Die deutliche 1:4-Niederlage gegen Fortuna Düsseldorf erinnerte an die schwachen Zeiten der vergangenen Rückrunde und lässt die Mentalitätsfrage an die Mannschaft von Hertha BSC zu.
Normalerweise würde an dieser Stelle die allwöchentliche Einzelkritik stehen, doch nicht nach dem 12. Spieltag, nicht nach solch einem Offenbarungseid. Ja, das Wort “Offenbarungseid” ist ein großes, doch beschreibt es die letzten Wochen recht treffend, ohne eine massive Krise ausrufen zu wollen. Es wäre nicht zielführend und schon gar nicht unterhaltend, wenn nun die Einzelkritik zu einer erschreckenden Mannschaftsleistung in Düsseldorf folgen würde. Bei den Offensivspielern gäbe es nichts zu holen und bei den Abwehrleuten zu viel. Das Schöne an so einem Blog ist, dass man sich eben nicht an feste Formate zwingend halten muss und in besonderen Situationen einfach mal drauf los schreiben kann. Und ja, nach einem 1:4 gegen (das damalige) Tabellenschlusslicht Fortuna Düsseldorf ist einem danach.
45 ordentliche Minuten
(Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)
Im ersten Durchgang war die Partie gegen Fortuna Düsseldorf noch eine sehr offene. Es war durchaus zu erkennen, welchen Plan Trainer Pal Dardai und seine Mannschaft verfolgten. Hertha wollte den Ball lange im Zentrum halten, um dann die Außenbahnen mit jeweils zwei Spielern zu überladen. So entstand auch die größte Chance der ersten 45 Minuten – die Gelegenheit für Ondrej Duda, der den Ball aber nicht an Fortuna-Keeper Michael Rensing vorbeigeschoben bekam. Insgesamt fehlte es den Blau-Weißen jedoch an Genauigkeit in seinen Offensivaktionen, sodass zwar ein konstruktives Spiel zu erkennen war, aber der “vorletzte Pass”, wie Vladimir Darida nach der Begegnung analysierte, nicht sauber genug gespielt wurde. Defensiv ließ sich nichts beanstanden, die Berliner Abwehr stand gut. Ehrlicherweise muss aber auch gesagt werden, dass der Gastgeber bis dahin auch keine Herausforderung darstellte.
Dies sollte sich mit dem Platzverweis für Maxi Mittelstädt ändern. Die gelb-rote Karte nach 40 Minuten für Herthas Linksverteidiger war sicherlich eine harte, aber dennoch regelkonforme Entscheidung von Schiedsrichter Robert Hartmann. Sie sollte allerdings die gesamte Statik des Spiels maßgeblich verändern.
Die Sache mit dem Momentum
Für die zweite Halbzeit stellte Dardai seine Elf um, brachte Jordan Torunarigha für Vedad Ibisevic in die Partie, um Stabilität auf der linken Abwehrseite herzustellen. Dies scheiterte jedoch auf ganzer Linie, Hertha ging nach dem Pausentee vollständig unter. “Wir hatten in der ersten Halbzeit genug Möglichkeiten, in Führung zu gehen. Dann stellen wir uns naiv mit der Gelb-Roten Karte an. Nach den Umstellungen hat die linke Seite in der zweiten Halbzeit versagt. Das war aber auch insgesamt viel zu dünn. Wir haben immer die spielerische Lösung gesucht. Dabei sollten wir beißen, dem Gegner weh tun”, erklärte Pal Dardai nach dem Spiel.
(Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images)
Dem Ungar und wohl auch jedem Berliner Zuschauer fehlte die vollständige Aufopferung der Mannschaft. “Hertha hatte in Düsseldorf gestern also zwei Herausforderungen – 40 Minuten lang hatte sie Zeit, sich eines Spiels zu bemächtigen, das weiter offen nicht sein konnte. Danach musste sie 45 Minuten lang in Unterzahl versuchen, sich gegen Widrigkeiten zu behaupten und vielleicht Andeutungen des Charakters einer Spitzenmannschaft zu machen. Ich weiß nicht, welches der beiden Versäumnisse gravierender ist, vermutlich aber doch zuerst einmal das erste”, schrieb Hertha-Blogger Marxelinho sehr passend zu dem Verlauf der Partie. Und nein, Charakter bewies die Truppe am Samstagnachmittag nicht.
