Ein bisschen Hoffnung hat man ja doch immer, wenn Hertha gegen die Bayern spielt. Obwohl wir gestern 0:1 verloren haben, hat sich diese Hoffnung erfüllt. Denn insbesondere in der zweiten Halbzeit zeigte Hertha ein tolles Umschaltspiel und hätte sich ein Unentschieden eigentlich verdient. Auch in den Leistungen mehrerer Einzelspieler sieht man schon nach zwei Spielen unter Pal Dardai einen deutlichen Fortschritt. Die Herthaner im Fokus.
Nemanja Radonjic – Herthas neuer Unterschiedsspieler
Einen Tag nachdem der Serbe Nemanja Radonjic zu Hertha wechselte, verkündete sein früherer Trainer André Villas-Boas seinen Rücktritt bei Olympique Marseille. Villas-Boas begründete seinen Rücktritt öffentlichkeitswirksam unter anderem damit, dass man ihn vor der Leihe Radonjics nicht konsultiert habe – er hätte dies wohl nicht befürwortet. Obwohl Radonjic gegen die Bayern nur etwa 20 Minuten mitspielen durfte, kann man Villas-Boas‘ Ärger verstehen.
Radonjic ist wieselflink, mutig in den Zweikämpfen, zieht von seiner linken Außenbahn in Robben-Manier gerne in die Mitte und sorgt somit für ein Element, das Hertha in den vergangenen Monaten so sehr fehlte: Druck auf der Außenbahn. Radonjic erinnert ein wenig an die ersten Spiele von Javairo Dilrosun bei Hertha – der junge Niederländer glänzte damals über die linke Außenbahn, legte mehrere Tore vor und erzielte auch einige Treffer.
Es bleibt nur zu hoffen, dass Radonjic – oder “Blitzkugel”, wie ihn Dardai nach dem Spiel nannte – im Gegensatz zu Dilrosun diesen ersten Eindruck verstetigen kann. Denn: Viel Zeit zur Akklimatisierung hat der junge Serbe nicht. Es bleiben 14 Spiele, in denen Hertha mit Radonjics Hilfe unbedingt punkten muss.
Maximilian Mittelstädt – Was für ein Fortschritt
Ich muss es zugeben – obwohl mir Maxi Mittelstädt sehr sympathisch ist, war ich über seine erneute Nominierung für die Startelf etwas verärgert. Denn in den vergangenen Monaten wirkte Herthas Nachwuchsspieler oft zu behäbig, kam in vielen Zweikämpfen zu spät und verschuldete so leider auch ein paar Gegentore. Er wirkte schlicht gehemmt.
Doch am gestrigen Freitagabend zeigte Maxi ein ganz anderes Gesicht. Er hatte Selbstvertrauen. Insbesondere in Herthas Drangphase in der zweiten Halbzeit gewann Maxi im Mittelfeld mehrere wichtige Zweikämpfe und leitete so direkte Gegenangriffe ein – die einzige Art und Weise, wie man gegen die Bayern punkten kann. Auch im eigenen 16er wirkte Mittelstädt – kurz nach Beginn der Partie klärte er eine extrem gefährliche Situation gegen Serge Gnabry. Vier Tacklings, zwei abgefangene Bälle und sechs Klärungen unterstreichen seinen hervorragenden Auftritt.
Mittelstädt hatte unter der Woche seinen Instagram-Account gelöscht. Dass ihm die in den sozialen Medien geäußerte Kritik zu nah ging, ist nicht auszuschließen. In einem Video-Interview hatte er dies auch kürzlich angedeutet: auch Fußballprofis seien Menschen, sagte Mittelstädt mit Blick auf die ihm entgegen gebrachte Kritik.
Klar ist: Im Zeitalter der „sozialen“ Medien sind die Profis (leider) ungefilterter, unfairer und oft auch unflätiger Kritik ausgesetzt. Man wünscht sich für Maxi, dass ihm sein neuer Trainer weiter dabei hilft, wieder mutiger zu werden, damit er auch in Herthas Offensive wieder selbstbewusst Nadelstiche setzen kann.
