Immer wieder hören wir von Fußballspielern, dass sie sich nicht haben durchsetzen können. Doch was bedeutet das und welche Tücken hat es, wenn man überhaupt nicht spielt?
Nicht nur der Fußball kennt Legenden, auch in der Wissenschaft gibt es Akteure, die das Feld nachhaltig beeinflusst haben. In der Psychologie ist einer dieser Koryphäen der Kanadier Albert Bandura (94). Auf ihn gehen einige der wichtigsten Theorien des letzten Jahrhunderts zurück. Eine davon ist die der Selbstwirksamkeitserwartung. Wir wagen deshalb mal einen Ausflug in die Untiefen des menschlichen Geistes um herauszufinden, was eventuell in den Köpfen der Fußballstars vorgeht.
Was bringt uns dazu, etwas zu tun?
Die Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) beschreibt die Überzeugung, dass man ein bestimmtes Verhalten erfolgreich ausführen kann. Ein konkretes Beispiel wäre hier zum Beispiel ein Dribbling. Stellt euch vor, ihr habt den Ball und seht einen Gegenspieler auf euch zulaufen. Geht ihr ins Eins-gegen-Eins? Spielt ihr den Ball schnell ab? Ein wichtiger Aspekt in euerer Entscheidung ist eure inhärente Überzeugung, ob ihr zu den jeweiligen Verhaltensalternativen überhaupt in der Lage seid. Die SWE hängt mit ganz vielen wichtigen Outcomes unseres Lebens zusammen. Sie beeinflusst zum Beispiel, wieviel Ausdauer und Anstrengung wir in eine bestimmte Tätigkeit investieren, aber auch unsere psychische Gesundheit. Wir bleiben trotzdem in der Welt des Sports.
Erinnert euch mal an die WM 2014 zurück. Achtelfinale gegen Algerien. Mitten zwischen den beinharten Gegnern und Per Mertesacker‘s Eistonne ein damals 28-Jähriger Manuel Neuer, der im Alleingang das Torwartspiel revolutionierte, indem er einfach mal auch den Libero mimte und zu waghalsigen Rettungsaktionen weit außerhalb des Strafraums ansetzte. Im Grunde genommen hat er dabei nichts bahnbrechend Neues gemacht. Ein Tackling ist erstmal ein Tackling, unabhängig davon, wer es ausführt. Allerdings lässt die Tatsache, dass er sich eine solche Aktion als Torwart und gleichzeitig letzter Mann zugetraut hat, auf eine enorme SWE schließen. Wenn er nicht zu fast 100 Prozent davon überzeugt wäre, dass er eine solche Aktion in puncto Geschwindigkeit und Timing hätte leisten können, er hätte es wohl gar nicht erst versucht.
Hierbei lässt sich ein weiterer wichtiger Punkt der Theorie Banduras erkennen, die sogenannte Ergebniserwartung. Das ist die Überzeugung, dass ein Verhalten zum gewünschten Ergebnis führen wird. Auch hier werden Alternativen gegeneinander abgewogen. Was bringt im obigen Beispiel mehr? Wenn ich am Gegner vorbeidribble oder wenn ich meine Mitspieler mit einem Pass in Szene setze? Bei Manuel Neuer bestanden die Alternativen zwischen mehreren Szenarien. Einmal außerhalb des Strafraums und ohne Zuhilfenahme der Hände und einmal im Strafraum, wo der Gegner allerdings teilweise in guter Schussposition gewesen wäre. Stellt man sich die Entscheidungsfindung als Flussdiagramm vor, stünde die SWE zwischen Person und Verhalten (Kann ich das überhaupt?) und die Ergebniserwartung zwischen Verhalten und Ergebnis (Bringt das was?). Die jeweilig getroffene Entscheidung kann man dann als Multiplikation beider Variablen verstehen. Wenn eine 0 ist, dann ist das Produkt auch 0 und die Alternative wird ausgeschlossen.
Erfahrung und Entscheidungsfindung
Erfahrung spielt jetzt eine wichtige Rolle. Wird die Erfolgschance eines bestimmten Verhaltens als zu hoch eingeschätzt, dann kann das Produkt mal schnell größer werden als die eigentlich sichere und objektiv bessere Variante. Es geht hierbei um die individuelle Überzeugung, die natürlich mit objektiver Wahrscheinlichkeit zusammenhängt (dazu gleich mehr), aber eben nicht damit identisch ist.
Ein Erfahrener Spieler kann seine Fähigkeiten und die Erfolgschancen seines Verhaltens viel besser einschätzen als ein „junger wilder“. Das kann man wunderbar an den Spielern sehen, die im Laufe ihrer Karriere ihren Spielstil komplett umgestellt haben (Ronaldo, Matthäus, Schweinsteiger). Das Wissen um altersbedingten physischen Abbau und die Anpassung daran kann aus einer Karriere noch einige gute Jahre herausholen.
