Am Samstagabend ist es endlich so weit: Das sechste Berliner Stadtderby zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin. Die beiden Hauptstadtvereine haben sich in der Vergangenheit bereits spektakuläre Duelle geboten – wir blicken auf ein paar der besonderen Derbys zurück.
08. Juli 2009: 1. FC Union Berlin vs. Hertha BSC 3:5
Ein Freundschaftsspiel, welches einer gewissen Zeitenwende glich. Union Berlin, die in der Saison zuvor ihre Heimspiele im verhassten und von Teilen der Fanszene sogar boykottierten Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Berlin Prenzlauer Berg ausgetragen hatten und aus der neu errichteten 3. Liga in die 2. Bundesliga aufgestiegen waren, eröffneten in der Sommerpause endlich ihr umgebautes Stadion.
Und zur Wiedereröffnung sollte selbstverständlich niemand geringeres vorbeischauen als der große Rivale aus dem Berliner Westen. Um ehrlich zu sein, war damals dieses Duell alles andere als ein Spiel zwischen Rivalen. Über viele Jahre trennten die Vereine ganze Ligen. Fans und Ultras arbeiteten an gemeinsamen Projekten, die Vereine unterstützten sich. Doch 20 Jahre nach dem Mauerfall war die Verbindung loser und der Hype, der insbesondere durch ehemalige DDR-Bürger entstand, flaute zunehmend ab. Auch medial schien sich etwas zu verändern. Die Köpenicker wurden plötzlich ein relevanter Verein in Berlin. Hertha BSC verlor sein Alleinstellungsmerkmal, als einziger Berliner Profifußballclub. Union Berlin baute sich sein Image als kleiner, gallischer Underdog auf und es entwickelte sich eine immer größere Rivalität.
Am jenen Juli-Abend 2009 trafen sich zwei Mannschaften, die in der Saison zuvor für großes Aufsehen sorgten. Union, die endlich im Profigeschäft angekommen waren, trafen auf Herthaner, die zuvor in der Bundesliga lange um die Meisterschaft mitgespielt hatten und ein neues Selbstverständnis erlangt hatten.
Das Spiel entwickelte sich zu einer munteren Partie. Die Stimmung im Stadion an der Alten Försterei war prächtig. Ein alter und gleichzeitig neuer Mann traf doppelt für die Hertha. Es war wohl das beste Spiel von Arthur Wichniarek im Hertha-Dress. Am Ende wurden den Fans acht Tore präsentiert. Ansonsten war dieses muntere Scheibenschießen ein schönes und spannendes Erlebnis für die Zuschauer*Innen, große taktische Feinheiten sollten damals auch gar nicht von großer Relevanz sein. Auch auf der Tribüne änderte sich etwas. Die ersten Schmähgesänge der Fangruppierungen waren zu hören und auch im fußball-gesellschaftlichen Kontext hörte man von nun an immer mehr die Frage „Hertha oder Union?“. Im Juli 2009 hatte allerdings wohl niemand gedacht, dass man sich schon im folgenden Jahr zum ersten Mal in einem Ligaspiel sehen würde.
03. September 2012: 1. FC Union Berlin – Hertha BSC 1:2
Die Hertha, die nach 2010 zum zweiten Mal in die 2. Bundesliga abgestiegen war, hatte zwar ein Team, welches mit großen Namen gespickt war, allerdings startete die Mannschaft denkbar schlecht in die neue Saison und drohte die Spielzeit und den Aufstieg auf Grund von Starallüren herzuschenken. Doch nach einem lautstarken Wachrütteln von Trainer Jos Luhukay fand die Hertha langsam in die Saison. Union Berlin, deren Ansprüche damals noch deutlich geringer waren, fand sich zu Saisonbeginn ebenfalls in den unteren Tabellenregionen.
