Jahresrückblick: Teil 2 – Labbadia stabilisiert Hertha

von Dez 28, 2020

Am Ende dieses verrückten Jahres blicken wir bei Hertha BASE in einer vierteiligen Serie auf die wichtigsten Ereignisse und Vorkommnisse bezüglich Hertha zurück.

Im zweiten Teil des Rückblicks dreht sich alles um den Restart der Bundesliga und Herthas erste Monate unter Nouri-Nachfolger Bruno Labbadia.

Labbadia folgt auf Nouri

Es war der 9. April, als bei Hertha BSC einmal mehr eine Gezeitenwende in Form eines Trainerwechsels vorgenommen wurde. Nachdem Alexander Nouri den Stuhl von Jürgen Klinsmann übernommen hatte, gelang es der Interimslösung nicht ansatzweise, die wankende alte Dame zu stabilisieren. Nun sollte Bruno Labbadia eben jene Aufgabe übernehmen.

An einem Montag ist der 54-Jährige bei der Pressekonferenz in Berlin offiziell vorgestellt worden. Bis zunächst Sommer 2022 soll er die Profi-Mannschaft von Hertha BSC leiten. Eine große Überraschung war die Nachricht nicht völlig: der Name „Labbadia“ geisterte bereits bei der Entlassung von Ante Covic im vergangenen Winter, und sogar als die Amtszeit von Pal Dardai zu Ende war, durch die Medien. 

Labbadia kam zusammen mit seinem Staff bestehend aus Eddy Sözer, Günter Kern und Olaf Janßen in die Hauptstadt. Und das nicht erst im Sommer, sondern bereits in der Corona-bedingten Ruhephase der Saison, die Michael Preetz als „vorgezogene Sommerpause“ bezeichnete. Dass Interimstrainer Nouri nur noch die „Lame Duck“ war, war kein Geheimnis. Von der Klubführung wurde bereits deutlich gemacht, dass im Sommer ein anderer Fußballlehrer die Mannschaft leiten würde.

Hertha ist Labbadias “Wunschverein”

Zum Teil ließen sich auch aus Spielerinterviews Zeichen herauslesen, dass Nouri nicht mehr zu hundert Prozent bei der Sache war. Beispielsweise behauptete Maximilian Mittelstädt, sein Trainer hätte ihn während dessen Quarantäne nicht einmal kontaktiert. Jetzt herrscht wieder Klarheit und die Trennung mit Jürgen Klinsmanns Team ist endgültig vollzogen – bis auf Arne Friedrich ist kein Mitarbeiter mehr bei Hertha beschäftigt, der zusammen mit Klinsmann kam. Torwarttrainer Zsolt Petry, die Athletiktrainer Henrik Kuchno und Hendrik Vieth bleiben dem Hertha-Stab erhalten.

Labbadia bei seiner ersten Pressekonferenz bei Hertha: “Hertha war mein Wunschverein im Sommer, jetzt auch. Ich sehe in der Mannschaft und im Verein Potenzial. In meiner Situation ist mir wichtig, mit welchen Menschen ich arbeite. Ich muss nicht mehr alles machen. Die Gespräche mit Michael Preetz und Präsident Werner Gegenbauer haben mir richtig gut gefallen. Auch die Menschen, die ich bisher hier getroffen habe.”

Foto: IMAGO

„Mein Team und ich freuen uns total auf diese Aufgabe“, sagte Labbadia, nachdem seine Verpflichtung offiziell wurde, und ergänzte: „Es liegt viel Arbeit vor uns“. Wohl wahr, denn schließlich übernahm das neue Trainerteam eine Mannschaft, die bereits zuvor drei verschiedene Trainer hatte, all das Chaos der Saison mit durchleben musste und in den letzten sechs Spielen nur einmal gewonnen hatte.

Labbadia übernahm zwar eine Mannschaft, die zu jenem Zeitpunkt auf dem 14. Tabellenrang stand und klar im Abstiegskampf steckte, doch Labbadia wollte es allen beweisen, dass er mehr kann, als nur zu retten. “Unser Spiel bedarf vieler Sprints und Tempoläufe. Wir werden in allen Bereichen arbeiten: Athletik, Organisation, Taktik. Das findet nicht nur auf dem Platz statt. Das wird sehr intensiv. Einige sagen, es ist zu intensiv. Aber das ist unser Spiel. Für mich ist es ein geiles Spiel. Ich habe Bock auf Fußball. Ich lasse mir die Freude am Fußball nicht mehr nehmen. Ich will das leben”, gab sich Labbadia bei seiner Antritts-PK hoch motiviert.