Quellen der Selbstwirksamkeitserwartung
Wenn SWE jetzt so wichtig für spielerische Brillanz ist, warum trainiert man die dann nicht einfach jeden Tag und freut sich über den siebten CL-Titel in Folge? Es gibt hier leider keine Wunderpille. Aber dennoch hat SWE vier mögliche Quellen. Jede trägt – in aufsteigender Reihenfolge – mehr dazu bei, dass SWE aufgebaut wird:
- Subjektive physiologische Zustände. Freust du dich, wenn du an eine bestimmte Aufgabe denkst oder hast du die Hosen voll? Sollte ersteres der Fall sein, dann trägt das zu deiner SWE bei, bei letzterem wird sie vermutlich eher drunter leiden. Frei nach dem Motto: „Da kam das Elfmeterschießen. Wir hatten alle die Hosen voll, aber bei mir lief´s ganz flüssig.“- Paul Breitner
- Positiver Zuspruch. Lob und zu hören, dass man etwas schafft, erhöht tatsächlich die SWE. Deshalb sind geachtete Führungsspieler wichtig, denn von ihnen bedeutet das Lob viel mehr. Oder wollt ihr lieber vom dritten Torwart ermutigt werden, als von Zidane?
- Stellvertretende Erfolgserfahrungen. Sehen wir, dass es bei anderen klappt, können wir denken: „Hey, das schaff ich auch!“. Das gewinnt besonders unter dem Aspekt des Teamsports an Bedeutung. Läufts bei allen, dann vielleicht auch bei dem, der eigentlich nicht so gut ist.
- Eigene Erfolgserfahrungen. Die allerwichtigste Quelle von SWE. Wenn es einmal geklappt hat, dann klappt das auch ein zweites mal. Manuel Neuer hat es nicht bei einer waghalsigen Rettungsaktion belassen, sondern hat das ganze gleich mehrmals abgezogen. Hier spielt dann auch die objektive Wahrscheinlichkeit eine Rolle. Entsprechendes Verhalten gelingt statistisch gesehen öfter und beeinflusst dann die subjektive Überzeugung.
Alle diese Aspekte kann man sicherlich durch Training beeinflussen. Wenn es da gut läuft, dann wahrscheinlich auch im Spiel. Letzteres ist aber natürlich die ultimative Bewährungsprobe eines jeden Spielers. Der Druck ist enorm und ein Fehler kann den Sieg kosten. Das kann auch erklären, warum manche Mannschaften sich einfach nicht trauen riskant aufzuspielen. Die Entscheidung für ein bestimmtes Verhalten ist, wie schon erwähnt eine Multiplikation von SWE und Ergebniserwartung und auch wenn man prinzipiell zum schnellen Angriffsfußball in der Lage ist (SWE), gegen die Bayern klappt das vielleicht weniger als gegen den Tabellenletzten (Ergebniserwarung). Entscheidungsfindung ist also extrem dynamisch und hängt immer auch davon ab, was in der Vergangenheit schonmal zum Erfolg geführt hat. Daher ist es Aufgabe des Trainers seine Spieler zu bestärken (Quelle 2), wenn der eigentliche Matchplan mal nicht funktioniert hat und man nicht auf aktuelle Erfolgserfahrungen zurückgreifen kann.
Die situationale Komponente von SWE kann man wunderbar an Elfmetern sehen. Im „Finale Dahoam“ trauten es sich die etablierten Schützen, darunter Toni Kroos, teilweise nicht zu in dieser Situation das gewünschte Verhalten zeigen zu können. Manuel Neuer musste antreten. Im WM Finale 1990 verzichtete der Stammschütze Matthäus aufgrund unbequemer Schuhe und Uli Hoeneß trat 1976 zum Elfmeter an, obwohl er eigentlich nicht wollte und verschoß schließlich.
Erfolge hängen vom Spielen ab
Um Erfolge zu feiern, muss man die Gelegenheit haben, Erfolge zu erzielen. Was klingt wie ein Spielfeldinterview nach Verlängerung und Elfmeterschießen, offenbart die wichtigste Ressource, wenn es um die Entwicklung von Spielern geht: Einsatzzeit. Klar, um den Trainer für mich zu gewinnen, muss ich in Wettkampfsituationen zeigen, was ich drauf habe.
