Herthaner im Fokus: Matchball vergeben

von Mai 2, 2022

Hertha BSC spielt in Bielefeld 1:1. Und man muss angesichts der schwachen Bielefelder Offensive von „nur“ 1:1 sprechen. Die Berliner haben mit dem Remis in Ostwestfalen ihren ersten Matchball im Kampf um den Klassenerhalt vergeben. Doch die Chancen nächstes Jahr in der Bundesliga zu spielen, stehen weiterhin gut, weshalb nach dem Spiel absolut keine Trübsal geblasen, sondern die kämpferische Ausstrahlung der letzten Wochen weiterhin nach außen gezeigt wurde.

Auf der Bielefelder Alm hielt Felix Magath so gut es ging an seiner Startelf fest, die sich mittlerweile festgespielt hat. Im Tor Marcel Lotka, die Viererkette bestehend aus Marvin Plattenhardt, Dedryck Boyata, Marc Oliver Kempf und Peter Pekarik und die davor spielende Doppelsechs um Lucas Tousart und Santiago Ascacibar. Kevin Prince Boateng durfte wieder die Zügel im offensiven Mittelfeld halten, auf der linken Seite agierte Suat Serdar und auf der rechten Seite kam es zum einzigen Wechsel in der Startelf. Marco Richter ersetzte den gelbgesperrten Vladimir Darida, nachdem er selbst seine Gelbsperre abgesessen hatte. Vorne im Sturm vertraute Magath auf die Stärken von Davie Selke.

In unserer heutigen Analyse schauen wir auf die Garanten im Abstiegskampf, eine Hertha-Legende und Magaths gefährlichen Ritt auf der Rasierklinge.

Marvin Plattenhardt und Lucas Tousart: Die einfachen Tugenden müssen es sein

Marvin Plattenhardt und Lucas Tousart zeigen seit Wochen worauf es im Abstiegskampf ankommt. Nicht auf das schöne Spiel, sondern auf das geringste Spiel. Es geht um Einsatzwillen, um kluge Entscheidungen und im Endeffekt auch ganz nüchtern um Standardsituationen. Zusammen waren sie gegen Bielefeld das Duo, welches für den wichtigen Berliner Führungstreffer zuständig war.

Marvin Plattenhardt durfte wie üblich als Linksverteidiger agieren und dabei fast schon als Schienenspieler fungieren, während der auf dem Papier als linker Mittelfeldspieler eingesetzte Suat Serdar immer wieder in die Mitte zog. Gegen Bielefeld reichte über 71 Minuten eine durchschnittliche Leistung, um für Gefahr zu sorgen. Zunächst hätte es in der 23. Minute zur selben Kombination wie schon gegen Stuttgart kommen können. Die hervorragende Flanke Plattenhardts konnte Selke allerdings nicht verwerten. Seinen Kopfball aus kürzester Distanz hielt Torhüter Stefan Ortega stark per Fußabwehr.

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(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Plattenhardt war an 48 Aktionen beteiligt, bemühte sich, gewann zwei seiner vier Zweikämpfe. Sein Aufblühen in den letzten Wochen liegt natürlich vor allem daran, dass er an seinen Stärken aus früheren Tagen anknüpft. Aktuell scheinen seine Leistungen für den Klassenerhalt am Ende zu reichen, doch muss man anmerken, dass die letzten Spiele vor allem gegen individuell schwächere Gegner absolviert wurden. Es wird spannend zu sehen sein, wie sich das Spiel Plattenhardts gegen das scheinbar wiedererstarkte Mainz 05 entfaltet. Aber bekanntlich reicht manchmal schon nur eine gelungene Flanke.

Lucas Tousart war nach 55 Minuten der Nutznießer einer eben solchen gelungenen Flanke. Die Ecke von Marvin Plattenhardt konnte er aus wenigen Metern Entfernung einnicken, nachdem er sich im Strafraum von Patrick Wimmers Deckung befreien konnte. Der Franzose, der die komplette Spielzeit über auf dem Feld ackern durfte, lief wieder einmal seine obligatorischen zwölf km.

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(Photo by Christof Koepsel/Getty Images)

Er war 57 Mal am Ball, verteilte diesen so gut es ging. 73 Prozent, also 22 seiner 30 Pässe fanden den richtigen Mitspieler. Eine durchaus vernünftige Quote, die ihn als ballverteilenden Akteur bezeichnen lässt. Wie schon gegen Stuttgart war seine Zweikampfquote nicht die beste. Nur 48 Prozent gewann er – es waren aber meist die entscheidenden. Zweimal zog er ein Foul, auch er selbst wurde zweimal unfair vom Ball getrennt. Er kämpfte und arbeitete, ging gegen seine Gegenspieler dreimal ins Tackling und zeigte seine Motivation, im Abstiegskampf zu helfen. Da scheint jemand in Berlin und im Team angekommen zu sein.