“Sala, bitte lösch das!”

Labbadia habe sich eigentlich vorgenommen, “nicht mehr in den Abstiegskampf einzusteigen”, berichtete der neue Hertha-Trainer. “Aber beide Seiten mussten handeln, dann habe ich es gemacht, weil ich jetzt wahrscheinlich mehr Zeit habe als im Sommer.” Durch die Corona-bedingte Pause war es Labbadia und seinem Trainerteam möglich, ihre Ideen in einer Art Mini-Sommervorbereitung einstudieren zu lassen.

“Wir waren als einzige Mannschaft neben Eintracht Frankfurt 14 Tage in Quarantäne, die Mannschaft hatte zudem 14 Tage lang keinen Trainer. Das sind sehr ungewöhnliche Umstände. Aber es nützt ja nichts”, zeigte sich Labbadia damals pragmatisch. Wie alle anderen Bundesligisten musste auch Hertha unter besonderen Auflagen trainieren, zunächst konnten beispielsweise Übungen nur in Kleingruppen von bis zu acht Spielern absolviert werden – alles andere als normal, doch Labbadia wollte als dies nicht als Ausrede gelten lassen. Der Monat bis zum ersten Spiel sollte möglichst effizient und geräuschlos genutzt werden.

Foto: IMAGO

Fünf Tage vor Labbadias Amtsantritt hatte der Verein nämlich den jüngsten der so vielen Skandale dieser Spielzeit aushalten müssen. Nachdem der Verein den Klinsmann-Skandal abmoderiert hat, herrscht – auch aufgrund der Corona-bedingten Spielpause – zunächst einmal Ruhe. Bei dem nächsten Eklat ist einmal mehr Facebook der Handlungsort: Salomon Kalou hatte mit einem Live-Stream für große Unruhe gesorgt.

Das 25-minütige Video zeigte den Ivorer in den Spielerräumlichkeiten des Vereinsgeländes, vielmehr aber inwieweit die auferlegten Hygienevorschriften ignoriert wurden. Es war für die gesamte Öffentlichkeit sichtbar, wie sich Hertha-Spieler -und Betreuer die Hand geben, keinen Mindestabstand halten und auch die Corona-Testungen mangelhaft durchgeführt werden – in einer Zeit, in der Fußballdeutschland noch über die DFL-Konzepte zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs diskutiert hatte. Dieser Livestream sorgte dafür, dass sogar ein Markus Söder den Namen Kalous in den Mund nahm – 2020 hat wirklich einiges zu bieten. Kalou wurde aufgrund des unbefugten Aufnehmens vom laufenden Betrieb auf dem Vereinsgelände und seinen Teamkollegen suspendiert.

Labbadia gelingt ein herausragender Einstand

Die Schlagzeilen sollten also wieder auf dem Platz geschrieben werden und dort hatte Labbadia genug zu tun. Die damaligen Baustellen der Mannschaft sind nach drei Trainern schier endlos. Die mentale Verfassung und die Hierarchie des Teams wurden durch die Geschehnisse der letzten Monate zerrissen. Klinsmann und Nouri hatten den Kader fußballerisch heruntergewirtschaftet, nicht einmal mehr die zwischenzeitlich erreichte defensive Stabilität war mehr gegeben. Defensiv wie offensiv brannte es lichterloh.

In den Wochen vor dem ersten Spiel des Restarts gegen die TSG Hoffenheim musste also an zahlreichen Stellschrauben gedreht werden. Hertha musste sich die Basics wieder draufschaffen und ein klares System etablieren, an dem sich die Spieler aufrichten können. Auch das Errichten einer Achse war dringend notwendig, da die Mannschaften in den Monaten zuvor zu oft durchgeschüttelt wurde und nicht mehr wusste, woran sie denn ist.

Um etwas vorzuspulen: Labbadia und seinem Trainerteam gelang all dies in beeindruckender Weise, wie sich gegen Hoffenheim herausstellte. Bei seinem Debüt als Hertha-Coach konnte Labbadia einen größtenteils souveränen 3:0-Sieg einfahren. In jenem Spiel setzte der 54-Jährige auf ein grundsolides 4-2-3-1-System mit zahlreichen erfahrenen Führungsspielern, die von seinen Vorgängern teilweise aussortiert waren, in der Startelf. Rune Jarstein stand, nachdem er kurzzeitig von Thomas Kraft verdrängt worden war, wieder im Tor. Marvin Plattenhardt und Peter Pekarik besetzten die defensiven Flügel, Per Skjelbred das Zentrum und Kapitän Vedad Ibisevic den Strafraum.

