Die zurückliegende Woche hat mal wieder eindrucksvoll bewiesen, wie sprunghaft die Einschätzungen von Fußballfans doch sind. Am anschaulichsten zeigte sich dies am Beispiel von Hertha-Leihgabe Nemanja Radonjic. Führten seine permanenten Ballverluste und Fehlpässe nach seiner Einwechslung in Mainz noch zur Gefährdung des Zustands so manchen Couchtisches, war er gegen Freiburg mit einem Tor und einer Vorlage plötzlich der Aktivposten in Herthas Offensivspiel. Um den Dreiklang perfekt zu machen, folgte dann gegen Bielefeld wieder eine Leistung, die bestenfalls als bemüht bezeichnet werden kann. Warum nun ausgerechnet Radonjic als Symbol für das Wechselbad der Gefühle herhält? Weil sich Herthas Leistung exakt analog zur Leistung des Serben verhielt. Wer glaubte, dass Hertha nach dem 3:0 gegen Freiburg erstmals in dieser Saison nach einem Sieg einen weiteren Dreier einfahren könnte, sah sich zum wiederholten Male eines Besseren belehrt.
Dardais Rückrotation
Herthas Aufstellung richtig zu tippen, ist dieser Tage in etwa so erfolgsversprechend wie die Suche nach dem Bernsteinzimmer. Nach der Totalrotation gegen Freiburg, tauschte Dardai am Sonntag erneut munter durch. Lediglich Schwolow, Ascacibar und Piatek blieben aus der Anfangself gegen die Breisgauer erhalten. In der Formation setzte Dardai wieder auf das seit seiner Rückkehr favorisierte
3-5-2. Im Gegensatz zur Mainz-Partie, als noch Cunha neben Cordoba auflief, versuchte Dardai es diesmal mit Piatek neben dem Kolumbianer. Ein Experiment, das bislang nicht allzu oft Früchte trug und auch am Sonntag nicht von Erfolg geprägt sein sollte. Die Arminen, die das 0:5 gegen Borussia Mönchengladbach offensichtlich abschütteln konnten, verstanden es sehr gut, das Zentrum, auf das es Hertha abgesehen hatte, dicht zu machen. Auch die inversen Außenverteidiger (Mittelstädt und Zeefuik tauschten in der Anfangsphase die ihnen normalerweise zugeteilten Seiten) schafften es nicht, für Durchdringen zu sorgen.
So war es eine Einzelleistung von Cordoba, der sich in der 34. Minute clever gegen Pieper durchsetzte und den Pfosten traf, die für die einzige gefährliche Torszene der Hausherren im ersten Durchgang sorgte.
Der Tribut der ungewohnten Belastung
Eine Verbesserung des zähen Spiels fand auch in der zweiten Halbzeit zunächst nur graduell statt. Hertha gelang es zwar besser, das Spiel in die Hälfte des Gegners zu verlagern, allein an der Anzahl der eigenen Tormöglichkeiten änderte dies herzlich wenig. Erst mit der Hereinnahme von Dilrosun, durch den es endlich gelang, auch das zuvor lahme Flügelspiel zu beleben, kam etwas Schwung in die Schlussphase. Immer wieder vermochte es der Niederländer, Spieler im Eins gegen Eins zu binden und mit zwei Schüssen aus der zweiten Reihe für Torgefahr zu sorgen. Wie wichtig es ist, dass der Niederländer endlich fit ist, wurde dann im Laufe der Woche deutlich. Denn Herthas Personaldecke wird gerade gefühlt von Tag zu Tag dünner.
Dass Maximilian Mittelstädt wegen seiner Gehirnerschütterung , ebenso wie Matheus Cunha, der sich eine Verletzung im Sprunggelenk zuzog, nicht zur Verfügung stehen wird, stand schon kurz nach Abpfiff fest. Am Dienstag kam dann auch noch die Hiobsbotschaft hinzu, dass Jhon Cordoba mit einer Verletzung am Bandapparat in den verbleibenden drei Spielen nicht mit von der Partie sein wird. Auch hinter Sami Khedira, den nach wie vor Wadenprobleme plagen, steht ein großes Fragezeichen. Pressesprecher Max Jung ging am Dienstag nicht davon aus, dass dieser mit nach Gelsenkrichen reist.
Erfreuliche Nachrichten gibt es indes in der Personalie Lukebakio. Der Belgier kann nach seiner Corona-Infektion wieder mitwirken.
Schalkes Abschiedstour mit Hindernissen
Fragt man Herthas kommenden Gegner, muten die Berliner Sorgen wie Luxusprobleme an. Seit drei Wochen ist das schon längst Unabwendbare offiziell: Der FC Schalke 04 steigt aus der Bundesliga ab. Wer nun aber die Hoffnung oder Befürchtung (je nach Standpunkt) hatte, dass die Gelsenkirchener nun, da es ohnehin um nichts mehr geht, etwas befreiter aufspielen könnten, sieht sich getäuscht. Selbst in dieser für Schalke-Anhänger völlig bedeutungslosen Endphase der Saison schafft der S04 es noch, seine Fans zu enttäuschen. Nach einer 2:0-Halbzeitführung in Sinsheim, ließ sich das Team von Dimitrios Grammozis noch mit 2:4 die Butter vom Brot nehmen. Als hätte es in dieser Katastrophen-Saison nicht schon genug Nackenschläge gegeben, hört das Elend selbst nach dem Abstieg nicht auf.
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, musste zudem das Teamtraining der Schalker am Montag ausgesetzt werden, nachdem ein Mitspieler positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Am Dienstag kam dann infolge der angeordneten PCR-Testung ein weiterer positiver Fall hinzu. In der Endabrechung macht das: Ein Gegner, der mit allen Fasern des Körpers am Boden liegt und zudem noch eine unterbrochene Vorbereitung auf das Spiel am Mittwoch hatte. Während man für das Unentschieden gegen Bielefeld noch Gründe finden kann, wieso es sich aus Hertha-Sicht damit leben lässt, gibt es an dieser Stelle kein Vertun: Ein Sieg ist Pflicht.
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