Doch wie es üblich ist in einem Derby, sind Tabellenplatzierungen komplett Nebensache. Es geht um Einsatz, es geht um Willen, es geht um Kampf, Kratzen und Beißen. Und die Spieler beider Mannschaften nahmen genau diese Situation an. Herthas Maik Franz, der in seiner Paraderolle als „Ironmaik“ verbal und körperlich extrem austeilte und das Team wo es nur ging pushte war dabei ein Aushängeschild der blau-weißen. Es war eines der besten Spiele Sandro Wagners für Hertha. Nach einer halben Stunde erzielte er die Führung. Den Ausgleich in der 69. Minute egalisierte Herthas damaliger Torjäger Ronny mit einem wuchtigen Schuss. Er trug sich damit in die nette Liste der Freistoßtorschützen in Berliner Derbys ein. Thorsten Mattuschka, der 2010 noch für die Unioner das Derby entschied, sollte in den folgenden Jahren vor allem durch Ronny ergänzt werden.
Die Brisanz dieses Duells in diesen Jahren zeigte auch das Interview des Unioner Torschützen Christopher Quiring nach dem Spiel, als er sich darüber aufregte, dass „Die Wessis“ nun in ihrem Stadion jubeln würden und man das erst einmal verdauen müsse. Nach einem Remis und einer Niederlage aus der Zweitliga-Saison 2010/2011 war es der erste Derbysieg für Hertha BSC in einem Pflichtspiel.
11. Februar 2013: Hertha BSC – 1. FC Union Berlin 2:2
Das Rückspiel am 21. Spieltag sollte die nächsten brisanten Geschichten schreiben. Die Hertha, die sich vor allem mit Eintracht Braunschweig um die Tabellenspitze stritt und Union, die auf Platz vier weilten und überraschend Außenseiterchancen im Aufstiegskampf hatten, trafen in einem mit über 74.000 Zuschauer restlos ausverkauften Olympiastadion aufeinander.
Es war ein bitterkalter Winterabend. In Berlin lag zum Teil Schnee, doch das Spiel war heißer denn je und die Fans sorgten für eine brachiale Stimmung. Neben vielen Rauchtöpfen durch Pyrotechnik sorgte vor allem die „Spreeathene“-Choreo der Hertha-Ultraszene für riesiges Aufsehen. In einem offenen Spiel gingen die Unioner kurz nach Beginn der 2. Halbzeit mit 2:0 in Führung. Die Herthaner, die zwar mit Kreativität und Spielwitz für Druck und Chancen sorgten, waren an dem Tag vor dem Tor aber einfach glücklos.
Es brauchte zwei Standardsituationen, die das Spiel drehen sollten. Adrian Ramos nickte nach 73 Minuten das Spielgerät wuchtig in die Maschen. Der Vorlagengeber Ronny sollte kurz vor dem Spielende seine Qualitäten zeigen. Der ruhende Ball, der in dieser Saison des Brasilianers bester Freund war, lag einige Meter halbrechts vorm Strafraum entfernt. Sein wuchtiger Schuss, der knapp über die Unioner Mauer flog, landete im unteren rechten Eck. Ein traumhafter Freistoß, der das Berliner Olympiastadion kurz vor Spielende nochmal richtig zum Beben brachte.
Ronny selbst machte in den Sekunden darauf beim Jubeln Bekanntschaft mit den Tücken des Berliner Winters und dessen Schnee, als er ausrutschte und sich sogar ein wenig verletzte. Aber sei es drum. Hertha spielte in diesem Jahr die beste Saison, die eine Mannschaft jemals in der 2. Bundesliga absolvierte, stieg am Ende völlig verdient wieder auf und Ronny war einer der gefährlichsten Freistoßschützen Deutschlands und es war für eine lange Zeit das letzte Derby auf Wettkampfniveau.
22. Mai 2020: Hertha BSC – 1. FC Union Berlin 4:0
Nachdem das Hinspiel im Stadion an der Alten Försterei noch in einem Hexenkessel stattfand und am Ende die Köpenicker mit einem knappen 1:0-Sieg vom Platz gingen, stand das Rückspiel ganz im Zeichen der Pandemie. Der zweite Spieltag nach dem Wiederbeginn. Unter Trainer Bruno Labbadia kam die Mannschaft hervorragend aus der Zwangspause. Nach einem 3:0-Sieg in Sinsheim gegen Hoffenheim, folgte ein furioser 4:0-Sieg im Derby, in dem Hertha BSC einen erfrischenden Offensivfußball zelebrierte.
