Er war eine der großen Hoffnungen im Deutschen Fußball, Gewinner der Fritz-Walter-Medaille und jüngster Bundesliga-Debütant der Geschichte Herthas. Lennart Hartmann, heute 24 Jahre alt, hatte eine große Zukunft im Fußball vor sich, jedoch kam alles anders. Verletzungen, Nichtberücksichtigungen und schlechtes Timing ließen ihn die „Schattenseiten“ des Sportlerlebens erleben. In unserem Interview erzählt er uns ausführlich von seiner höchst interessanten Karriere, wie er wieder auf die Beine kam und warum er noch heute von Hertha BSC enttäuscht ist.
Hertha BASE 1892: Hallo, Herr Hartmann! Zunächst einmal Glückwunsch zur Meisterschaft und dem damit verbundenen Aufstieg mit TeBe (Tennis Borussia Berlin)! Wie wir gerade gesehen haben, müssen Sie die Feierlichkeiten ja gut überstanden haben, haben Sie doch gerade erst Ihren Vertrag verlängert (News dazu kam am 24.6. um 11:20 Uhr, Interview fing um 12.30 Uhr an).
Bis wann geht denn der neue Kontrakt?
Lennart Hartmann: Genau! Der Vertrag läuft nun für ein weiteres Jahr.
HB1892: Welche Ziele verfolgen Sie denn nun mit dem Verein. Gibt es eine genaue sportliche Perspektive mit TeBe?
LH: Ich glaube, dass man zunächst einmal darauf achten muss, dass alles nicht zu schnell geht, um den Verein auch wirtschaftlich bzw. finanziell nicht zu sehr zu belasten. So schnell kann der Verein gar nicht wirtschaften, so schnell wie wir aufgestiegen sind und uns sportlich entwickeln. Wir „dürfen“ gar nicht innerhalb von zwei Jahren von der Berlin-Liga in die Regionalliga aufsteigen. Es geht erst einmal darum, die Klasse zu halten, um dann im darauffolgenden Jahr anzugreifen.
HB1892: Wir sind ja auch Studenten und uns würde interessieren, wie schaffen Sie es denn eigentlich, Ihre Tätigkeiten bei TeBe mit Ihrem Jura-Studium und ihrem Model-Dasein als Nebenberuf zeitlich zu vereinbaren?
LH: Das geht klar, deshalb habe ich ja den Schritt zurück gemacht, von Berliner AK zu TeBe, weil es zeitlich bei BAK durch das viele Training und die (Auswärts)Spiele nicht mehr gepasst hat. Bei TeBe war das zumindest in der Berlin-Liga sehr gut machbar: Dreimal Training die Woche, meist erst ab 18.30 Uhr, sodass ich es mit der Universität vereinbaren konnte und die weiteste Auswärtsfahrt war wahrscheinlich nach Hermsdorf. Das war also alles auf kleinem Raum und dadurch sehr passend für mich.
HB1892: Soll heißen, Sie denken jetzt erst einmal kurzfristig mit TeBe, je nachdem, wie es sich dort sportlich entwickelt und wie Sie es mit ihrem Privatleben vereinbaren können?
LH: Genau! Für mich wird das nächste Jahr natürlich spannend, weil ich gucken muss, wie die Balance zwischen der Oberliga und dem Jura-Studium ist. In der Oberliga trainiert man viermal die Woche, hat dann auch weitere Fahrten. Klar, dann muss ich mir die Auswärtsfahrten von drei, vier Stunden zu Nutze machen und auf diesen lernen. Wie gesagt, das Jahr wird sehr spannend für mich, um herauszufinden, ob die Oberliga machbar ist, das muss man dann sehen.
HB1892: Aber Ihre Priorität liegt dann schon ganz klar beim Jura-Studium, wenn wir das richtig verstanden haben, oder?
LH: Ja, es wäre ja alles andere als konsequent, wenn ich jetzt sagen würde, ich werde wieder alles auf die Fußball-Karte setzen. Ne, das wäre Quatsch, deswegen habe ich jetzt die ganzen Schritte zurück gemacht, um im Endeffekt die Uni im Fokus zu haben. Alles andere ist, ich will nicht sagen, zweitrangig, dafür haben wir bei TeBe zu gut gearbeitet, um den Verein wieder hochzubringen.