Dodi Lukébakio – Nur eine kleine Verbesserung
Klar – man kann Torchancen vergeben. Das Problem ist nur, dass man gegen die Bayern nicht allzu viele bekommt. Und insofern schmerzt es mit einer Nacht Abstand schon, dass Dodi und Cunha gestern zwei Chancen vergaben, die sie einfach machen müssen.
So wir alle anderen Herthaner hat sich auch Lukébakio gesteigert. Am deutlichsten zeigte sich dies etwa zehn Minuten nach Wiederanpfiff, als Lukébakio nach einem Sprint in die Defensive auf einmal am eigenen Strafraum eine gefährliche Situation gegen Gnabry entschärfte – noch vor zwei Wochen wäre dies wohl undenkbar gewesen.
Trotzdem bleibt leider ein negativer Gesamteindruck – Dodi taucht in vielen Spielphasen einfach komplett ab und trabt bestenfalls mit. Pal Dardai muss Lukébakios Waffen – sein Spielwitz und seine Schnelligkeit – schnellstmöglich reaktivieren.
Und dann waren da noch …
Jordan Torunarigha: Gute Besserung, hoffentlich ist es nichts Schlimmes. Du wirst gebraucht!
Rune Jarstein: Alexander Schwolow ist ein toller Torwart, keine Frage. In seinen Spielen für Hertha hat der Ex-Freiburger auch keine Patzer eingebracht und unnötige Tore verschuldet. Aber seien wir ehrlich: Er hatte auch wenige bis gar keine Glanzparaden. Herthas Goalie-Oldie Jarstein hatte diese in den vergangenen beiden Spielen. Trotz dreier Gegentore landete Jarstein wegen mehrerer Rettungsaktionen in der „kicker“ Elf des Tages und am gestrigen Abend parierte er einen Elfmeter gegen Robert Lewandowski – ein höchst seltenes Phänomen. Kurzum: Ein weiterer genialer Schachzug von Pal Dardai war es, Jarstein zu reaktivieren!
Sami Khedira: Es ist schon ein komisches Gefühl, Sami Khedira im Hertha-Trikot agieren zu können. Khedira gehört zu den bestdekorierten deutschen Fußballspielern. Er ist Weltmeister, Champions-League-Sieger und gewann die nationalen Meisterschaften in Deutschland, Spanien und Italien. Sein Einsatz am gestrigen Abend war zu kurz, um ihn fair bewerten zu können. Klar ist aber, dass Khedira in den Tagen vor dem Bayern-Spiel glaubhaft vermittelte, dass er Hertha helfen will. Eine Hilfe, die wir gerne annehmen – auf allen seinen Erfahrungsebenen.
Fazit – Die Mannschaft lebt
Der wahre Star am gestrigen Abend war die Mannschaft. Die Statistiken zeigen, dass Hertha das Spiel gegen die Bayern nicht nur annahm, sondern auch klug gestaltete. Die Blau-Weißen liefen insgesamt knapp vier Kilometer mehr als die Bayern, hatten mit rund 80 Prozent eine gute Passquote, schossen zehn Mal aufs Tor, spielten weniger Fehlpässe als die Bayern und hatten mit rund 50 Prozent fast dieselbe Zweikampfquote wie der Gegner.
Aber nicht nur quantitativ machte Hertha ein gutes Spiel. Auch die Qualität überzeugte. Nach dem Rückstand ließ sich das Team nicht fallen, sondern startete in der 2. Halbzeit eine tolle Angriffsserie. Leider können wir uns von dem Spiel wenig kaufen, Hertha braucht mit Blick auf die Tabellensituation Punkte. Insofern gibt es nur ein Manko, das nach dem gestrigen Freitagabend bleibt: die Chancenverwertung!
[Titelbild: JOHN MACDOUGALL/POOL/AFP via Getty Images]