Reich und Sexy – Von der Big City zum Big-City-Club

von Sep 8, 2020

Von der grauen Maus zum Big-City-Club. Mit diesem vollmundigen Versprechen wurde den Hertha-Fans ein Platz an der europäischen Sonne versprochen. Doch hat die alte Dame überhaupt das Potential dazu? Das und die Frage wo man als junger Millionär am besten lebt, klären wir in diesem Artikel.

Schaut man sich den europäischen Spitzenfußball an, fällt auf, dass die Hauptstädte der jeweiligen Länder fast ausnahmslos Spitzenclubs beherbergen. Frankreich hat PSG, Italien die Roma wie zuletzt auch Lazio und Spanien mit Atlético und Real sogar zwei äußerst hochklassige Teams. Der Spitzenreiter ist allerdings London. Von den 20 Mannschaften der Premier League sind sieben in der englischen Hauptstadt oder dem direkten Umland beheimatet. Davon sind drei – Chelsea, Arsenal und Tottenham – regelmäßig in Europa und Champions League zu finden. Einzig und allein Deutschland scheint die Ausnahme dieser Regel zu sein. Während Berliner Basketball, Volleyball, Eishockey und Handball durchaus erfolgreich ist, scheint der Fußball eher mittelmäßig zu sein.

Vorteile einer Hauptstadt

Zwar sind mit Union nun zwei Berliner Teams in der höchsten deutschen Spielklasse vertreten, doch ob die Köpenicker in den nächsten Jahren Champions League spielen werden, ist erstmal zu bezweifeln. Man könnte nun darüber spekulieren, warum es Hertha bisher nicht geschafft hat den vermeintlichen Hauptstadtbonus für sich zu nutzen. Wiederholte Ab- und Aufstiege, Fankonkurrenz durch starke andere Sportarten, allgemeine Klubvielfalt in Berlin und die grundlegende finanzielle Struktur der Bundesliga könnten Gründe sein. Die viel interessantere Frage ist jedoch nicht, woran es bisher gelegen hat, sondern ob es sich ändern kann.

(Photo by Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)

Hauptstädte besitzen kein mystisches Energiefeld, welches jeden Fußball schneller, stärker und abschlusssicherer macht. Was sie meist ausmacht, ist erstens eine lange Geschichte und zweitens eine große Anzahl an Einwohnern. Beides nutzt dem Fußball. Gibt es einen Verein sehr lange, ist die Chance höher, dass er eine gute Infrastruktur aufbauen kann und viele Fans hat. Viele Einwohner bedeuten, dass auch allgemein mehr Menschen Fußball spielen, was einerseits mehr Fans und damit Geld bringt, aber andererseits auch mehr Talente hervorbringt, die dann ausgebildet werden können. Hertha zum Beispiel profitiert enorm von dem dichten Netz von fast 400 Vereinen in der Stadt, die viele Talente in Herthas Nachwuchsbereich spülen.

Fußball hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Milliardengeschäft entwickelt. Gehälter, Beratergebühren und Ablösesummen sind exponentiell gestiegen. Gleichzeitig entdecken viele Spieler die Bedeutung einer guten Selbstvermarktung. Ob Rückennummer-Akronyme à la CR7 (oder alternativ AE9), Urlaub auf Mykonos, patentierte Jubel, Slogans wie „Unleash the wolf“ oder sympathische Tik-Tok Auftritte: Ein gutes Image bringt nicht nur Werbedeals, sondern erhöht auch das Interesse der Vereine. Diese definieren sich über ihre Spieler und wollen auch abseits des Platzes Geld mit ihnen, etwa durch Trikots, verdienen. 

Lieber Paris als Chemnitz

Nun tritt ein weniger offensichtlicher Punkt der Vereinswahl in den Vordergrund: der Flair und die Lebensqualität der Stadt. Sind die Spieler nicht gerade mit Training, Instagram oder Spielen beschäftigt, sind sie erst einmal oftmals Millionäre in ihren 20ern. Natürlich wollen die meisten von ihnen ihre Tage nicht in der Gartenlaube bei Bitburger 0,0% und 1,99€ Nackensteaks verbringen. Sie wollen ihr Geld ausgeben und, im Falle einer dahingehenden Selbstvermarktung, müssen sie das sogar tun. Nun kann man einen Porsche in jeder Stadt der Welt fahren. Doch ist ein Loft in Madrid, Paris oder Rom sicherlich schöner als eines in Rostock oder Hull. Es sollte einen also nicht wundern, wenn neben der Aussicht auf sportlichen Erfolg und finanziellen Anreizen auch die Lebensqualität einer Stadt eine Rolle bei Transfers spielt.

In einer 2019 veröffentlichten Studie kürte die Unternehmensberatung Mercer zum wiederholten Mal die Städte mit der höchsten Lebensqualität. Wien lag auf dem ersten Platz, gefolgt von Zürich. Die erste deutsche Stadt des Rankings war München: Platz 3. Die erste französische Stadt? Paris (Platz 39 – dahinter Lyon). Spanien: Barcelona (43) und Madrid (46). Rom liegt auf Platz 56, ist aber nur die zweite italienische Stadt. Mailand ist lebenswerter und liegt hinter Lyon auf Platz 41. Was auffällt ist, dass all diese Orte topklassige Fußballvereine aufweisen: PSG, Olympique, Barca, die schon erwähnten Atlético und Real, sowie den AS Rom und Inter und AC Mailand.

