Hertha BSC empfängt am Samstag um 15.30 Uhr den SC Freiburg und muss endlich wieder drei Punkte holen. In der englischen Woche folgen dann ein Auswärtsspiel in Leverkusen und ein Heimspiel gegen den Tabellenführer Borussia Mönchengladbach. Umso wichtiger also, dass die „alte Dame“ mit dem ersten Sieg unter Jürgen Klinsmann loslegt.
Damit wir auch ordentlich Infos zu unserem Gegner bekommen, haben wir uns wieder einen Experten dazu geholt. Dieses Mal steht uns Mischa (@ZerstreuungFuss) zur Seite. Er betreibt den Blog Zerstreuung Fußball, wo er regelmäßig über den SC Freiburg schreibt und wo zuletzt unser Chefredakteur Marc zu Gast war.
Byebye Abstiegssorgen beim SC Freiburg
Der SC Freiburg steht aktuell in der Tabelle der Bundesliga über dem FC Bayern. Davon kann man sich zwar noch nichts kaufen, zeigt aber, dass diese Spielzeit bisher überragend für die Breisgauer läuft. Auch unser Experte Mischa hätte eine so gute Punkteausbeute nicht unbedingt erwartet: „Mit 25 Punkten nach 14 Spieltagen konnte man sicher nicht rechnen. In den letzten beiden Saisons konnte der SC Freiburg nur jeweils 36 Punkte an 34 Spieltagen sammeln.“
Unser Freiburg-Experte erkennt aber auch, dass man schon vor der Saison etwas weniger Abstiegssorgen hatte als sonst: „Waldschmidt, Haberer, Koch und Schwolow konnten alle gehalten werden, Sallai hatte sich von seiner Verletzung wieder erholt und der Kader wurde noch durch Itter, Kwon, Jeong, Schmid und insbesondere Grifo verstärkt. Hinzu kam ein längerfristiger Trend. Vor zwei Saison, nach den Abgängen von Grifo und Philipp, sah es beim Sportclub spielerisch teilweise sehr düster aus. Der Abstieg konnte nur knapp verhindert werden.“
Schon in der letzten Saison waren aber bereits Fortschritte zu erkennen, verrät uns Mischa: „Letzte Saison konnte man zwar nicht mehr Punkte sammeln, aber Saisonverlauf und spielerische Qualität sahen ganz anders aus. Nach dem 25. Spieltag hatte man ja bereits 30 Punkte und die Mannschaft entschloss sich wieder mehr auf das Flachpassspiel zu setzen. Das sah zeitweise gut aus, brachte aber keine Ergebnisse.”
Europa-League-Ambitionen oder gesichertes Mittelfeld?
Bereits jetzt scheint der Klassenerhalt in Reichweite zu sein. Wir haben also Mischa gefragt, ob der SC Freiburg neue Ziele für die Saison ausmachen würde. Zwar bleibe man in Freiburg vorsichtig: „(Man) kann ohne Frage die nächsten fünf Spiele verlieren und dann rutscht man in so eine negative Eigendynamik“. Trotzdem erkennt unser Experte: „Andererseits braucht man aus den nächsten 20 Spielen nur noch 10 -15 Punkte, um nicht abzusteigen und diese Mannschaft ist ziemlich stabil. Es wird also immer unwahrscheinlicher.“
Die Europa League sei aber auch in dieser Saison ein zu hohes Ziel: „Für die Europa League benötigt es aber meisten etwas mehr als 50 Punkte und dafür müsste der Sportclub die so erfolgreiche Hinrunde in der Rückrunde wiederholen. Davon ist nicht auszugehen, da so viele Spiele so knapp ausgingen und manchmal schon ein bisschen Glück dabei war.“
Vielleicht sei es auch einfach zu früh in dieser Saison, um eine Endplatzierung absehen zu können. Neue Ziele könnten aktuell laut Mischa nur noch situationsgebunden sein, wie zum Beispiel: „Besser abschließen als Frankfurt“ oder „mindestens zehn Punkte Abstand zu Hertha halten“. Beim letzten Punkt müssen wir an dieser Stelle natürlich schwer hoffen, dass der SC Freiburg dieses Ziel verfehlt. Fakt bleibt aber: in Berlin würden sich einige die Tabellensituation des SC Freiburg wünschen. Auch dass die Breisgauer ab der kommenden Saison in einer neuen Heimstätte spielen werden, ist etwas, worauf man als Herthaner nur neidisch blicken kann. Verkehrte Welt.