HB1892: Gemäß dem Fall, dies ließe sich aufgrund der sportlichen Entwicklung TeBes zeitlich nicht mehr vereinbaren, könnten Sie sich vorstellen, erst einmal komplett mit dem Fußball Spielen aufzuhören oder würden Sie sich dann wieder einen Verein in der Berlin-Liga suchen, wo der momentane Lebensrhythmus möglich wäre?
LH: Aufhören würde ich sicher nicht, dafür ist der Fußball eine zu große Leidenschaft. Ich spiele, seit ich vier Jahre alt bin Fußball und aufzuhören wäre zu einschneidend für mein Leben. Ich würde dann wahrscheinlich wieder probieren in die Berlin-Liga zu kommen, da hat es auf jeden Fall schon gute und interessante Gespräche gegeben, für den Fall der Fälle, aber momentan gibt es nur TeBe für mich.
HB1892: Ich kann Ihnen da meinen Stammverein, den Nordberliner SC empfehlen. Diese kicken ja in der Berlin-Liga und sind in dieser Saison Rückrundenmeister geworden, haben in der zweiten Saisonhälfte sogar mehr Punkte als TeBe geholt.
LH: *lacht*
HB1892: Nun gut, kommen wir zu Ihrer Karriere. Diese fing ja ganz oben an: Im August 2008 haben sie die Fritz-Walter-Medaille als zweitbester Jugendspieler Deutschlands ihres Jahrgangs (U17) bekommen. Im selben Jahr bekamen diese auch der spätere Nationalspieler Sebastian Rudy und Weltmeister Toni Kroos (beide U18). Am 17. August durften Sie dann auch in der Bundesliga debütieren. Im Alter von 17 Jahren, vier Monaten und 14 Tagen wechselte Sie Lucien Favre gegen Eintracht Frankfurt ein. Sie sind damit der jüngster Hertha-Debütant aller Zeiten und einer der jüngsten Bundesliga-Spieler der Geschichte. Bis dahin liest sich Ihre Karriere wie der Traum eines jeden deutschen Jungen. Wie verarbeitet man als so junger Spieler so einen steilen Aufstieg?
LH: Unglaublich schwer! Ich sage es mal so: Bis zu diesem Zeitpunkt, wo das alles stattgefunden hat, hatte ich nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet. Ich hatte mich damit beschäftigt Profi zu werden. Ich war mit meinem Leben glücklich so wie es war. Ich war immer in den höchsten Spielklassen meines Jahrganges, ich war mit Hertha immer in den besten Mannschaften Deutschlands und ich hatte einfach Spaß an der Sache. Dieses Ziel Profi zu werden hat man nicht wirklich. Klar hat man als kleines Kind immer davon geträumt, wenn man z.B. „die Kickers“ gesehen hat, mal bei Barcelona zu spielen. Aber ob man so darauf fokussiert war, Bundesligaprofi zu werden bei Hertha, wage ich doch zu bezweifeln. Das hat sich dann alles irgendwie schnell ergeben und gerade als 16-Jähriger rechnet man nicht damit, plötzlich von Lucien Favre angerufen zu werden um fürs Training der ersten Mannschaft gebeten zu werden. Das ging alles sehr sehr schnell. Der Verlauf, wie alles kam, war natürlich auch ein wenig glücklich und ist natürlich immens viel dem Trainer Lucien Favre zu verdanken, der Talente haben wollte und auch spielen lassen hat.
HB1892: Leider folgten ja dann Ihre schlimmen Verletzungen. Die Folge war, dass sie nicht mehr berücksichtigt wurden, zudem hatten Sie das Pech, dass mit Friedhelm Funkel ein Trainer kam, der bekanntermaßen nicht auf junge Spieler setzte. Sie wechselten nach Aachen und andere Stationen (Babelsberg, Berliner AK, TeBe). Sie sind ja das positive Gegenbeispiel für Spieler, die den Sprung ins Profigeschäft nicht schaffen und in ein tiefes Loch fallen, da sie vor dem Nichts stehen. Wie kriegt man diese Kurve?