(Photo credit should read OLIVIER MORIN/AFP via Getty Images)

Das ist erstmal nur eine Korrelation und keine Kausalität. Zudem ist die jüngste Erfolgsgeschichte von PSG eher den Petrodollar aus Quatar zu verdanken, als dem Café au Lait am Champs-Élysées. Aber auch hier gilt: Es ist besser ein auf Lifestyle bedachter Millionär in Paris zu sein, als einer in Chemnitz. Wichtig ist hierbei festzuhalten, dass dieser Faktor, wenn überhaupt vor allem in den letzten Jahren bedeutsam wurde. Um die Vorzüge des Millonärdaseins genießen zu können, muss man erstmal Millionen verdienen.

An dieser Stelle kommt das Potential Berlins ins Spiel. In den letzten 30 Jahren nach dem Mauerfall, hat diese Stadt sich zu einem multikulturellen Sehnsuchtsort entwickelt. Im Ranking von Mercer liegt die deutsche Hauptstadt deshalb auf Platz 13 und damit vor Paris, Madrid, Rom oder Hamburg. Berlin ist also sexy, aber die Hertha war arm. Somit konnte der Hauptstadt-Flair-Bonus nur bedingt ausgespielt werden. Er reichte jedoch um Stars wie Marcelinho und Salomon Kalou an die Spree zu locken. Legendär sind die Partynächte des ersten und wenn man in der Vergangenheit Kalous Instagram-Stories verfolgte und er nicht gerade die DFL blamierte, dann sah man ihn hier oft im Kreis seiner Freunde und Familie, die sich allesamt sehr wohl zu fühlen schienen.  

Durch Tennor nicht mehr nur sexy

Schaut man sich andere Vereine in Deutschland an, dann ist Bayern München der erfolgreichste Klub. Dank guten Marketings, besondere Fürsorge durch die CSU, dem hervorragenden Verhandlungsgeschick bei Sponsoren-Deals mit Quatar Airways und natürlich auch dem durch die vorherigen Punkte begünstigten sportlichen Erfolg ist dieser Klub nicht nur reich, sondern auch in einer sexy Stadt (Platz 3) dahoam. Borussia Dortmund ist auch erfolgreich und finanziell stark aufgestellt. Das Problem liegt allerdings in Dortmund. Auch wenn das Ruhrgebiet mal Kulturhauptstadt war und Essen das ein oder andere Weltkulturerbe aufzuweisen hat, besticht dieser Teil Deutschlands nicht unbedingt durch seine Schönheit. Im Ranking von Mercer taucht keine Stadt des Ruhrgebiets auf, was ziemlich bemerkenswert ist, liegt Bagdad hier doch auf dem letzten (231.) Platz. Vielleicht wurden diese Städte aber auch gar nicht erst untersucht.

Foto: IMAGO

Durch den Einstieg von Tennor wurde aus Hertha nun aber plötzlich ein reicher Klub in einer sexy Stadt. Das ist eine vielversprechende Mischung. Unterm Strich bedeutet das jetzt nämlich, dass Hertha nicht nur mit einem attraktiven Lebensort um Spieler werben kann, sondern auch mit einem spannenden, finanzstarken Fußballprojekt. Somit ist das unsägliche Meme des „Big-City-Clubs“ vielleicht doch nicht ganz so weit hergeholt. Windhorst ist ein Geschäftsmann, der vom Sport nach eigenen Aussagen wenig Ahnung hat. Auch wenn sich jetzt viele Vereine beschweren, an bereitwilligen Abnehmern für sein Geld hätte es ihm wohl nicht gemangelt. Er wird sich daher ganz genau überlegt haben, welcher Standort in Kombination mit welchem Verein das größte Renditepotential bietet.

Man sollte den Faktor der Lebensqualität jedoch nicht überbewerten. Die Attraktivität des Standortes kann auch in der Fußball- und Fankultur liegen. Anthony Modeste zog die Kölner-Fanliebe dem chinesischen Geld vor und die Faszination des FC Liverpool liegt bestimmt nicht in den blühenden Landschaften dieser Industriestadt.

Auf Hertha bezogen bleibt jedoch festzustellen, dass auch wenn das Flanieren auf dem Ku’Damm die Spieler nicht unbedingt schneller macht: ein Loft in Charlottenburg ist für viele junge Spieler doch schöner als ein Einfamilienhaus in Köpenick.

[Titelbild: IMAGO]

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Um den Menschen in der Ukraine zu helfen, hat sich die Gruppa Süd entschlossen, Geld zu sammeln und damit die Menschen in und um die Kriegsgebiete zu unterstützen. Davon werden speziell Hygieneartikel für Frauen und Babys sowie haltbare Lebensmittel gekauft. Die Spenden werden direkt an die polnisch-ukrainische Grenze geliefert, sodass den Menschen unmittelbar geholfen wird.

ÜBER DEN AUTOR

Niklas Döbler

Niklas Döbler

Hat Psychologie nur deshalb studiert um mit dem Frust des Hertha-Fan-Seins umgehen zu können. Schreibt viel zu komplizierte Texte über viel zu einfache Themen.

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