Peter Pekarik: Dauerbrenner und Mr. Hertha BSC

Peter Pekarik spielt mittlerweile seit 10 Jahren in Berlin. Der Slowake gilt als Hertha-Legende. Inklusive des einen Jahres, welches er damals noch in der 2. Bundesliga für die „Alte Dame“ absolvierte, war der Auftritt gegen Arminia Bielefeld sein 200. Liga-Einsatz für Hertha BSC. Wettbewerbsübergreifend kommt er sogar auf 217 Spiele für die Blau-Weißen. Auch am Samstag lief er über 90 Minuten die rechte Seite hoch und runter. Es war bereits sein 25. Einsatz in dieser Saison.

In der Rückrunde hatte er nur am 19. Spieltag gegen den VfL Wolfsburg auf Grund einer Corona-Infektion gefehlt. Seitdem Felix Magath an der Seitenlinie das sagen hat, spielte der Rechtsverteidiger alle Spiele durch. Erstaunlich für einen 35 jährigen. Es ist natürlich auch ein riesen Großer Mangel im Kader der Hertha, dass man uneingeschränkt auf die Leistungen Pekariks angewiesen ist, doch der zeigt eben jene auch mit seiner üblichen Verlässlichkeit.

(Photo by Christof Koepsel/Getty Images)

Zwar hat er mit dem Alter deutlich an Schnelligkeit eingebüßt, ist weniger wendig, tut sich oftmals im direkten Duell schwer, doch auch auf der Alm lief er stolze 11,5 km. Er gewann vier seiner neun Zweikämpfe, brachte 67 Prozent, also 22 von 33 Pässen an den Mann und behielt nach 24 Minuten die Übersicht, als er Davie Selke in Szene setzte, dessen Flachschuss auf das rechte Toreck aber von Ortega gehalten wurde.

Das Gegentor in der ersten Minute der Nachspielzeit muss aber auch er sich ankreiden lassen. Seine Zweikampfhaltung war in dieser Situation viel zu passiv. Die Folge war, dass ihm Joakim Nilsson entlief, der die Flanke von Robin Hack sehenswert einköpfte. Generell stand dieses Duell unter keinem guten Stern für Pekarik. Nach 58 Minuten hatte er Glück, dass Schiedsrichter Deniz Aytekin den Kontakt Pekariks an Nilssons Ferse nach VAR-Eingriff nicht als Foul wertete. Es wäre allerdings auch eine sehr harte, aber eben nicht falsche Entscheidung gewesen.

Fredrik André Bjørkan und Maximilian Mittelstädt: Zu kompliziert

Fredrik André Bjørkan und Maximilian Mittelstädt haben gegen Arminia Bielefeld praktisch mit ihren eigenen Aktionen gezeigt, weshalb es aktuell richtig ist, dass Felix Magath auf Marvin Plattenhardt setzt.

Bjørkan kam nach 71 Minuten für eben jenen Plattenhardt. Sein Auftritt war solide, mehr aber auch nicht. Die Bielefelder machten es ihm eigentlich nicht schwer, doch einfaches zustellen, ließ den Norweger schnell ins Schwitzen kommen. Immerhin gewann er zwei seiner vier Zweikämpfe und konnte elf von dreizehn Pässen an den Mann bringen. Doch der Großteil der Pässe waren eher sichere Bälle über wenige Meter.

(Photo by Stuart Franklin/Getty Images)

In der Defensive fing er immerhin noch drei Bälle ab. Gerade in der Offensive gelang ihm allerdings einfach zu wenig. Er brachte zu wenig Tempo ins Spiel, agierte zu kompliziert, traute sich im eins gegen eins zu wenig und schien zu viel nachzudenken. Immer wieder konnte er sich auf der linken Seite durchsetzen, brach dann allerdings seine Aktion ab oder brauchte zu lange den Anspielpartner zu finden. Sein Auftritt verpuffte letztendlich wirkungslos.

Maximilian Mittelstädt kam erst nach 85 Minuten für Suat Serdar ins Spiel. Felix Magath sieht Mittelstädt weniger auf der linken Seite in der Verteidigung, sondern mehr eine Position weiter vorne. Doch leider zeigte Mittelstädt in den wenigen Einsatzminuten, warum er die meiste Zeit seiner Karriere eher hinten eingesetzt wird.