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All das sollte sich auszahlen, die vielen Führungskräfte verliehen Hertha eine nahezu ungewohnte Stabilität. Wie zu besten Dardai-Zeiten arbeitete das Team in Sinsheim aufopferungsvoll gegen den Ball und stand kompakt. Doch darüber hinaus war teilweise auffällig guter Fußball zu sehen, gepaart mit einer ungeheuren Effizienz. So war das Spiel gegen die TSG auch quasi die Geburtsstunde des Goalgetters Pekarik. Sein abgefälschter Schuss brachte die Berliner in Führung. Mit einem wahren Doppelschlag köpfte Ibisevic nach Flanke von Maxi Mittelstädt das 2:0 ein. Ein abermals herausragend aufgelegter Matheus Cunha sorgte mit einem starken Dribbling und ebenfalls gutem Abschluss dann für 3:0-Schlusspunkt. Ein rundum gelungener Auftakt in den Restart der Bundesliga.

Hertha verabschiedet sich vom Abstiegskampf

Der Auftakt war Labbadia und Hertha gelungen. Mit dem 3:0-Erfolg verabschiedete sich die “alte Dame” auch, wie in Retrospektive klar wird, bereits vom Abstiegskampf. Acht Punkte betrug der Abstand nun auf Platz 16, viel anbrennen sollte hier nicht mehr. Vom Auftaktsieg beflügelt ging es für Hertha mit dem Stadtderby gegen den 1. FC Union Berlin weiter. Das Hinspiel hatten die Blau-Weißen enttäuschend mit 0:1 verloren, diese Niederlage war womöglich der Anfang vom Ende des Ante Covic. Es stand also Wiedergutmachung an.

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Und die lieferte die Mannschaft – wenn auch vor leeren Rängen im Olympiastadion. Ibisevic und Cunha trafen jeweils im zweiten Spiel infolge, zusammen mit Dodi Lukebakio und Dedryck Boyata sorgten sie für einen furiosen 4:0-Derbysieg, der zu keinem Zeitpunkt sonderlich gefährdet schien. Defensive Stabilität wurde mit mutigem wie schnellen Offensivfußball kombiniert, dem Union an jenem 27. Spieltag nichts entgegenzusetzen hatte. Es schien, als sei Labbadia der erste Trainer, der das theoretische Potenzial der Mannschaft zu 100 Prozent auf den Rasen bringen könnte. Die Defensive steht, das Mittelfeld ackert, Cunha und Lukebakio zaubern und Ibisevic zeigt sich eiskalt. Ein Derby ganz im Zeichen von “Warum denn nicht immer so?”

Mit nun 34 Punkten nach 27 Spielen und damit zehn Zählern Abstand auf den Relegationsrang konnte Hertha befreit aufspielen. Und das taten die Hauptstädter auch. Die zwei Siege zum Restart-Auftakt sorgten für eine breite Brust, die Mini-Vorbereitung unter Labbadia hatte für eine gute Gesamtorganisation auf dem Feld gesorgt. Auf den Derbysieg folgte ein mehr als überzeugendes 2:2-Unentschieden gegen RB Leipzig, das auch hätte gewonnen werden können. Drei Punkte gab es jedoch danach beim 2:0 gegen den FC Augsburg. Hertha hatte sich in einen kleinen Rausch gespielt und zehn Punkte aus den letzten vier Spielen geholt – nur der FC Bayern war mit zwölf Punkten besser aus der Corona-Pause gekommen.

Ein leerer Tank und wenig Spielglück

Der Rausch sollte damit allerdings auch erst einmal wieder beendet sein. Nach vier Spielen ohne Niederlage musste sich Hertha gegen Borussia Dortmund knapp mit 0:1 geschlagen geben. Es war das erste Spiel, in dem klar wurde, dass der Mannschaft so langsam die Körner ausgingen. Von mangelndem Willen konnte keine Rede sein, doch das so intensive Spiel Labbadias forderte in den letzten Spielen der Saison, die es mit ein paar englischen Wochen nicht einfacher machte, seinen Tribut.

