Hertha BSC – VfL Wolfsburg: Van Bommel vs. Dardai

von Aug 20, 2021

Auch wenn man als Hertha-Fan dicke Haut hat, nicht zuletzt aufgrund der zwei letzten Spielzeiten, war die Enttäuschung nach der Niederlage am ersten Spieltag in Köln groß. Jetzt ist im ersten Heimspiel der „alten Dame“ am Samstag ausgerechnet eine starke Mannschaft zu Gast, die aus einer großartigen Saison kommt. Doch wie gut ist denn der VfL Wolfsburg wirklich?

Ein Trainerwechsel, einige Neuzugänge, eine verrückte Episode im Pokal und ein erster Bundesligasieg gegen den Aufsteiger Bochum: Gesprächsstoff gab es rund um die Wolfsburger Mannschaft genug! Gerade deshalb haben wir uns mit Dennis (@WobTikal auf Twitter ) unterhalten. Er konnte unsere Fragen ausführlich und detailreich beantworten und mit ihm blicken wir auf die kommende Partie im Olympiastadion.

Ein Wechsel zu viel – Wolfsburg fliegt trotz Sieg aus dem Pokal

Hertha Base: Wir stellen direkt die unangenehme Frage, aber was ist deine Meinung zum kuriosen Pokalaus der Wolfsburger?

Dennis: „Kurios ist charmant formuliert – es ist halt vor allem sackdumm. Da muss man nicht groß drum herumreden, das muss in einem Verein funktionieren. Ein Ausscheiden wäre verdient.“

„Dass der VfL trotzdem Einspruch gegen das Urteil einlegt, kann ich trotzdem gut verstehen. Der 4. Offizielle wurde diverse Male gefragt, hat jedes Mal bestätigt, dass man noch mal wechseln dürfe, nur um direkt nach dem Wechsel (während des Wechsels war er zu sehr auf die Ecke konzentriert) darauf zu kommen, dass es doch anders ist. Also schreibt er es auf einen Zettel – den er dann verliert.“

„Das alles klingt sehr holperig und gerade die Tatsache, dass man im Urteil die Offiziellen komplett aus der Verantwortung genommen hat, was dem Regelwerk einfach widerspricht, sollte man noch mal besprechen. Weiterkommen sehe ich kritisch, aber ich fände es gut, wenigstens eine gute Begründung zu bekommen … Und wenn man mal ehrlich ist: Ich glaube nicht, dass man so ein Urteil bekommen hätte, wenn der betroffene Bundesligist Bayern München heißen würde.“

Van Bommel – warum der neue Coach eine faire Chance verdient

Foto: IMAGO

HB: Der Wechsel auf die Trainerposition hat ja für sehr viel Gesprächsstoff gesorgt. Jetzt ist Mark van Bommel als Coach bei euch, und einige Fans in Deutschland sehen ihn schon diese Saison wieder fliegen. Was stimmt dich optimistisch, dass es unter van Bommel eine erfolgreiche Zeit wird?

Dennis: „Ich gehe eigentlich immer optimistisch in eine Saison, auch was die Trainer angeht. Wenn man mal guckt – Labbadia, Glasner, die wurden auch zu Beginn nicht geliebt. Einer war sowieso falsch, der andere nur die B- oder C-Lösung. Am Ende war es dann wieder falsch, sich zu trennen. Jetzt dann also van Bommel. Ich kann mich nicht erinnern, wann zuletzt ein Trainer mit so einem negativen Bild in der Bundesliga debütiert ist. Selbst bei Stefan Effenberg hieß es “wart’s mal ab, der fuchst sich da richtig rein”. Und bei van Bommel reden alle vom Untergang, dass Wolfsburg vielleicht sogar in Abstiegsgefahr geraten würde.“

„Ich verstehe das nicht. Ich bin echt gespannt, was er aus dem VfL macht, wie seine Ideen greifen und wie sich das Team verändert. Selbstverständlich kann das schief gehen, keine Frage. Wir haben mit der Champions League jetzt einen Riesen-Belastungsfaktor dazubekommen, das kann sich in der Liga schon mal negativ auswirken. Aber eine Chance sollte man ihm geben. Sein Auftreten bisher finde ich sehr angenehm, selbst diese Blödheit aus dem Pokal wurde gut kommuniziert.“

Nach der Hammer-Saison – Wie sieht es beim VfL in 2021/22 aus?