Niederlage in Gladbach, knapper Heimsieg gegen Wolfsburg
Uns haben insbesondere die letzten Partien der Breisgauer interessiert. Dazu sagte Mischa: “Gegen Leverkusen (1:1) und Gladbach (2:4) hat man sehr mutig gespielt, hoch gepresst und wurde sehr häufig ausgespielt. Mit den fünf Toren aus den zwei Spielen war man sehr gut bedient. Gegen Wolfsburg ging es wieder den Schritt zurück. Zuerst wird die Offensive des Gegners mit einem gut ausgearbeiteten Pressingplan neutralisiert und dann schaut man mal, was nach vorne geht.” Eine Sache ist klar festzuhalten: “Der Freiburger Höhenflug baut besonders auf den wenigen Gegentoren auf (17, nur Wolfsburg, Gladbach und Leipzig haben weniger). Das scheint nun wieder mehr in den Fokus zu rücken.“
Unser Experte erklärt außerdem: „In den letzten vier Partien erzielte man kein Tor aus dem laufenden Spiel heraus. Fußballerisch gibt es schon noch Luft nach oben (…). Freiburg kann schon ein bisschen spielen, aber die Stärken sind häufig doch die typischen Stärken eines Underdogs: Standards, disziplinierte Rückwärtsbewegung, gutes Pressing, Effizienz usw.“
Auch gegen Hertha wird die defensive Stabilität wohl das Hauptaugenmerk der Gäste sein. Mischa warnt aber: „Wenn Hertha Freiburg den Aufbau überlässt, dann nimmt der SC das meistens auch an. Tiefe Ballzirkulation und dann schnelle Angriffe über Außen, sind sehr beliebt, aber auch mal der lange Ball, gerade wenn Hertha höher pressen sollte” – klingt ganz nach der unter Pal Dardai etablierten “Hintenrumscheiße”. “In letzter Zeit ziehen Höler und Sallai gerne Fouls. Das wird euch wahrscheinlich aufregen.“ Eines ist wohl klar: „Es ist nicht leicht gegen den SC Tore zu erzielen“.
Grifo Rückkehr und Standardstärke
Doch was können denn die Hertha-Profis am Samstag von Freiburg erwarten? Was für eine Taktik und Aufstellung wird die Mannschaft von Christian Streich wählen?
Was das Spielsystem angeht erwartet Mischa keine Änderung. Der SC Freiburg wird wohl erneut im 3-4-3 auftreten. Dabei spielt auch die Rückkehr von Vincenzo Grifo eine Rolle. Sollte er von Anfang an spielen, würde Sallai für ihn aus der Startelf rotieren. „Da aber Koch IV und ZM spielen kann, Haberer ZM und RS/ RF, kann man sich nie sicher sein, wie das dann auf dem Platz aussieht.“
Was aber sicher auf Hertha wartet, ist die besondere Standardstärke der Breisgauer: „Günter, Grifo, Waldschmidt und Schmid. Standardschützen hat der Sportclub momentan genug. Schmid ist ein hervorragender Neuzugang. Gerade, weil er eine Rolle ausfüllt, die man lange vermisst hat. Im 3-4-3 fehlte zwei Saisons das Gegenüber von Günter als linkem Flügelläufer. Stenzel und auch Kübler waren eher klassische Rechtsverteidiger. Schmid als Allrounder füllt diese Rolle perfekt aus, hat schon vier Tore erzielt (zwei per direktem Freistoß) „
Dass Hertha BSC mit gegnerischen Standards große Schwierigkeiten und diese Saison diesbezüglich eine katastrophale Statistik hat, ist wohl jedem Hertha-Fan bekannt. Dass unser Gegner am Samstag gerade in dieser Disziplin Stärken hat, klingt zu nächst einmal beängstigend. Trotzdem haben die Berliner Qualitäten, die diese Schwäche auffangen könnte.
Hektik bei Hertha
Gerade diese Qualitäten sieht unser Experte auch aus der Ferne im Kader der Blau-Weißen: „Wir brauchen uns nicht darüber unterhalten, dass der Herthaner Kader deutlich besser besetzt ist als der von Freiburg. Was Dilrosun gegen die Paderborner Abwehr gemacht hat, habe ich beim Sportclub noch nie gesehen. Grujic und Maier haben riesiges Potenzial und Darida ist immer noch einer meiner Lieblingsspieler.“
Dabei wurde in Berlin in dieser Woche zwar viel geredet und gesprochen, allerdings nur wenig über Taktik und Fußball. Cheftrainer Jürgen Klinsmann äußerte sich zu vielen Themen, beantwortete Fan-Fragen live auf Facebook und war ohnehin im Mittelpunkt einiger Artikel in den Sportmedien. Ob die Transfergerüchte im Winter, die Frage des Torwarttrainers, die Aufregung rund um den Rassismus-Vorfall bei der U23 oder die Unzufriedenheit einiger Hertha-Profis: es gab zu viele Themen rund um Hertha, sodass nur selten Zeit gefunden wurde, um über das Sportliche zu reden.