LH: Das war für mich persönlich relativ leicht. Meine Karriere ist ja ein Paradebeispiel für die Schattenseiten des Fußballs. Du kommst also 16, 17-Jähriger in Profibereich, machst kurz darauf dein erstes, zweites, drittes Spiel, kriegst in diesem Jahr durch den damaligen Erfolg Herthas sogar Europacup-Einsätze, spielst im DFB-Pokal, machst alles mit, bist bei jedem Spiel dabei, doch plötzlich siehst du, wie dein Körper nicht mehr mitmacht, wie du jeden Tag beim Aufstehen erneut Schmerzen hast.
Die Hüftprobleme, die ich damals hatte, wurden immer drastischer, sodass der Körper morgens kaum noch Energie hatte aufzustehen. Das war für mich das erste Warnzeichen. Ich war jung und naiv und habe im Endeffekt mich von einem Physiotherapeuten der Hertha zutexten lassen, Sätze wie „sei keine Mimose! Das läuft sich raus“ und alles Mögliche erzählte er mir. Das war dann ein Riesenfehler, ich habe weitergespielt, solange bis es dann wirklich nicht mehr ging. Ich hatte dann eine Pause gemacht und war im Endeffekt die ersten fünf Monate meiner Verletzung in einer Berliner Reha und bei verschiedensten Ärzten, dir mir allesamt nicht helfen konnten.
Das ging so lange, bis ich letztendlich über meine damaligen Berater Jens Jeremies und Jürgen Milewski nach München zu Dr. Müller-Wohlfahrt geholt wurde. Dieser wiederum hatte mich zu einem sogenannten „Wunderheiler“ gebracht. Das war an der Schweizer Grenze, in irgendeinem bayerischen Dorf. Dieser Arzt war der Wahnsinn! Dort gingen Persönlichkeiten wie Boris Becker oder Franz Beckenbauer ein und aus, alle haben diesen Mann aufgesucht, der in der hintersten Ecke Deutschlands praktiziert hat. Dieser Mann hatte es dann auch geschafft, mich innerhalb von zwei Wochen wieder fit zu bekommen und zwar mit einfachsten, konservativen Methoden, die wirklich nichts mit neuem medizinischen Firlefanz zu tun hatten. Ich kann nur sagen, dass ich ihm bis heute sehr dankbar bin. Er hatte mir auch mental viel Zuspruch gegeben, was ich in Berlin vermisst hatte, worüber ich bis heute von meinem Ex-Verein (Hertha BSC) sehr enttäuscht bin.
Dann war es wie gesagt so, dass ich nach zwei Wochen wieder fit war doch war es mit meiner Verletzungspause von sieben Monaten in dieser Zeit ohnehin sehr schwer für mich, fand auch noch der Trainerwechsel statt, von Lucien Favre, der wirklich auf junge Spieler steht, zu Friedhelm Funkel, der die konservative Art des Fußballs mochte und darauf beharrt alte Spieler zu haben, fertige Profis, der er nicht weiterentwickeln muss, sondern einfach nach seinen Vorstellungen spielen lassen konnte. Das war für Funkel das wichtigste im Abstiegskampf und das hatte er den jungen Spielern wie Bigalke, Riedle, Radjabali-Fardi und mir auch recht schnell gesagt und somit war unsere Laufbahn bei Hertha erst einmal beendet. Wir wurden in die U23 befördert und das war natürlich der nächste Rückschlag.
Dann ging es weiter, Markus Babbel kam irgendwann und hatte uns eine neue Chance gegeben. Mir persönlich hatte er dann gesagt, dass es für mich schwer wird an Raffael, der zu dieser Zeit überragend in der Zentrale spielte, vorbeizukommen. Er hatte mir geraten, mir einen neuen Verein zu suchen. Ein erneuter Rückschlag.