Das Spiel gegen die Fortuna erzählte viele Geschichten, die allesamt nicht die Berliner Mannschaft als Helden vorsahen. Bereits mit der erneuten Verletzung von Abwehrchef Niklas Stark schien die Begegnung nicht zu Gunsten der “alten Dame” zu verlaufen, der spätere Platzverweis Mittelstädts und damit zwei sehr frühe notwendige Wechsel von Dardai erzählten die tragische Komödie weiter. Auch Schiedsrichter Robert Hartmann war mit seiner äußert fragwürdigen Leitung des Spiels zweifellos ein Faktor. “Der Schiedsrichter kann das von mir aus als Foul werten, wenn er dafür aber Gelb gibt, muss er in dem Spiel 25 Gelbe Karten und fünf Rote Karten verteilen”, sagte Mittelstädt wohl gezielt übertreibend nach dem Spiel und tatsächlich war keine klare Linie des Spielleiters zu erkennen. Es hätte eigentlich zig gelbe Karten für die Düsseldorfer geben müssen und auch dadurch wird ein Spiel in andere Bahnen gelenkt.
Diese ganze Aufzählung von Dingen, die gegen Hertha liefen, wie auch der Sonntagsschuss von Takashi Usami zum zeitlich denkbar ungünstigen 0:1-Rückstand, sind in jedem Fall zu nennen und dennoch dürfen sie keine Generalerklärung für das Auseinanderfallen der Hauptstädter sein. All diese Widrigkeiten können nicht verargumentieren, warum die Spieler nicht alles aus sich herausholten und sich schlichtweg ergaben. Es ist vollkommen klar, dass das Momentum spätestens nach dem Führungstreffer Düsseldorfs auf Seiten des Aufsteigers lag. Es war förmlich zu spüren, wie das Eindringen des Balls in die Berliner Tormaschen ein Brustlöser für das gesamte Stadion war und den Aufsteiger aus einer tiefen Lethargie herauspulte. Auf einmal schien alles zu funktionieren – aber Hertha ließ es auch funktionieren.
Selke macht’s vor
Es war abenteuerlich, wie Herthas Innenverteidigung (insbesondere Luckassen und Torunarigha) Düsseldorf bei allen Toren einfach gewähren ließen. Das Berliner Mittelfeld war an diesem Tag durchlässiger als Herthas Einbindung von Eigengewächsen und so war es der besagte Offenbarungseid. Es ist nämlich ein immer wiederkehrendes Charakteristikum dieser Mannschaft, sich großen Widerständen gegenüber zu ergeben, anstatt gegen sie anzukämpfen. Das erlebte man vor allem in der leblosen Rückrunde der vergangenen Spielzeit und auch im letzten Heimspiel gegen RB Leipzig, das mit dem Treffer zum 0:2 beendet war. Kein Aufbäumen, keine “jetzt erst recht”-Attitüde lässt sich erkennen.
(Foto: Matthias Kern/Bongarts/Getty Images)
Einer der vormacht, wie es geht, ist Davie Selke. Zwar befindet sich der Mittelstürmer in keiner berauschenden Form, vieles will ihm nicht gelingen, doch eines kann man ihm nicht absprechen: er gibt sich nie zufrieden – mit keinem Zweikampf, keiner Torchance, keinem Ergebnis. Der 23-Jährige hat exakt die Einstellung, die vielen seiner Mannschaftkameraden abgeht, weil er Dinge auf dem Feld nicht einfach akzeptiert. Dadurch wirkt er oftmals unbeholfen und übermotiviert, aber eben auch gallig, erfolgsversessen und nimmersatt. Sein Treffer zum 1:3 in Düsseldorf steht beispielhaft für seinen unbedingten Willen. Er ließ sich in seinem langen Sprint zum Tor einfach nicht vom Ball trennen, biss sich leidenschaftlich in den Zweikampf und hatte den Ehrgeiz, seine Aktion mit einem Tor zu krönen. Genau diese Attitüde fehlte den meisten Herthanern an nicht nur diesem Tag. Auch in bei den beiden Unentschieden gegen Mainz 05 und den SC Freiburg war eine gewisse und grundlose Genügsamkeit zu spüren.