Doch bizarre Zeiten erfordern bizarre Maßnahmen und ermöglichen noch viel bizarrere Diskussionen. In einem komplett leeren Stadion fand das Spiel statt, so richtig hatte sich noch niemand an die Situation gewöhnt. Der größte Aufreger dieser Tage war die Art und Weise wie die Spieler der Hertha gegen Hoffenheim noch ihre Tore bejubelt hatten. Gegen Union Berlin zeigte vor allem Kapitän Vedad Ibisevic wie Jubeln mit Abstand geht, als er allein vor seinen Mitspielern sein Tor bejubelte und die anderen Herthaner mit einem Lachen vor ihm standen.
Es war die nächste Show des Matheus Cunhas. Der werdende Vater schoss ein Tor, widmete das seiner Frau und seinem in diesen Minuten auf die Welt kommenden Kind und verschwand nur wenige Minuten später Richtung Krankenhaus. Eine Zeit in der bei Hertha noch der Traum von einem baldigen Einzug nach Europa gelebt wurde und man als Nummer eins in der Stadt galt.
04. April 2021: 1. FC Union Berlin – Hertha BSC 1:1
Das erste Derby unter Pal Dardai entwickelte sich zu dem spielerisch wohl schwächsten Spiel dieser Aufeinandertreffen. Die Vorzeichen hatten sich mittlerweile komplett geändert. Union Berlin spielte um den Einzug ins internationale Geschäft, während Hertha BSC gegen den Abstieg kämpfte und mit ganz anderen Sorgen, als mit einer Stadtrivalität, umzugehen hatte.
Auch wenn spielerisch nur wenig zu holen war, konnte man sich unter Pal Dardai selbstverständlich trotzdem auf gewisse Tugenden verlassen. Einsatzwille und Mentalität waren vorhanden. Insbesondere Santiago Ascacibar zeigte jene Attribute. Eine Szene, die für Derby stand, war seine rustikale Grätsche gegen Nico Schlotterbeck und die unflätige Ansage, die er seinem Gegenspieler daraufhin machte.
Ansonsten entwickelte sich Robert Andrich immer mehr zum Angstgegner der Hertha. Der ehemalige Junioren-Herthaner und mittlerweile für Leverkusen spielende Mittelfeldakteur traf mit einem sehenswerten Distanzschuss schon früh in der Partie. Dodi Lukebakio traf per Elfmeter zum Ausgleich.
Wie erwähnt hatte das Derby spielerisch nur wenig zu bieten. Die immer noch ausgesperrten Fans machten aber auf sich aufmerksam. Insbesondere einige Fans von Union Berlin, die sich einen Zugang zum Stadiongelände ermöglichten und mit Pyrotechnik ihren eigenen Imbissstand in Brand setzten. Themen, die auf Grund gelangweilter Fans vor dem Stadion in dieser Zeit leider keine Seltenheit waren.
19. Januar 2022: Hertha BSC – 1. FC Union Berlin 2:3
Das wohl brisanteste Duell fand am Anfang dieses Jahres statt. Es war das erste Aufeinandertreffen unter K.O.-Bedingungen. Im DFB-Pokal-Achtelfinale kam es zu der Begegnung, auf die viele Fans seit Jahren hin fieberten. Doch die Kräfteverhältnisse hatten sich in Berlin mittlerweile komplett gedreht. Union Berlin ging als Favorit in das Spiel gegen die von Tayfun Korkut trainierten Herthaner.
3.000 Fans durften das Spiel im Stadion verfolgen. Die wenigen Leute versuchten trotz der mauen Bedingungen für Stimmung zu sorgen. Doch zumindest auf das Spiel der Hertha sollte der Funken nicht überspringen. Union war deutlich stärker und besser eingespielt, als die Heimmannschaft. Andreas Voglsammer per Traumtor, ein Eigentor von Niklas Stark und eine katastrophale Zuordnung bei Standardsituationen sorgten für drei vollkommen verdiente Unioner Tore.
Auf Seiten der Hertha konnte einzig Suat Serdar zählbares rausholen, der Rani Khedira zum Eigentor zwang und selbst in der Nachspielzeit noch das 2:3 erzielen konnte. Das letzte Aufeinandertreffen bestätigte die aktuellen Verhältnisse in Berlin, die nur mit einem Sieg in der Bundesliga wieder verrückt werden könnten.
[Titelbild: JOHN MACDOUGALL/AFP via Getty Images]