Dann bin ich nach Aachen gegangen, wo Peter Hyballa, den ich für einen sehr guten Jugendtrainer halte, der den Jugend- gut in den Profibereich führen konnte. Ich hatte aber wieder mal das „Glück“, dass zwei bis drei Monate nach der Vorbereitung entlassen wurde und dann hieß es „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Ich war ja nicht alleine dort, Shervin Radjabali-Fardi hatte dort zusammen mit mir gespielt. Wir wussten natürlich schnell, dass dies erneut unsere Endstation war. Dann musste man sich wieder Gedanken machen.
Dann finde mal als junger, unerfahrener Profi, der kaum Spiele im Profibereich gemacht hatte, im Winter wieder einen neuen Verein. Man ist rumgereicht worden und auf einmal landest du in Babelsberg, wieder eine Spielklasse runter, in die dritte Liga. Mehr oder weniger der nächste Rückschlag. Ich hatte somit einen Verein gefunden, der gegen den Abstieg spielte, was mit meiner fußballerischen Qualität gar nicht übereinstimmte, denn meine Art Fußball zu spielen war ja die technisch starke Variante, ein Spiel zu bestimmen und nicht mit zehn Mann hinten verteidigen und die Bälle lang herauszuschlagen. Das war nie meine Stärke. Ich habe das Jahr trotzdem irgendwie überwunden.
Daraufhin ging es mit Babelsberg auch steil bergauf. Es kam Christian Benbennek, ein für mich sehr kompetenter Trainer, der uns auch ganz gut eingestellt hatte und dann lief es für mich auch relativ gut. Ich hatte dann auch wieder das eine oder andere Zweitligaangebot, war kurz davor zu sagen, dass es mich doch nochmal reizt, in Liga 2 den Schritt nach oben zu probieren. Doch genau als ich beobachtet wurde, wurde ich so schlimm verletzt, dass ich wieder vier Monate pausieren musste. Es kam halt wirklich eins zum anderen, jedes Mal kam zu so einem Moment eine lange Verletzung, so ein Rückschlag, wobei man das vom Anfang seiner Karriere gar nicht kannte. In der Jugend ging der Weg immer nur steil nach oben, sodass all dies sehr schwer zu verarbeiten war – vom Kopf her, aber auch körperlich. Ich war wirklich am Ende, sodass ich teilweise auch echt psychische Probleme hatte. Ich hatte morgens überhaupt keine Lust aufzustehen und alles fiel mir nur noch schwer. Das war für mich auch ein Warnzeichen. Ich hatte in dieser Zeit viel mit meinen Eltern geredet, meine Mutter hatte mit viel Verständnis reagiert und sagte, ich müsse auch echt wissen, was ich da mache, bevor ich mich selber körperlich komplett kaputt mache. Gerade wenn man solche Sachen, wie von Sebastian Deisler gelesen hatte.
So war für mich nicht schwer, langsam darüber nachzudenken, einen Plan B zu haben. Wir sind dann auch noch mit Babelsberg abgestiegen, wodurch man sich in Liga 4 wiederfand. Dort rentierte es sich finanziell ohnehin nicht mehr, als dass man sagen kann, man spielt dort 20 Jahre und hat ausgesorgt. Dann war klar, dass Plan B hermusste. Wie kann man das am besten vereinbaren? Am besten, wenn man seinen Standort nach Berlin verlegt. So kam dann auch der Kontakt mit Berliner AK zustande, sodass ich dorthin gewechselt bin. Der Plan B war dann das Studium, denn ich konnte damals ja Gott sei Dank mein Abitur absolvieren. Favre bestand nämlich darauf, dass wir alle unsere Schullaufbahn vernünftig zu Ende führten.
Ich wollte eigentlich Psychologie studieren, bin dann aber bei meiner Zweitwahl Jura gelandet und wollte mir dieses Studium erst einmal anschauen. Mittlerweile bin ich im Übergang zum fünften Semester und finde es mehr als spannend und hoffe, dass ich in ein bis zwei Jahren mein erstes Examen machen kann.
HB1892: Es freut uns natürlich sehr, dass Sie das alles in dieser Form bewältigt haben, aber hadern Sie im Nachhinein mit ihrem Schicksal?