Darüber hinaus sind aber Erfolgserlebnisse wichtig, um meine Motivation aufrecht zu erhalten. Wenn ich eingewechselt werde, zwei Tore mache und das Spiel entscheide, dann werde ich eine Menge dafür tun, um wieder eingewechselt zu werden. Gleichzeitig führen Menschen mit hoher SWE Misserfolg eher auf ungenügende Anstrengung (leicht beeinflussbar), Menschen mit niedriger SWE auf mangelnde Fähigkeiten (schwer zu beeinflussen) zurück. Wenn ich also sieben Spiele hintereinander auf der Bank sitze, dann beginne ich mitunter, an mir selbst zu zweifeln, was sich negativ auf meine Motivation auswirkt, wodurch ich das Training schleifen lasse, was sich dann letztendlich negativ auf meine Einsatzchancen per se auswirkt.
Hier sind mentale Unterstützung und ein gesundes Selbstvertrauen notwendig, damit sich vor allem junge Spieler von einer entsprechenden Situation nicht unterkriegen lassen. Alle wollen spielen, und alle müssen spielen, damit sie weiter motiviert sind alles zu geben.
Das in guter Balance zu halten, ist Aufgabe des Trainers. Dieser ist aber natürlich auch ein Mensch, der Entscheidungen treffen muss und damit eine eigene SWE hat. Eine Mannschaftsaufstellung auszudrucken ist dabei vielleicht nicht so anspruchsvoll, wie ein 60-Meter-Pass, aber die Entscheidung sich zum Beispiel für ältere und konstantere Spieler zu entscheiden, weil die eher den Sieg einheimsen (Ergebniserwartung), hat klare Nachteile für junge Spieler, die sich in der Entwicklung befinden. Außerdem bleibt’s ja nicht beim Ausdrucken. Einen Matchplan aufzustellen und detailliert auszuarbeiten, ist keine universelle Fähigkeit, auch wenn das beim Public Viewing und in den sozialen Netzwerken schnell mal vergessen wird. Wenn man schlussendlich noch bedenkt, dass der Trainer auch Erwartungen darüber hat, ob Spieler das von ihnen erwartete Verhalten zeigen können und auch ihre SWE der Fremdbeurteilung unterliegt, ist das Chaos perfekt.
Viel zu beachten
Es wird deutlich, dass es viele Faktoren gibt, die uns, unser Verhalten und unsere Umwelt beeinflussen können. Bandura sprach deshalb vom reziproken Determinismus, einem Modell, indem Umwelt, Person und Verhalten in ständiger Interaktion zueinander stehen. Wer den Grund für die schlechte Performanz von Spielern einzig und allein in deren Person sucht, tut einer komplexen Dynamik damit unrecht.
Ob ein Spieler sich durchsetzt, hängt deshalb nicht nur von seiner eigenen Anstrengung, sondern auch von den äußeren Umständen ab. Ist ein Leistungsträger verletzt, mag mich der Trainer, kann ich meine SWE gut managen – das spielt alles eine Rolle.
Die Theorie der Selbstwirksamkeitserwartung ist dabei kein Allheilmitte. Ich werde nicht plötzlich zum nächsten Messi, nur weil man mich jeden Tag pusht. Sollte ich allerdings gar nicht davon überzeugt sein, dass ich es überhaupt schaffen kann, wird das wohl auch nichts.
Für eine oberflächliche und grobe Analyse der Spielerentwicklung oder -entscheidungsfindung eignet sich die Theorie jedoch allemal. Ein Spieler, der vielleicht die Erfahrung gemacht hat, dass Tricks ihn weiterbringen, wendet mehr Zeit darauf auf, diese Strategie zu perfektionieren. Jemand, der eher über seine Physis kommt geht, hingegen mehr Gewichte stemmen. Die grundlegende Gefahr besteht jedoch darin, zu falschen Überzeugungen bezüglich Selbstwirksamkeits- und Ergebniserwartung zu kommen. Junge Talente, die davon überzeugt sind, eh nicht trainieren zu müssen, weil sie schon alles können, werden ebenso scheitern, wie die Spieler, die glauben, dass der Schuss aufs Tor immer die beste Alternative ist.
Spieler als Menschen sehen
Man kann es eigentlich nicht oft genug betonen: Spieler sind auch nur Menschen. Sie treffen fehlerhafte Entscheidungen, leiden unter Selbstzweifeln oder sind enttäuscht. Gerade deshalb ist es wichtig zu verstehen, dass Taktik und Aufstellung das Eine sind, die Maschinerie Profimannschaft jedoch aus sensiblen Teilen besteht, die alle sorgsam gepflegt werden wollen. Ob sich ein Spieler letztendlich reinkniet und sich durchsetzt, hängt eben auch davon ab, ob man an ihn glaubt und ihm die Gelegenheit dazu gibt zu zeigen, dass er es kann.
[Titelbild: IMAGO]