Ob das gut oder schlecht für Hertha ist, sei dahingestellt. Es bleibt allerdings dabei: Hertha braucht unbedingt die drei Punkte am Samstag, um aus der „roten“ Zone zu kommen und für positive Schlagzeilen zu sorgen. Dafür müssen auf dem Platz Lösungen gefunden werden.
Jarstein zurück im Tor – Stürmer-Duo gesetzt
Wer diese Lösungen in der Berliner Startelf finden soll, ist auf einzelnen Positionen bereits klar. Rune Jarstein kehrt nach seiner Rotsperre ins Team zurück und wird wohl auch laut Jürgen Klinsmann anfangen. Herthas Cheftrainer hatte im Laufe der Woche auch angedeutet, dass er auch gegen Freiburg auf den Doppelsturm aus Davie Selke und Dodi Lukebakio setzen würde.
Ondrej Duda hingegen sollte nach seiner schwachen Leistung am vergangenen Freitag wohl erstmal wieder auf der Bank Platz finden. Wer ihn da ersetzt ist die nächste Frage. Sollte Klinsmann erneut auf einer Dreier- beziehungsweise Fünferkette setzen, könnte Vladimir Darida Dudas Position übernehmen und Eduard Löwen in die Startelf rotieren. Auch Per Skjelbred könnte eine Option sein, Arne Maier wohl noch nicht. Marvin Plattenhardt wird nach seiner ordentlichen Leistung gegen Eintracht Frankfurt wahrscheinlich erneut von Anfang an spielen können.
Torgefahr nur auf der Bank
Sollte es so kommen, ist davon auszugehen, dass Herthas Flügelflitzer Javairo Dilrosun zunächst wieder auf der Bank sitzt. Auch Salomon Kalou und Vedad Ibisevic würden die Berliner Bank wärmen. Prominente Namen also, die erstmal zuschauen müssen, wie sich die Kollegen schlagen. Insbesondere die zwei letztgenannten Spieler sind in den letzten Jahren Herthas Torgaranten gewesen. Umso erstaunlicher ist es also, wenn der Hauptstadtclub auf beide Stars verzichtet.
Eine kreative und interessante Lösung wäre ein Einsatz von Javairo Dilrosun auf der Zehnerposition. Ondrej Duda wird wie angesprochen wohl aus der Startelf rotieren und der junge Niederländer wäre mit seinen technischen Fähigkeiten und genialen Momente ein Kandidat für dessen Rolle. Es erscheint zwar unwahrscheinlich, dass Herthas Cheftrainer diese Variante wählt, doch gegen einen so defensiv starken Gegner wären gerade die Qualitäten des 21-Jährigen besonders wertvoll.
Womöglich ändert jedoch Klinsmann das Spielsystem komplett und spielt mit nur einer Spitze und zwei Flügelstürmern. Dann würde ein Innenverteidiger auf der Bank Platz nehmen und ein Flügelspieler hinzukommen. Klinsmann ließ sich auch in der Pressekonferenz nicht in die Karten schauen, sodass es spannend bleibt, wie die Mannschaft gegen den SC Freiburg aussehen wird.
Kick it like Julian Schieber
Hertha wird sich definitiv steigern müssen, um die drei Punkte in Berlin zu behalten. In Frankfurt zeigte man sich zwar bissig und zweikampfstark, war allerdings auch spielerisch phasenweise komplett unterlegen. In der Pressekonferenz am Freitag, wo zum ersten Mal nicht Michael Preetz sondern Kapitän Vedad Ibisevic den Cheftrainer begleitete, war klar von “Abstiegskampf” die Rede. Dementsprechend kann auch gegen Freiburg eine körperlich betonte Partie erwartet werden.
Wenn man bei der „alten Dame“ an ein Heimspiel gegen den SC Freiburg denkt, bleibt wohl für sehr lange Zeit noch das Spiel am 28. August 2016 in Erinnerung. Damals konnte sich der Haupstadtclub am ersten Spieltag durch einen „Last-Minute“ Treffer von Julian Schieber zum 2:1 noch durchsetzen und größten Jubel durch das Olympiastadion aufleben lassen.
Unser Freiburg-Experte tippt für die Partie am Samstag ein „2:1“. Diesen Spielstand würden wohl alle in Berlin sofort unterschreiben. Um die Stimmung in Berlin endgültig in die richtige Richtung zu lenken, fehlt noch ein echtes Erfolgserlebnis. Erneut ein Siegtreffer in der letzten Spielminute, wie von Julian Schieber 2016, könnte dabei genau das Richtige sein.