Auf den Hinweis von sky, dass Hertha gegen Düsseldorf sein erstes Jokertor in der laufenden Bundesliga-Saison erzielt hatte, erwiderte Selke nur: “Das ist uns heute so dermaßen egal” und genau dieser Satz porträtiert, wie die Einstellung der Mannschaft eigentlich aussehen sollte. So war es sicherlich nicht klug, als sich Valentino Lazaro in der 82. Minute beinahe zu einem Platzverweis aufregte, doch auch der Österreicher ließ erkennen, dass er brennt und sein Schicksal nicht einfach hinnimmt. Ein Zeichen, welches man sich auch von vielen anderen Spielern an diesem Tag gewünscht hätte. Stattdessen sah man zahlreiche hängende Köpfe, halbgare Zweikämpfe und viel Herumgetrabe. Es ist sehr kritisch, wenn sich seine Mannschaft, die zuvor Schalke, Mönchengladbach und Bayern München schlug, nach einem 0:1-Rückstand gegen den Tabellenletzten aufgibt.
Ist denn schon wieder Rückrunde?
Fünf Spiele ohne Sieg und zuletzt zwei Niederlagen mit einem Torverhältnis von insgesamt 1:7 zeichnen ein düsteres Bild von einer Mannschaft, die zuvor als einer großen Überraschungen der Saison galt und seine Fans mit attraktiven, wie erfolgreichen Fußball verwöhnte. “Fünf Spiele am Stück, und keines davon gewonnen – das ist nicht zu erklären”, ärgerte sich Karim Rekik nach der Niederlage am Niederrhein. Diese Serie lässt sich aber eben, wenn vielleicht auch nur teilweise, mit der gesamten Einstellung der Mannschaft erklären.
Seit dem ersten Spiel nach dem euphorisierenden 2:0 über den FC Bayern München fühlt sich die Saison bereits stark nach einer üblichen Rückrunde Herthas an, in der man sich alles einreißt, was man sich vorher aufgebaut hatte. Mit der Kaderqualität ist dieses Phänomen nicht zu erklären, denn bereits vergangene Saison hatte man genug davon im Kader und mittlerweile ist noch mehr hinzugekommen. Es kann auch nicht an dem Fehlen von einem einzigen Spieler, Marko Grujic, abhängig gemacht werden – diese Erklärung ist zu dünn, denn Hertha besitzt auch ohne ihn genug Akteure, die ein Spiel lenken und entscheiden können. Nein, in der Analyse bleibt man immer an dem Aspekt der Einstellung hängen. Damit soll nicht gesagt sein, Herthas Spieler hätten keinen Charakter, mitnichten. Es fehlt der Mannschaft aber schlichtweg das Gen, sich gegen Widrigkeiten zu stemmen und den Bock einfach mal umzustoßen. Zu selten nimmt man das Schicksal in die eigene Hand.
Schaffen Trainer und Mannschaft es nicht, endlich eine neue innere Kultur von stetigem Hunger auf mehr zu etablieren, wird es erneut eine trostlose Saison, die von ein paar Highlights gelebt haben wird, aber auch von sehr viel Ernüchterung und “Was wäre wenn”-Momenten. “Die Mannschaft aus diesem Loch, körperlich oder mental, herauszuführen, das ist das Wichtigste”, so Dardai. Das kommende Heimspiel gegen Hoffenheim und die darauffolgende Partie in Hannover werden zeigen, wie gut die Länderspielpause zur Aufarbeitung genutzt wurde und was für eine Saison Hertha BSC spielen will.