LH: Das werde ich ganz oft gefragt! Also ich hadere überhaupt nicht damit, weil ich wirklich sagen muss, dass ein Mario Götze oder Toni Kroos etwas anderes behaupten würden, denn diese haben natürlich viel mehr die Sonnenseiten des Fußballs erlebt. Doch was ich erlebt habe, im Übergang zwischen Jugend- und Männerfußball, da überwiegen ganz klar die negativen Aspekte. Ich habe die kompletten Schattenseiten des Fußballs kennengelernt: Trainerunglück, Verletzungen uvm., sodass ich wirklich überhaupt keinen Spaß mehr hatte, seitdem ich 18 oder 19 Jahre alt war. Es hat mir nichts mehr gegeben, den ganzen Tag rumzulungern, nach einer 10-Uhr-Trainingseinheit wieder den ganzen Tag vor der Playstation zu hocken. Du merkst den schleichenden Prozess, der dich regelrecht verblöden lässt, wenn du dich mit keinem Fernstudium o.ä. beschäftigst. Und aufgrund der vielen sozialen Aspekte, man geht in die Uni, in den Vorlesungen sitzen ca. 300 Leute, bereue ich es nicht. Man hat nicht jeden Tag die gleichen 20 Menschen um einen herum, die vor und nach dem Training einzig und allein über sehr beschränkte Themen reden. Das ist also ein guter Ausgleich.
Und ich muss sagen, dass TeBe im Endeffekt kein vollwertiger Amateurverein ist. Die waren einmal groß und ich bin fest davon überzeugt, dass wenn wirtschaftlich auf die Beine kommt, man auch wieder groß werden kann. Teil des Projekts zu sein, macht mir großen Spaß, einen Verein von ganz unten in der Berlin-Liga zumindest wieder in die nächsthöhere Spielklasse zu bringen, ist mir eine wirklich große Ehre.
HB1892: Das hört sich alles doch sehr schön und versöhnlich an. Es freut uns, dass man da anscheinend nicht immer vor dem Nichts stehen muss, wenn man den Profialltag nicht packt. Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie sich eine andere Unterstützung seitens Hertha BSC gewünscht hätten. Glauben Sie denn, dass Ihre Karriere mit beispielsweise einer anderen Medizinabteilung anders verlaufen wäre?
LH: Nein, der Medizinabteilung würde ich da gar keine Schuld zuschieben. Dr. Schleicher war ja schon damals Mannschaftsarzt und ist ein super kompetenter Mann und hat nicht umsonst so viel Erfolg und auch die anderen Therapeuten waren allesamt sehr gut.
Das Problem an der ganzen Sache, dass der Verein als Ganzes mich relativ schnell hat fallen lassen und mir nicht wirklich die Stütze gegeben hat. In meiner kompletten Verletzungspause von sieben Monaten war Favre, selber Angestellter des Vereins, die ganze Zeit damit beschäftigt, sich nach mir zu erkundigen, anzurufen und das obwohl ich nur drei Spiele gemacht hatte, eigentlich gar keinen wirklichen Draht zu ihm haben konnte. Er war wirklich jemand, der auf diese menschliche Komponente geachtet hat. Er hat stets probiert seine Spieler bei Laune zu halten, selbst wenn sie nicht am Trainingsbetrieb teilgenommen haben.
Wenn man sieben Monate verletzt ist, verliert man ja immer mehr die Nähe zur Mannschaft, das geht ganz schnell. Wenn du dann null Unterstützung vom Verein erfährst, der dich einfach anrufen könnte, um dir ein paar Aufgaben zu geben und zu fragen wie es dir geht, wenn du merkst, dass du im Endeffekt als Mensch überhaupt keine Rolle spielst, sondern nur dieser Nutzen aus der herausgezogen werden soll und wenn er nicht gezogen werden kann, dann wirst du uninteressant. Das ist schon eine Enttäuschung, sowas kennst du als junger Fußballer natürlich nicht, als dem es einem nicht um wirtschaftliche Dinge geht, nicht um Geld, nicht um Finanzen, sondern einfach nur um Spaß zu haben und möglichst erfolgreich zu sein. Das ist im Männerfußball halt etwas anderes, da geht es mehr um Geld und das Menschliche steht dabei im Hintergrund und das ist das, was mir auch in der heutigen Zeit viel Kraft gibt, mich für mein restliches Leben auf jeden Fall gestärkt hat, so etwas zu erfahren.