Foto: IMAGO

HB: Was hat sich unter van Bommel spielerisch verändert? Wie will Wolfsburg diese Saison das Spiel gestalten?

Dennis: „Wolfsburg will vor allem das Spiel gestalten. Die Idee ist es, die Stärken des Teams zu nehmen (hervorragende Abwehrarbeit, stark im Pressing und Umschalten) und dieses um ein durchdachteres, ballorientierteres Offensivspiel zu ergänzen. Es werden wesentlich mehr Pässe gespielt, um Chancen zu generieren, am offensiven Positionsspiel wird gearbeitet. Das ist noch lange nicht abgeschlossen, aber man merkt, dass die Mannschaft daran Spaß hat.“

HB: Ihr habt ja im Sommer ordentlich viel Geld ausgegeben, für Spieler wie Nmecha, Bornauw, Phlipp usw. Ist Wolfsburg bereit für die Doppelbelastung mit der CL?

Dennis: „Noch nicht. Die geholten Spieler sind bisher dafür geholt wurden, um die Spitze etwas breiter zu machen, etwas flexibler zu sein. Phillip war ja ohnehin schon da und hat am Ende der letzten Saison gezeigt, dass er angekommen ist, Bornauw, Nmecha und auch Vranx sind alternativen zu Spielern, die letzte Saison praktisch durchgespielt haben.“

„Trotzdem fehlt es vor allem auf den offensiven Flügelpositionen noch an Möglichkeiten und vor allem Geschwindigkeit, gerade wenn man neben Joao Victor jetzt auch noch Brekalo abgeben sollte, wonach es aktuell aussieht. Hier kann ich noch nicht einschätzen, inwiefern die beiden Nmechas oder auch Marmoush da helfen können, ich denke aber schon, dass da noch wer kommen sollte. Davon ab denke ich, dass der Kader gerüstet ist.“

Wolfsburgs stabile zentrale Achse und Torgarant Wout Weghorst

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HB: Casteels im Tor, Lacroix, Brooks und Bornauw in der IV und Gerhardt, Arnold, Schlager, Guilavogui im ZM: eure zentrale Achse kann sich echt sehen lassen! Wird der VfL dadurch wieder so stabil wie letzte Saison?

Dennis: „Schön wär’s, nix hätte ich lieber. Aber: Ganz so einfach wird es nicht. Letzte Saison hat die Mannschaft praktisch jedes Spiel komplett gleich gespielt. Spiel für Spiel. So sehr, dass es unter den Reservespielern für Unmut gesorgt hat, den die Mannschaft aber intern geklärt hat, was ich echt beeindruckend finde. Das wird dieses Jahr nicht funktionieren, allein die intensiven Champions League Spiele werden das verhindern.“

„Und so müssen auch mal andere Spieler spielen und selbstverständlich sorgt das für den Verlust an Stabilität und Souveränität. Damit muss man umgehen lernen, da werden sicher auch ein paar Punkte auf der Strecke bleiben, das ist aber für einen Club dieser Größe normal und kein Stück dramatisch. Das Gerüst steht und ist einfach sehr, sehr gut, kennt sich seit Jahren und wird immer weiter gut ergänzt.“

HB: Weghorst ist vorne natürlich eure beste Waffe. Traust du ihm diese Saison wieder 20 Tore zu?

