Herthaner im Fokus: Zu grün hinter den Ohren

von Jan 20, 2022

Es läuft die 85. Minute im Berliner Stadtderby und Hertha-Jungprofi Linus Gechter fällt nach einem unglücklichen Zusammenprall ungünstig zu Boden. Nach kurzer Behandlungspause geht es für ihn zwar weiter, doch diese Szene und der Auftritt Gechters zeigen gut, was das komplette Spiel der alten Dame beschreibt. Gegen Union Berlin zeigte man sich mit zu viel Respekt vor dem Gegner, über weite Strecken agil, aber glücklos. Und am Ende lag man leider am Boden.

Personelle Veränderungen, aber weiter 4-4-2

Trainer Tayfun Korkut musste verletzungsbedingt kurzfristig auf Jordan Torunarigha verzichten und kehrte somit zur altbewährten Innenverteidigung mit Niklas Stark und Dedryck Boyata zurück. Myziane Maolida und Jurgen Ekkelenkamp machten außerdem Platz für den nach seiner Gelbsperre zurückgekehrten Suat Serdar und den im zentralen Mittelfeld agierenden Lucas Tousart.

In einem 4-4-2 stellte Korkut seine Mannschaft auf und wollte damit für eine stabile Zentrale sorgen und mit Ishak Belfodil und Marco Richter im Sturm offensive Gefahr kreieren. Im Derby gelang es der Hertha nach komplett verschlafener Anfangsphase irgendwann am Spielgeschehen teilzunehmen. Die Mannschaft zeigte aber über das gesamte Spiel deutliche Defizite in der Spielidee, im Spielaufbau und in der geschlossenen Verteidigung.

Wer die sowohl positiven als auch negativen Ausreißer in diesem ernüchternden Spiel waren und wer zumindest Leidenschaft zeigte, wollen wir hier nennen.

Suat Serdar: Der beste Herthaner

Wieder einmal war er der stärkste Spieler der Hertha. Auch wenn er wie seine Mitspieler wenig zu Beginn der Partie beizutragen hatte, war er es, dem es nach etwa einer halben Stunde gelang, das Zepter in die Hand zu nehmen und für die ersten offensiven Akzente zu setzen.

Im Verlauf des Spiels bereitete er zwei Torschüsse vor und scheiterte mit seinem Kopfball ans Außennetz in der 36. Minute relativ knapp. Er war 54 mal am Ball und brachte 73 Prozent seiner Pässe an den Mitspieler. Eine ordentliche Quote. Oft wirkte es allerdings, als wäre Serdar der einzige Spieler der Hertha, der in irgendeiner Form im Stande war Mittelfeld und Angriff miteinander zu verbinden. Sechsmal versuchte es Serdar mit einem Dribbling. Manchmal allerdings mit dem Kopf voraus durch die Wand. Immerhin konnte er vier davon erfolgreich abschließen, nur blieb die positive Wirkung für die Offensive zu oft aus.

(Photo by TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

Doch sein Verdienst war es, dass Hertha zumindest kurz Hoffnung schöpfen konnte, als er im Zusammenspiel mit Ishak Belfodil im Strafraum das Eigentor von Rani Khedira erzwang. Das 2:3, welches er und die Mannschaft erzwingen konnten, ging ebenfalls auf seine Kappe, war allerdings in Anbetracht der gespielten Zeit viel zu spät.

Suat Serdar zeigte unheimlich großes Engagement, konnte das aber vor allem wegen der fehlenden Stärke seiner Mitspieler zu selten ausnutzen. In der 16. Spielminute kassierte er nach einer Grätsche gegen Baumgartl die einzige gelbe Karte der Hertha in diesem Spiel. Auch ein Zeichen, mit welcher Intensität ein Derby geführt werden kann oder eben nicht.

Maximilian Mittelstädt: Bemüht aber glücklos

Auf seiner linken Seite hatte Mittelstädt relativ viel Spielraum. Mit 110 Aktionen war er nach Dedryck Boyata der jenige, der die meisten Ballkontakte im Spiel hatte. Anmerken muss man allerdings, dass gerade die beiden sich den Spiel oft ideenlos zuspielten, ohne einen Angriff kreieren zu können.

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(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Im Gegenteil, das Unioner Pressing sorgte oft dafür, dass die Verteidigung mit langen Bällen schlimmeres verhindern musste, nachdem sie zu langsam hintenrum gespielt hatte. Ihm fehlte oft die Unterstützung auf der linken Seite, wie bei Öztunalis Angriff in der 50. Minute, als er unbedrängt in den Strafraum laufen und flanken konnte und so das Eigentor von Niklas Stark zum 0:2 erzwang. Mittelstädt selbst war bei dem Angriff viele Meter hinter dem Geschehen und konnte nach seinem offensiven Aufrücken nicht mehr ins Spiel eingreifen.

Auch beim 1:3 war er viel zu weit vom einschussbereiten Robin Knoche entfernt. Trotz allem ist die Passquote von Mittelstädt akzeptabel. 82 Prozent seiner Bälle kamen an den Mann. Sein Torschuss in der 87. Minute war schön anzusehen, ging aber leider knapp am Tor vorbei. Maximilian Mittelstädt ist bekanntlich kein Lautsprecher auf dem Platz, doch mit seinen Bemühungen gelang ihm es zumindest temporär das Team immer wieder mitzuziehen.