HB1892: Sie sprachen in einem Interview mit der FAZ von „Menschenhandel“ im Fußball. Sie haben es in Ihrer Zeit bei Hertha sicherlich auch generell beobachten können, dass es anscheinend vielen Leuten so erging, z.B. bei einem Radjabali-Fardi oder ähnlichen Spielern aus Ihrem Jahrgang, dass wenn diese ihre Leistung nicht auf Anhieb bringen konnten, diese auch fallen gelassen wurden oder sind Sie dabei ein explizites Beispiel?
LH: Nein, ich glaube, ich bin ein Beispiel für eine ganz ganz große Masse in Deutschland. Diese „Sonnenkarrieren“ á la Götze und Kroos sind einzelne Schicksale. Ich glaube, die überwiegende Masse hat eine ähnliche Karriere wie ich, vielleicht nicht solch einem „krassen“ Kontrast, aber schon ähnlich. Ich glaube, es gibt selbst in Berlin genug Spieler, die wirklich so talentiert sind, es aber nicht gepackt haben. Im Fußball spielen etliche Dinge eine Rolle und da entscheidet letztendlich nicht nur das Talent an sich. Ich habe sehr viele Leute erlebt, egal ob es bei Aachen, Hertha oder Babelsberg war, die mir wirklich gesagt haben, dass sie von Liga Eins bis Drei nicht glücklich mit ihrem Leben sind und die sicher lieber vorstellen könnten, etwas anderes zu machen, anstatt dieses Leben zu führen. Man denkt zwar immer, dieses Zwei-Stunden-bis-vier-Stunden-arbeiten am Tag, dieses viele Geld, dieses Luxusleben macht dich glücklich, aber wenn ich eins gelernt habe, dann dass dich das nicht auf Dauer glücklich macht.
HB1892: Würden Sie denn im Nachhinein mit den Erfahrungen, die Sie jetzt besitzen, den Schritt noch einmal probieren, im Profifußball Fuß zu fassen?
LH: Nein, also ich bekam jetzt zum Sommer hin wieder ein Angebot von Viktoria Köln, was an sich aus fußballerischer Sicht überragend wäre, denn die wollen ja seit Jahren wieder hoch aus der Regionalliga-West, spielen dort jedes Jahr eine Riesenrolle und wollen mittelfristig in die zweite Liga. Das wäre für mich, wenn ich diesen Weg gewählt hätte, eine super Option gewesen, ich habe es aber einfach abgelehnt, weil ich denke, dass es einfach inkonsequent gegenüber meinem bisherigen Weg gewesen wäre, einfach das Studium abzubrechen und mich auf Fußball zu fokussieren. So wie das Leben, wie es jetzt ist, dass man Fußball und Uni unter einen Hut bekommt, davon noch irgendwie leben kann und mit Tebe auch noch einen super Verein hat, der für mich wirklich alles andere als ein Amateurverein ist, ist es für mich optimal. Besser kann mein Leben im Moment nicht laufen.
HB1892: Ich bin selber Jura-Student und weiß daher um einen optionalen Zusatz des Sportmanagements im Jura-Studium. Könnten Sie sich denn vorstellen, mit Ihren Erfahrungen im Profifußball irgendwann einmal eine funktionelle Position des Fußballs zu bekleiden?
LH: Klar, also ich glaube, man ist sein Leben lang tief im Inneren mit dem Fußball verbunden und verfolgt das Ziel zumindest irgendetwas im Fußball tun zu können. Als Spieler würde ich keine höheren Aufgaben mehr annehmen und würde es meinem Sohn auch niemals empfehlen, sich darauf zu fokussieren Fußballer zu werden, nachdem was für Erfahrungen ich gemacht habe, denn ich glaube, dass der „Glückfaktor“ eine zu große Rolle spielt. Wie ich es schon in der FAZ gesagt hatte: Der Fußball kann dir ganz viel geben, aber noch mehr nehmen. Das habe ich am eigenen Leibe erfahren, mir wurde ziemlich viel genommen und gerade mental lag ich eine Zeit lang echt am Boden und allein diese Dinge möchte ich keinem anderen Menschen wünschen.