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(Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images)

Die offensive Routine fehlte ihm bei der riesigen Möglichkeit in der 88. Minute zusammen mit Luca Wollschläger. Auch sein Eckball kurz vor Schluss war ein schwacher Versuch nochmal in der Offensive etwas auszurichten. Mittelstädt ist in dieser Saison klar zum Führungsspieler herangewachsen und hat persönlich und spielerisch einen großen Schub gemacht, doch im Abstiegskampf geht es letztendlich um andere spielerische Aspekte, die ihm aktuell einen Stammplatz und Einsatzminuten kosten.  

Luca Wollschläger vs. Ishak Belfodil: Magaths gefährlicher Tanz auf der Rasierklinge

Felix Magath ist dafür bekannt bei seinen Stationen immer wieder jungen Spielern Chancen zu geben. Gegen Leverkusen durfte Marten Winkler Einsatzminuten sammeln, im Derby gegen Union Berlin feierte Julian Eitschberger sein Profidebüt in der Verteidigung, Anton Kade kam unter dem neuen Trainergespann auch schon dreimal zum Einsatz. Gegen Bielefeld kam ein weiterer Jungspund zu seinem Profidebüt. Der 19-jährige Stürmer Luca Wollschläger, der gegen den VfB Stuttgart in der letzten Woche bereits auf der Bank saß, bekam auf der Alm seine ersten zwölf Bundesligaminuten

Und er zeigte sich engagiert, lief viel, machte Bälle fest und ließ ohne Zweifel sein enormes Potential aufhorchen. Als Wollschläger in der 78. Minute für Davie Selke eingewechselt wurde und zuvor mit Niklas Stark, Fredrik André Bjørkan und Linus Gechter drei defensive Spieler bereits aufs Feld kamen, war die Devise relativ klar. Die knappe 1:0-Führung sollte über die Zeit gebracht werden. Um auf die letzten Minuten noch ein wenig Schwung in den Sturm zu bringen, setzte Magath auf das Talent Wollschlägers.

In der 88. Minute hätte Wollschläger dieses Vertrauen direkt mit einem Tor zurückzahlen und seinem Trainer mit dieser risikoreichen Entscheidung Recht geben können. Die riesige Möglichkeit zum 2:0 vergaben er und Maximilian Mittelstädt relativ kläglich. Vermutlich wäre ein Schuss aufs Tor direkt durch Wollschläger die richtige Entscheidung gewesen. So kam es wie es kommen musste. Wenige Minuten später erkämpfte sich Bielefeld den späten Ausgleich.

Die Kritik soll dabei keinesfalls an Luca Wollschläger und Maximilian Mittelstädt gehen. Eher an Felix Magath. Warum wird in einem solchen Spiel auf einen 19-jährigen Debütanten gesetzt und nicht auf einen erfahrenen Stürmer wie Ishak Belfodil, der über das gesamte Spiel nur auf der Bank saß? Wenn Belfodil nicht in Magaths System passt oder er ihm möglicherweise charakterliche Defizite unterstellt, warum ist er dann im Kader? Wie gesagt, wenn Wollschläger trifft, ist Magath der gefeierte Jugendförderer, so hat er sich leider verzockt. Der Treffer wäre wahrscheinlich der wichtigste der Saison gewesen.

Konzentration und Party gegen Mainz

Die Hertha hat den Matchball vergeben, allerdings wäre man auch bei einem Sieg auf Grund des Remis des VfB Stuttgarts gegen den VfL Wolfsburg nicht gänzlich gerettet gewesen. Die Situation im Abstiegskampf hat sich für die Berliner keinesfalls verschlechtert, sie ist genau gleich geblieben. Gegen den FSV Mainz 05 kann die Mannschaft aus eigener Kraft den Klassenerhalt feiern. Der VfB Stuttgart muss am folgenden Tag beim FC Bayern München antreten. Sollten die Bayern nach ihrem Meistertitel und der Niederlage in Mainz das Spiel ernst nehmen, dürfte dem Klassenerhalt am nächsten Wochenende nichts mehr im Wege stehen.

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(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Doch schöner, als auf der Couch in der Liga zu bleiben, wäre eine bundesligataugliche Leistung im 18:30-Uhr-Spiel am Samstag. Das Spiel gegen die Mainzer wird enorme Konzentration und höchste Disziplin erfordern. Im entscheidenden Spiel der Saison brauch es keine personellen oder taktischen Experimente, die Leitlinie der letzten Wochen sollte nicht verlassen werden. Ein gut gefülltes und lautes Olympiastadion wird wie gegen den VfB Stuttgart entscheidend beim Klassenerhalt mithelfen. Es ist alles angerichtet. Ein Sieg gegen Mainz und einer großen Party und der endgültigen Versöhnung mit den Fans steht nichts mehr im Wege.

[Titelbild: Christof Koepsel/Getty Images]

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ÜBER DEN AUTOR

Johannes Boldt

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