Dennis: „Na sicher. Wout ist eine Waffe, nicht nur durch seine Tore sondern auch durch seine unglaubliche Nervigkeit. Dieses ständige Anlaufen und Pressen nimmt jedem Gegner den Spaß. Und wenn er seine Chancenverwertung aus dem ersten Spiel gegen Bochum ein bisschen optimiert, dann wird es wieder eine ganze Menge Tore geben (…).”

Welche Schwächen hat Wolfsburg? Kann Hertha punkten?

HB: Hat eure Mannschaft denn überhaupt Schwächen? Was könnte Hertha tun, um Wolfsburg doch noch vor Schwierigkeiten zu stellen?

Dennis: „Nein. Eine Mannschaft ohne Schwächen 😀 Na sicher hat sie das. Die erste Elf ist sehr, sehr homogen, zweikampfstark und körperlich kann sie voll dagegenhalten. Was ihr ein wenig abgeht, ist das Tempo, dazu sind unsere Außenverteidigerpositionen durch die Verletzungen von William und Paolo “die Schere” Ottavio dünn besetzt. Gerade hinten links ist der wieder aufblühende Roussillion konkurrenzlos.“

„Die Hertha kann und wird vor allem versuchen, über Ballgewinne schnell hinter die Abwehr zu kommen, die traditionell sehr hoch steht. Lacroix und Brooks sind sehr schnelle Innenverteidiger, trotzdem ist es natürlich möglich, sie zu überlaufen. Das ist ne gute Chance. Sonst sind Standards immer ne gute Sache, die man gut nutzen kann.“

HB: Zum Abschluss: was ist dein Tipp für Samstag?

Dennis: Ich glaube, dass es kein besonders hübsches Spiel wird, dass der VfL 1:0 gewinnen wird.

Vielen Dank an Dennis für das Interview!

Der Blick auf Hertha BSC

Foto: IMAGO

Eine schwierige Aufgabe also, die auf Pal Dardais Mannschaft im Olympiastadion wartet. Umso ärgerlicher, dass noch viel Ungewissheit im Kader herrscht. Ob Matheus Cunha noch im Hertha-Dress auflaufen wird, ist unklar. Zudem warten Hertha-Fans sehnsüchtig auf weitere Spielerzugänge für die Außenpositionen. Immerhin wird „Dachschaden“-Davie Selke wieder zur Verfügung stehen, sowie Kapitän Dedryck Boyata. Auch Neuzugang Marco Richter, der in Köln eingewechselt wurde, könnte eine größere Rolle spielen.

Trotzdem scheinen die Blau-Weißen aktuell noch weit entfernt von der Stabilität zu sein, die gerade die Wolfsburger ausstrahlen. Hertha muss gegen die Wolfsburger mit allen Mitteln versuchen, irgendwie zu punkten, um einen Fehlstart zu vermeiden. Null Punkte aus drei Spielen würden nämlich drohen: der nächste Gegner heißt … FC Bayern München.

Mit einer großartigen Kulisse im Olympiastadion wird wohl nach den letzten Schätzungen und mit dem Fehlen der Ultras nicht zu rechnen sein. Man kann jedoch hoffen, dass sich die Mannschaft von Pal Dardai anders präsentiert und sich insbesondere kämpferischer zeigt als noch vergangenes Wochenende in der Domstadt. Inspirieren lassen können sich die Spieler am Samstag sicherlich von ihren Trainern: sowohl Van Bommel als auch Dardai mussten sich diesbezüglich in ihrer Spielerkarriere nicht verstecken. Ob das Trainerduell zwischen den Beiden auf der Seitenlinie genauso kämpferisch ablaufen wird, wie damals auf dem Platz, werden wir beobachten können.

(Titelbild: IMAGO)

Hilfe für die Ukraine!

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ÜBER DEN AUTOR

Chris Robert

Chris Robert

Exilherthaner, Franzose, Student und Fußballromantiker. Egal wie wütend ihr nach Hertha-Spielen seid, ich bin wütender. Ich brauche keinen Videoschiedsrichter um zu wissen, dass der Schiri immer gegen Hertha pfeift.

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