Ishak Belfodil: Der geniale Partner fehlt

Er ist Stürmer Nummer eins und kann jederzeit etwas bewirken. Doch sein oft so trauriges und verzerrtes Gesicht spricht Bände. Mit viel Einsatz und guter Technik konnte Belfodil mal wieder für Gefahr sorgen. Zehn seiner siebzehn Zweikämpfe gewann er, was für einen Offensivspieler okay ist. 74 Prozent seiner Pässe kamen an und mit 55 Aktionen war er einer der aktivsten Spieler in der Offensive. drei Schlüsselpässe gelangen ihm.

Er versuchte seine Mitspieler in Szene zu setzen, selbst für Gefahr zu sorgen, aber ein nennenswerter Abschluss sollte ihm nicht gelingen. fünf von sechs Dribblings waren erfolgreich. Seine Vorlage für Serdar, der nach 54 Minuten das 1:2 erzwang, gehört sicherlich zu einem seiner Highlights.

(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Doch was nützt das größte Engagement, wenn die Mitspieler die Bälle nicht nutzen können? Wie in der 47. Minute, als sich Belfodil fein durch die Unioner Verteidigung dribbelte und zurück auf den freistehenden Vladimir Darida legte. Doch dieser bekam nur wenige Meter vor dem Tor freistehend, nicht annähernd den Ball auf das Gehäuse und schoss deutlich drüber. Eine Situation die recht bezeichnend für den Auftritt war.

Es fehlen neben Suat Serdar weitere Anspielpartner in der Offensive, die was mit dem Spielgerät anfangen können. Einer davon, ein gewisser montenegrinischer Stürmer, kann hoffentlich schon bald diese Lücke wieder ausfüllen.

Linus Gechter: Junge Unerschrockenheit

Zugegeben, das 17-jährige Abwehr-Talent hatte nicht so viel zu tun. Die Unioner, die ihr Angriffsspiel in der 2. Halbzeit nach dem 1:3 praktisch einstellten, stellten Gechter nur noch selten vor Herausforderungen. Er kam nach 58 Minuten für den angeschlagenen Niklas Stark in die Partie. Aber – und das ist für einen 17-Jährigen durchaus erwähnenswert – alles was in seine Richtung kam, konnte er recht souverän verteidigen.

Er warf sich in die Bälle, lief fleißig mit und blieb weitgehend fehlerfrei. 79 Prozent seiner Pässe kamen an den Mann und er versuchte mit sechs langen Bällen für Gefahr im gegnerischen Strafraum zu sorgen. – davon kamen allerdings lediglich zwei an. Doch auch er selbst hatte Möglichkeiten. In der 61. Minute verlängerte er Daridas Ecke von der linken Seite. Suat Serdar verpasste freistehend am langen Pfosten den Ball. Erfolgreicher lief es in der Nachspielzeit, als Gechter mit seinem wuchtigen Kopfball nur knapp am auf der Linie klärenden Kevin Behrens scheiterte. Den Nachschuss brachte Suat Serdar zum 2:3 ins Tor. Allerdings kam dieses Tor viel zu spät.

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(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Linus Gechter zeigte, was möglich ist, wenn man ihm Vertrauen schenkt. Er ist engagiert und geht – wie in der 85. Minute – dahin, wo es wehtut. Er ist durchaus in der Lage, einem Spiel den Stempel aufzudrücken. Trotz allem muss man aber auch zugeben, dass ihm Union das Leben nicht mehr wirklich schwer gemacht hatte. Er wäre eine Alternative, vor allem wenn Niklas Stark und Dedryck Boyata so spielen wie im Derby.

Beide hatten nicht die gewohnte Sicherheit und verschliefen oft – wie in der Anfangsphase bei Max Kruses Schuss nach wenigen Sekunden – das Spielgeschehen. Beide sahen bei keinem der drei Gegentore sonderlich gut aus und müssen zum Teil mit ihrem sehr schwachen Stellungsspiel die Tore auf ihre Kappe nehmen.

Fazit: Zu viel Respekt und Naivität bevor Hertha anfing Fußball zu spielen

Zwei von drei Derbys sind gespielt. Und auf dem Zettel stehen zwei Niederlagen. Das ist mehr als ernüchternd. Es tut weh in diesen Tagen Fan der Alten Dame zu sein.

Qualitativ war dieses Spiel sicherlich eine deutliche Leistungssteigerung zum Derby vor ein paar Wochen im Stadion an der Alten Försterei oder auch gegenüber den letzten beiden Bundesliga-Spielen in Wolfsburg und gegen Köln. Doch wie man die erste halbe Stunde verschlief, ist bedenklich. Es war Unions schwacher Chancenverwertung zu verdanken, dass man noch so lange im Spiel blieb.

(Photo by TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

Schön zu sehen war, wie man sich zurück ins Spiel malochte, doch sobald bei Hertha zwei, drei oder mehr Spieler nicht ihre Topform erreichen, ist nur wenig zu holen. Zwei engagierte Serdars und Belfodils reichen nun einmal nicht, um Union Berlin in ihrer aktuellen Form zu stoppen. Und das schon gar nicht in einem Spiel, das kopftechnisch nochmal eine andere Bedeutung hat. Ohne einen sinnvollen Spielplan des Trainers kann es auch nur höchstens über individuelle Momente gehen.

Alles Punkte, an den Fredi Bobic dringend arbeiten muss. Das Transferfenster ist noch ein paar Tage geöffnet und die nächsten Gegner sind Bayern, Bochum und Fürth. Es muss etwas geschehen, wenn man nicht im tiefen Abstiegskampf versinken möchte.

(Photo by TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

ÜBER DEN AUTOR

Johannes Boldt

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