Was ich meine, ist, dass man sich im Sport keine Option verschließen sollte, aber ich glaube, dass im sportlichen Bereich eher weniger tätig werden wollen würde.
HB1892: Wie können denn Vereine und Verbände dazu beitragen, dass Fußballer, die es eben nicht schaffen Profi zu werden, trotzdem eine berufliche Perspektive haben?
LH: *Überlegt* Ich glaube, das ist gar nicht machbar. Selbst bei Hertha BSC wurde damals sehr darauf geachtet, dass man seine Hausaufgaben gemacht hatte und auch unbedingt einen möglichst guten Schulabschluss vorweisen konnte. Du kannst niemandem den Weg vorgeben. Jeder Mensch ist seines eigenen Glückes Schmied und habe damals gemerkt, dass viele Leute einfach kein Abitur wollten, sich keine weiteren zwei Jahre hinsetzen wollten, hatten sie doch schon ihren Realschulabschluss. Du kannst als Fußballverein es unmöglich schaffen, auf zwei Wegen den Menschen so voranzubringen, sodass diese immer Plan B in der Tasche haben. Das muss dieser Mensch selber wollen.
HB1892: Was uns als Hertha-Fans natürlich besonders interessiert, ist, inwieweit verfolgen Sie denn die Hertha und wir beurteilen Sie die sportliche Entwicklung der letzten Jahre?
LH: Die sportliche Entwicklung? Also ich finde, dass seit dem Jahr, in dem wir fast die Champions League erreicht hätten, nicht mehr viel passiert ist. Es war ein stetiger Abbau und dieses Jahr ist man wieder knapp dem Abstieg entkommen. Ich vermisse ein gewisse Konstanz nach oben, dass man nicht nur versucht die Saison irgendwie zu überstehen, das kann für mich für langfristig kein Plan sein, gerade als Hauptstadtclub. Wenn man in die anderen Länder guckt, England, Spanien oder Frankreich, dort spielen diese Vereine in den höchsten Wettbewerben mit und Hertha taumelt zwischen der ersten und zweiten Liga herum. Das ist für eine Hauptstadt relativ enttäuschend und es muss meiner Meinung nach wieder ein anderer Weg eingeschlagen werden.
HB1892: Und inwieweit verfolgen Sie es noch? Gehen Sie z.B. noch ins Stadion oder sind Sie da gar nicht mehr wirklich mit verbunden und haben mit Hertha an sich abgeschlossen?
LH: Die Bindung, muss ich sagen, die hatte ich bis zur Jugend immer, war voll mit dem Verein identifiziert und habe viel für diesen Verein getan, aber nachdem, was ich dort miterlebt habe, wenn man älter wird und uns Profigeschäft kommt und auch einen Blick hinter die Kulissen werfen kann, merke ich, dass dieser Verein nicht rund läuft. Was man bei Bayern hört, ist kein Zufall, schaut man auf den sportlichen Erfolg und wie es dort auch menschlich läuft. Dass dich ein Uli Hoeneß auch einmal zum persönlichen Gespräch bittet, um zu fragen, wie es dir geht, das sind Komponenten, die waren zumindest damals nicht vorhanden. Ich glaube, es ist kein Zufall, wo Bayern steht und wo Hertha steht. Ich persönlich verfolge es nicht mehr, habe seitdem auch nicht mehr wirklich in den Profifußball geschaut. Das einzige, was ich in den Jahren angemacht habe, war die Champions League und die Nationalmannschaft. Ich war nie der große Fußball-Gucker, habe es immer lieber selber gespielt und deswegen gibt es da keinen großen Unterschied zu früher.
Es ist nicht so, dass ich Hertha nichts gönne. Ich wünsche dem Verein alles Gute und hoffe, dass er sich längerfristig wieder weiter oben etabliert und alles andere ist mir nicht mehr so wichtig.
HB1892: Dann danken wir Ihnen für Ihre Zeit und die vielen ehrlichen Worte!
LH: Alles klar, gerne! Viel Erfolg noch!
[Die Fragen stellten Marc Schwitzky und Alexander Jung.]