spiel und gute Alternative

Nachdem zuletzt Suat Serdar immer wieder den Vorzug vor den Kroaten bekommen hatte, aber selten etwas Zählbares erspielen konnte, stand gegen Köln Ivan Sunjic wieder einmal in der Startelf. Neben Lucas Tousart spielte er im zentralen Mittelfeld das gesamte Spiel durch. Vor allem defensiv wusste er immer wieder für Ruhe zu sorgen, aber auch offensiv hatte er seine Anteile am Spiel der Hertha.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

80 Prozent seiner Pässe waren erfolgreich. Sechs seiner acht Zweikämpfe entschied er für sich. Auch diese 75 Prozent sind eine wirklich starke Statistik für den Defensivspieler. Eine Aktion der Kölner klärte er im eigenen Strafraum, einen weiteren Schuss blockte er, sechs Tacklings entschied Sunjic für sich. Dem gegenüber stehen zwar sieben Ballverluste, doch insgesamt polierte er in diesem  Spiel seine Statistiken ordentlich auf. Offensiv wurde er nach 45 Minuten von Dodi Lukebakio in Szene gesetzt. Sein Torschuss wurde aber von Schwäbe stark gehalten, seinem nachfolgenden Kopfball konnte er nicht die nötige Kraft verleihen, um den Torhüter ein weiteres Mal herauszufordern.  Ein wirklich gutes Spiel von Ivan Sunjic, der damit auch den Konkurrenzkampf im zentralen Mittelfeld wieder ankurbelt.

Mit viel Glück für Ruhe gesorgt – Die Baustellen sind bekannt

Hertha konnte mit dem Sieg gegen den 1. FC Köln für etwas Ruhe sorgen und damit zumindest ohne Trübsal zu blasen in die Pause gehen. Das Spiel offenbarte allerdings auch, wie viel Glück die Mannschaft von Sandro Schwarz noch benötigt, um die Punkte mit nach Hause fahren zu können. Allein Sargis Adamyan hätte Hertha abschießen können, scheiterte letztendlich aber denkbar unglücklich an sich selbst und den anstrengenden vergangenen Wochen. Hertha hat auf vielen Mannschaftsteilen enorme qualitative Probleme, die im Winter besprochen und bearbeitet werden müssen. Die finanzielle Lage ermöglicht keine großen Handlungen auf dem Transfermarkt, auf Fredi Bobic und Sandro Schwarz kommt herausfordernde Arbeit zu. Die Saison könnte wieder einmal sehr lang werden, doch die Vorzeichen sind um einiges besser als noch vor einem Jahr. Während damals ein schwer gezeichneter Verein vorzufinden war, dessen gesamte Fanszene auch schwer zerrüttet war und die Lage dunkler und unterkühlter kaum sein konnte, ist dieses Mal der Verein geeint.

(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

In und um den Verein herrscht trotz der schwierigen sportlichen Lage, eine seit Jahren nicht mehr so groß gelebte Einheit. Die Stimmung ist gut, über das Miteinander wird nicht nur gesprochen, es wird auch gelebt. Einen großen Anteil daran hat auch Präsident Kay Bernstein und damit Wunsch und Wohl der Fans. Im Übrigen eines der großen positiven Ereignisse dieses so verrückten Fußballjahres von Hertha BSC.

(Titelbild: Boris Streubel/Getty Images)

ÜBER DEN AUTOR

Johannes Boldt

Johannes Boldt

Weitere Artikel

Alles nach Plan

Alles nach Plan

In den letzten Jahren sind sämtliche Trainer bei Hertha gescheitert. Woran liegt das? Eine Analyse der fehlenden Berliner Philosophie.

Podcast #297 2:2 gegen Ulm – Hertha kommt nicht vom Fleck

Podcast #297 2:2 gegen Ulm – Hertha kommt nicht vom Fleck

Die Mitgliederversammlung sollte das reinigende Gewitter bei Hertha BSC sein, doch nach dem enttäuschenden 2:2 gegen Aufsteiger Ulm donnert es weiter in der Hauptstadt. Wir analysieren das Unentschieden, blicken auf Herthas allgemeine sportliche Lage und geben einen...