Hertha verlor auch die nächsten zwei Spiel gegen Eintracht Frankfurt (1:4) und den SC Freiburg (1:2), wobei letzteres einen weiteren Trend zeigte: Hertha ging das Spielglück abhanden. So hätten viele Szenen jener Spiele mit etwas Fortune auch für Hertha ausgehen und somit in Punktgewinnen enden können. So wurde z.B. das herausragende Tor Lukebakios gegen Freiburg aberkannt, weil vorher ein Foulspiel Daridas erkannt wurde – ob man das jedoch entscheiden musste, ist fraglich. So konnte keinesfalls gesagt werden, dass Hertha nach dem ersten Rausch schlechte Spiele machte, aber der immer leerer werdende Tank und das ausbleibende Spielglück ließen Punkt um Punkt verpassen.

(Photo by Matthias Hangst/Getty Images)

Dass die Mannschaft sich trotz unglücklicher Ergebnisse nicht hängen ließ, wurde zumindest mit dem 2:0-Sieg am 33. Spieltag gegen Bayer Leverkusen belohnt. Mit dem überzeugenden Heimerfolg durchbrach Hertha zudem die 40-Punkte-Marke – 41 Zähler und Platz zehn waren sicherlich nicht das, was man sich in Berlin vor der Saison als Ziel gesteckt hatte, unter den Gesamtumständen einer verrückten Saison allerdings wohl noch das Bestmögliche. Die Spielzeit endete mit 1:2-Niederlage gegen Borussia Mönchengladbach, die allerdings auch durch die großen personellen Probleme der Blau-Weißen bedingt war.

Fazit nach Restart

Ein Jahresrückblick hat an sich, dass man mit einem breiteten Horizont auf die Geschehnisse eines Jahres blicken kann, da man schließlich weiß, wie es weiterging. So ist das Fazit der ersten Wochen bzw. Monate unter Bruno Labbadia nach der Saison 2019/20 sicherlich positiver ausgefallen als es das mit heutigem Wissen über den bisherigen Verlauf der neuen Spielzeit tun würde.

Podcast #111 Saisonrückblick 19/20

So schien die Arbeit nach dem Bundesliga-Restart ein verheißungsvoller Anfang der Labbadia-Amtszeit zu sein. Er und sein Trainerteam haben Hertha BSC nicht nur stabilisiert, sondern in gewissen Aspekten beeindruckend schnell weiterentwickelt. Doch der Fußball, den man im Mai gegen Hoffenheim, Union oder Leipzig gesehen hat, hat sich in 20/21 noch sehr selten gezeigt.

Das liegt auch recht wahrscheinlich daran, dass Labbadia mit Spielern wie Skjelbred oder Ibisevic eine echte Achse etablieren konnte, die durch den Umbruch im vergangenen Sommer nahezu vollständig weggebrochen ist. So schien die Mannschaft zum Amtsantritt Labadias weiter als sieben Monate später. In kürzester Zeit hat Labbadia es geschafft, das Team auf Kurs zu bringen und seine Spielidee erfolgreich umzusetzen. Hertha spielte nach dem Restart nicht nur soliden, sondern streckenweise wirklich ansehnlichen Fußball, ohne jemals die Grundtugenden zu vergessen. Darüber hinaus stellte Labbadia unter Beweis, nicht nur mit erfahrenen Spielern arbeiten, sondern dahinter auch Eigengewächse heranführen zu können. So feierten Jessic Ngankam und Lazar Samardzic vergangene Saison ihr Bundesliga-Debüt. Spieler wie Marton Dardai, Omar Rekik oder Luca Netz wurden zudem fester Bestandteil des Profi-Trainings und fanden einige Mal den Weg in den Spieltagskader.

Über Labbadias Arbeit von dessen Amtsantritt am 9. April bis zu Saisonende 2020 können also eigentlich nur positive Wort verloren werden. Nur in Hinblick auf den weiteren Verlauf des Kalenderjahres, welches mit Platz 14 beendet wurde, verliert seine Anfangszeit bei Hertha etwas an Wert. Doch all das wird in Teil drei und vier des Jahresrückblicks unter die Lupe genommen.

[Titelbild: THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images]

ÜBER DEN AUTOR

Marc Schwitzky

Marc Schwitzky

Erst entfachte Marcelinho die Liebe zum Spiel, dann lieferte Jürgen Klopp die taktische Offenbarung nach. Freund des intensiven schnellen Spiels und der Talentförderung. Bundesliga-Experte und Wortspielakrobat. Gründungsmitglied & Chefredakteur.

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